G130/2024 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch Bestimmungen des GGG 1984 betreffend die ansteigende Höhe der Gerichtsgebühren in zweiter und dritter Instanz; Sachlichkeit der linearen Orientierung der Höhe der Gebühren am Streitwert sowie des Nichtbestehens einer Obergrenze für Gerichtsgebühren; weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Regelung von Gerichtsgebühren
Abweisung eines Antrags des BVwG soweit er sich gegen die Wort- und Zeichenfolgen "Pauschalgebühren für das Rechtsmittelverfahren zweiter Instanz bei einem Berufungsinteresse" sowie "über 350 000 Euro" und "1,8% vom jeweiligen Revisionsinteresse zuzüglich 6 071 Euro" und Anmerkung 1 in Tarifpost 2 GerichtsgebührenG (GGG) idF BGBl I 37/2024 sowie eines weiteren Antrags soweit er sich gegen die Wort- und Zeichenfolgen "Pauschalgebühren a) für das Rechtsmittelverfahren dritter Instanz bei einem Revisionsinteresse" sowie "über 350 000 Euro" und "2,4% vom jeweiligen Berufungsinteresse zuzüglich 8 096 Euro" und Anmerkung 1 in Tarifpost 3 GGG idF BGBl I 37/2024 richtet. Im Übrigen: Die Anträge auf Aufhebung hinsichtlich der übrigen Teile der zur Gänze angefochtenen TP 2 bzw 3 GGG sind von den präjudiziellen Teilen offensichtlich trennbar und sohin zurückzuweisen.
Kein Verstoß des progressiv ausgestalteten Gebührensystems in TP 2 und 3 GGG gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie gegen die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips bzw dem daraus abgeleiteten Grundsatz der "Effizienz des Rechtsschutzes":
TP 2 GGG regelt die anfallende Pauschalgebühr für Rechtsmittelverfahren zweiter, TP 3 GGG für Rechtsmittelverfahren dritter Instanz und Schiedsklagen. TP 3 unterscheidet hiebei zusätzlich zwischen Pauschalgebühren für das Rechtmittelverfahren dritter Instanz und Klagen, die gemäß §615 ZPO in die Zuständigkeit des OGH fallen. TP 2 GGG sieht zwölf, TP 3 GGG zehn Gebührenstufen vor, wobei beiderseits keine Obergrenze eingezogen ist. Die Gebühr setzt sich vielmehr bei einem Berufungs- bzw Revisionsinteresse von über € 350.000,– gemäß TP 2 GGG aus 1,8 % des jeweiligen Berufungsinteresses zuzüglich eines Fixbetrages in Höhe von € 6.071,– bzw gemäß TP 3 GGG aus 2,4 % des jeweiligen Revisionsinteresses zuzüglich eines Fixbetrages in Höhe von € 8.096,– zusammen.
Bei der Festsetzung und Bemessung von Gerichtsgebühren kommt dem Gesetzgeber ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Es steht ihm frei, im Hinblick auf die Kostenwahrheit und das Verursacherprinzip Gebühren für die Inanspruchnahme der Gerichte vorzusehen. Darüber hinaus darf der Gesetzgeber bei der Regelung von Gerichtsgebühren von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und an leicht feststellbare äußere Merkmale sachgerecht anknüpfen sowie Gesichtspunkte der Verwaltungsökonomie berücksichtigen. Eine strenge Äquivalenz der Gerichtsgebühren im Einzelfall in dem Sinn, dass die Gebühren dem bei Gericht verursachten Aufwand entsprechen müssten, ist nicht erforderlich. Welchem der genannten Prinzipien der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Gerichtsgebührensystems welches Gewicht beimisst, unterfällt gleichfalls seinem weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum, solange das System in sich konsistent ausgestaltet ist. Auch eine Anknüpfung am Wert des Rechtes bzw dem Nutzen der Parteien begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hinsichtlich der Bemessung der Gerichtsgebühren hat der VfGH ferner bereits ausgesprochen, dass die allgemeine Orientierung am Streitwert des Gerichtsverfahrens der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens dient und dem keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen. So ist es auch nicht unsachlich, wenn das GGG – in der hiefür einschlägigen TP 1 GGG – Gebühren in einem Hundertsatz des jeweiligen Streitwertes festlegt, sodass sich ihre Höhe linear mit steigendem Streitwert bewegt und für die Gerichtsgebühren keine Obergrenze besteht. Eine Gerichtsgebühr in Millionenhöhe, die sich im Verhältnis zum Streitwert bemisst, ist daher nicht schon auf Grund ihrer Höhe als so exzessiv zu beurteilen, dass sie den Zugang zu einem Gericht iSd Art6 Abs1 EMRK vereiteln würde. Dies gilt in gleicher Weise für die Rechtsmittelverfahren zweiter und dritter Instanz. Die Anknüpfung an den Streitwert des Rechtsmittelinteresses ist ebenso sachlich gerechtfertigt.
Diese Rsp steht auch im Einklang mit jener des EGMR, wonach die Einhebung von Gerichtsgebühren nicht mit dem in Art6 Abs1 EMRK gewährleisteten Recht auf Zugang zu einem Gericht unvereinbar ist. Mit Blick auf das österreichische System der Gerichtsgebühren hat der EGMR betont, dass das Tätigwerden der Gerichte nicht von der Zahlung der Gerichtsgebühren abhänge, und insofern Zugang zum Gericht bestehe. Er hat ferner akzeptiert, dass die Höhe der Gebühren vom Streitwert abhängig gemacht wird. In diesem Zusammenhang hat der EGMR auch berücksichtigt, dass das Institut der Verfahrenshilfe iSd §§63 ff ZPO zur Verfügung steht, welches eine Befreiung von der Entrichtung der Gerichtsgebühren ermöglicht. Hinzu kommt, dass gemäß §9 Abs1 und 2 GEG eine Verlängerung der Zahlungsfrist und eine Stundung möglich sind oder die Gebühr nachgelassen werden kann, wenn die Einbringung mit besonderer Härte für den Zahlungspflichtigen verbunden wäre. Vor diesem Hintergrund gelangte der EGMR zur Auffassung, dass das österreichische Gerichtsgebührensystem hinreichend flexibel ausgestaltet sei, um einer Partei die vollständige oder teilweise Befreiung von den Gerichtsgebühren oder eine Ermäßigung der Gerichtsgebühren zu ermöglichen.
Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wenn er die Gebühren in unterschiedlichen Verfahrensstadien unterschiedlich hoch festsetzt und er in einer Durchschnittsbetrachtung am verursachten Aufwand ebenso wie am Nutzen der Parteien anknüpft. Ein abgestuftes Gebührensystem, das insbesondere berücksichtigt, dass in Rechtsmittelverfahren den Parteien eine nochmalige Prüfung ihres Rechtsstandpunktes durch eine weitere Instanz ermöglicht wird, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist sohin verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber in TP 2 und 3 GGG für die zweite bzw dritte Instanz eine höhere Gebühr als für die erste Instanz festlegt. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den vom BVwG ins Treffen geführten Entscheidungen des VfGH. So hat der VfGH etwa in VfSlg 19.666/2012 keine Bedenken gegen grundsätzlich höhere Gebühren in den Rechtsmittelinstanzen gehegt, sondern eine Gebührenreduzierung für Provisorialverfahren als in allen Instanzen gleichermaßen sachlich gerechtfertigt angesehen.