JudikaturVfGH

G133/2024 (G133/2024-31) – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Öffentliches Recht
25. Juni 2025
Leitsatz

Verfassungswidrigkeit des gänzlichen Ausschlusses der Gewährung von Verfahrenshilfe in Beschwerdeverfahren nach dem StrafvollzugsG bei Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte eines Strafgefangenen bzw Untergebrachten durch Entscheidungen oder Anordnungen des Anstaltsleiters

Aufhebung des §17 Abs2 Z1 StVG idF BGBl I 190/2013. Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 30.06.2026. Im Übrigen: Zurückweisung des Parteiantrages.

Ein Parteiantrag auf Normenkontrolle ist auch in Konstellationen zulässig, in denen eine Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 02.07.2024 gestellt wird, mit dem die Beschwerde gegen eine Entscheidung der Anstaltsleiterin zurückgewiesen wurde, denn der Umstand, dass das StVG eine Entscheidung einer Verwaltungsbehörde vor der gerichtlichen Entscheidung iSv Art94 Abs2 B‑VG vorsieht, ändert nichts daran, dass hier ein erstinstanzliches Gericht entscheidet. Als Beschwerdeführer im Verfahren gemäß §16 Abs3 StVG ist der Antragsteller Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit er zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG berechtigt ist. Das Vollzugsgericht gemäß §16 Abs3 StVG hat in seinem Beschluss die Beschwerde des Antragstellers sowie dessen Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe zurückgewiesen und dabei sowohl §17 Abs2 Z1 StVG (dazu Hauptantrag A.) als auch §126 Abs2 StVG (dazu Hauptantrag B.) angewendet.

Gegenstand eines Verfahrens nach §16 Abs3 StVG, in dem gemäß §17 Abs2 Z1 StVG näher genannte Bestimmungen des AVG sinngemäß anzuwenden sind, kann jede Entscheidung oder Anordnung des Anstaltsleiters sein, die in subjektiv-öffentliche Rechte eines Strafgefangenen bzw Untergebrachten eingreift. Somit kann jedes im StVG verankerte subjektiv-öffentliche Recht – etwa die Rechte auf würdevolle Behandlung, auf Hygiene und medizinische Versorgung oder auf eine bestimmte Form der Unterbringung – Gegenstand einer Beschwerde gemäß §121a iVm §16 Abs3 StVG sein. Vor diesem Hintergrund ist für den VfGH unzweifelhaft, dass in einem solchen Beschwerdeverfahren und losgelöst vom konkreten Anlassfall sowohl Art6 EMRK als auch Art8 iVm Art13 EMRK berührt sein können.

Der VfGH hob mit VfSlg 19.989/2015 §40 VwGVG idF BGBl I 33/2013 als verfassungswidrig auf. Als Begründung ging er von der Rsp des EGMR zu Art6 EMRK aus, der zufolge ein effektiver Zugang zu Gericht erfordere, dass im Einzelfall die Möglichkeit bestehe, einem Rechtsschutzsuchenden – bei entsprechender finanzieller Bedürftigkeit und wenn sein Rechtsschutzbegehren nicht aussichtslos oder missbräuchlich sei – im gerichtlichen Verfahren Verfahrenshilfe zu gewähren, wenn etwa das einschlägige Verfahrensrecht kompliziert sei, eine schwierige Rechtsfrage vorliege oder im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Partei der Anschein eines fairen Verfahrens gewahrt werden müsse. Da nach §40 VwGVG die unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – außer in Verwaltungsstrafsachen – schlechthin nicht möglich war, also auch nicht, wenn es um zivilrechtliche Ansprüche ging, verstieß diese Bestimmung gegen Art6 EMRK.

Diese Überlegungen sind auf das Verfahren nach §16 Abs3 StVG zu übertragen, weil die Gewährung von Verfahrenshilfe in allen Beschwerdeverfahren nach §§120 ff iVm §16 Abs3 StVG auf Grund des Verweises in §17 Abs2 Z1 StVG auf das AVG ausgeschlossen ist. Im Einzelfall kann die unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers zur Sicherstellung eines effektiven Beschwerdeverfahrens aber unumgänglich, also verfassungsrechtlich geboten sein.

Daran vermag auch der Einwand der Bundesregierung nichts zu ändern, wonach das Verfahren nach §16 Abs3 StVG niederschwellig sei, weil keine Gerichtsgebühren anfielen, kein Anwaltszwang bestehe und das Gericht eine Manuduktionspflicht treffe. Zwar ist ihr grundsätzlich zuzustimmen, dass das verfassungsrechtliche Gebot, Verfahrenshilfe zu ermöglichen, nicht besteht, wenn die Partei ihre Interessen selbst vertreten kann, etwa weil der Fall nicht komplex ist. Auch erscheint es vor dem Hintergrund der Rsp des EGMR zulässig, den Zugang zu Gericht zu beschränken, wenn damit etwa das Ziel des Schutzes vor missbräuchlichen und wiederholten Anträgen oder der Schutz vor Überlastung der Gerichte durch Fälle von geringer Bedeutung verfolgt wird.

Dies ändert allerdings nichts daran, dass es im konkreten Einzelfall zur Sicherstellung effektiven Rechtsschutzes erforderlich sein kann, dem Betroffenen bei Vorliegen entsprechender Bedürftigkeit und des Fehlens von Mutwillen oder Aussichtslosigkeit seines Rechtsschutzbegehrens Verfahrenshilfe zu gewähren.

Die von §17 Abs2 Z1 StVG angeordnete Anwendbarkeit von näher umschriebenen Bestimmungen des AVG, die zu einem gänzlichen Ausschluss von Verfahrenshilfe führt, ist daher verfassungswidrig. Die Bestimmung führt nämlich dann, wenn schwierige Tat- oder Rechtsfragen beantwortet werden müssen, dazu, dass eine effektive Durchsetzung subjektiver Rechte in Verfahren nach §16 Abs3 und §16a StVG maßgeblich erschwert wird.