JudikaturVfGH

E402/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2015

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Die Beschwerdeführerin ist gemäß §103 Abs1 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979), BGBl 333, idF BGBl I 210/2013, in Verbindung mit §17 Abs9 Z7 Poststrukturgesetz (PTSG), BGBl 201/1996, idF BGBl I 210/2013, zur Disziplinaranwältin für den Bereich der Österreichischen Post AG bestellt und war als solche gemäß §106 BDG 1979 Partei des Disziplinarverfahrens, das der Erlassung des mit der vorliegenden Beschwerde bekämpften Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes voranging.

1.1. Im Zuge dieses Disziplinarverfahrens wurde ein der Österreichischen Post AG gemäß §17 Poststrukturgesetz zugewiesener Beamter – nach Bekämpfung der Disziplinarverfügung – mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen vom 29. Oktober 2014 für schuldig befunden, dadurch, dass er als Zusteller die ihm zugeschriebene PSK-Anweisung über € 102,24 als ausbezahlt verrechnet, den Geldbetrag vorschriftswidrig in seiner Privatgeldbörse aufbewahrt, bei der Abrechnung die Rückbuchung der Anweisung nicht berücksichtigt und den Kassenüberschuss nicht gemeldet habe, seine Dienstpflichten gemäß §§43 Abs2 und 44 Abs1 BDG 1979 verletzt zu haben, wodurch er Dienstpflichtverletzungen im Sinne des §91 BDG 1979 begangen habe. Von der Verhängung einer Strafe wurde gemäß §126 Abs2 in Verbindung mit §115 BDG 1979 abgesehen. Auf Grund der von dem betroffenen Beamten eingebrachten Beschwerde behob das Bundesverwaltungsgericht dieses Disziplinarerkenntnis zur Gänze und sprach den Beamten von den erhobenen Tatvorwürfen gemäß §126 Abs2 BDG 1979 frei.

1.2. Gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde der Disziplinaranwältin, in der sie die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, im Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK infolge Verletzung der Grundsätze der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit, der Öffentlichkeit und des beiderseitigen Gehörs sowie fehlender Objektivität und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet.

2. Die Beschwerde ist unzulässig.

1.3. Zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, dass die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B VG nur dann gegeben ist, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann, dh., wenn die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers berühren, der Bescheid demgemäß subjektive Rechte begründet (verändert) oder feststellt (vgl. VfSlg 11.764/1988, 15.398/1999, 15.733/2000, 17.840/2006, 17.920/2006, 18.442/2008, 19.151/2010, 19.289/2011). Für die Beschwerdelegitimation gemäß Art144 Abs1 B VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung gelten sinngemäß dieselben Voraussetzungen (vgl. VfGH 20.2.2014, B182/2014).

1.4. Ein solcher Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers als Voraussetzung seiner Berechtigung zur Beschwerdeführung gemäß Art144 B VG wurde vom Verfassungsgerichtshof für (insbesondere staatliche) Organe eines Rechtsträgers grundsätzlich verneint (vgl. VfSlg 13.429/1993, 13.722/1994, 15.079/1998, 17.220/2004, 17.838/2006, 18.914/2009, 19.092/2010; VfGH 11.6.2012, B264/12). In VfSlg 17.220/2004 hat der Verfassungsgerichtshof zur Beschwerdelegitimation der Salzburger Landesumweltanwaltschaft in Anschluss an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere ausgesprochen, dass der als Partei fungierende Landesumweltanwalt "nur formal 'Rechte'" ausübe, "inhaltlich" gesehen jedoch "'Kompetenzen'" wahrnehme (so VwGH 22.3.1993, 93/10/0033 mwN). Dass es sich bei den vom einfachen Gesetzgeber zu subjektiven Rechten erklärten öffentlichen Interessen bestimmter Verwaltungsbehörden einschließlich des Interesses an der Einhaltung umweltschützender Rechtsvorschriften nicht um "echte" subjektive öffentliche Rechte handle, ergebe sich schon aus dem herkömmlichen Verständnis dieser Rechte: Subjektive öffentliche Rechte dienten nicht bloß der Wahrung öffentlicher Interessen, sondern seien zumindest auch dem Schutz bestimmter privater Interessen zu dienen bestimmt.

1.5. Die Beschwerdeführerin war als Disziplinaranwältin in das dem bekämpften Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vorangegangene Disziplinarverfahren eingebunden. Als solche war sie gemäß §103 Abs1 BDG 1979 berufen, die "dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren" zu vertreten. Aus dieser gesetzlichen Regelung ergibt sich insbesondere die Pflicht der Disziplinaranwälte, für die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben im gesamten Disziplinarverfahren zu sorgen (vgl. Walter , Die Stellung des Disziplinaranwalts nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz, FS Melichar 1983, 421; Kucsko-Stadlmayer , Das Disziplinarrecht der Beamten 4 , 2010, 449). Als Disziplinaranwältin sind der Beschwerdeführerin somit besondere einfachgesetzliche "Aufgaben" übertragen, subjektive öffentliche Rechte im Disziplinarverfahren, die im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Beschwerdeführung gemäß Art144 B VG legitimieren würden, lassen sich daraus jedoch nicht ableiten (vgl. auch VfSlg 17.220/2004, 19.092/2010).

1.6. Das mit der Dienstrechts-Novelle 2012, BGBl I 120/2012, eingeführte Recht des Disziplinaranwaltes, Bescheide der Disziplinarkommission mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu bekämpfen und gegen dessen Entscheidungen Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben, wird in §103 Abs4 BDG 1979 ausdrücklich auf Art132 Abs5 B VG bzw. Art133 Abs8 B VG gestützt und das Fehlen subjektiv-öffentlicher Rechte des Disziplinaranwaltes in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage als Begründung angeführt (vgl. Erläut. zur RV 2003 BlgNR 24. GP, 8 f.). Im Übrigen ist die vom Gesetzgeber angestrebte Wahrnehmung dienstlicher Interessen im Disziplinarverfahren durch diese – im Gegensatz zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof – gesetzlich ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit zur Erhebung einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht sowie einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof hinreichend sichergestellt.

3. Bis zur Einführung der Beschwerdelegitimation vor dem Verwaltungsgerichtshof hat auch dieser das Vorliegen subjektiv-öffentlicher Rechte des Disziplinaranwaltes grundsätzlich verneint und die Beschwerdelegitimation nur insoweit bejaht, als es um die Durchsetzung seiner aus der Parteistellung folgenden prozessualen Befugnisse geht. Soweit es um die (sonstige) Gesetzmäßigkeit der Entscheidung – insbesondere über Schuld und Strafe – gehe, fehle ihm das für die Beschwerdeberechtigung notwendige subjektive Recht (vgl. VwSlg. 10.278 A/1980). Mit ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wurde mit BGBl 362/1991 schließlich die Beschwerdelegitimation des Disziplinaranwaltes an den Verwaltungsgerichtshof in das BDG 1979 eingefügt (vgl. Erläut. RV 128 BlgNR 18. GP, 14 f.). Hinsichtlich der Länder, in denen keine entsprechende Bestimmung besteht, hat der Verwaltungsgerichtshof weiterhin die Beschwerdelegitimation verneint (vgl. VwGH 22.4.1993, 93/09/0074).

4. Die – nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse hin geprüfte – Beschwerde ist daher schon mangels Legitimation der Beschwerdeführerin gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG zurückzuweisen.

Rückverweise