G113/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Abweisung eines Gerichtsantrags auf Aufhebung einer – verfassungskonform auslegbaren – Übergangsbestimmung des MaßnahmenvollzugsanpassungsG 2022; Widerruf der bedingten Nachsicht einer Unterbringung ausschließlich bei jenen Betroffenen, deren Unterbringung auch gemäß der neuen Rechtslage angeordnet werden dürfte
Das LG Innsbruck hegt das Bedenken, dass die angefochtene Übergangsbestimmung des Art6 Abs2 zweiter Satz MßnahmenvollzugsanpassungsG (MVAG 2022) gegen Art5 EMRK und das PersFrSchG verstoße, weil sie auf §157f StVG verweise, der "rückbezüglich" formuliert sei ("derentwegen die strafrechtliche Unterbringung angeordnet wurde"). Die angefochtene Vorschrift führe somit dazu, dass die bedingte Nachsicht der Unterbringung gemäß §157f StVG bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zwingend zu widerrufen sei, obwohl die rechtskräftig verurteilten Anlasstaten und die zu befürchtenden Prognosetaten nach dem neuen Recht eine Unterbringung nicht mehr trügen und die erstmalige Überprüfung iSv §25 Abs3 StGB gesichert das – bereits jetzt offenkundige – Ergebnis erbrächte, dass keine Unterbringung mehr angeordnet werden dürfte. Wegen des Verweises auf §157f StVG in Art6 Abs2 zweiter Satz MVAG 2022 sei in den Übergangsfällen auf die Prognosetaten abzustellen, die im Geltungsbereich der Rechtslage vor dem MVAG 2022 festgestellt wurden, auch wenn diese Prognosetaten nach dem MVAG 2022 nicht mehr zur Unterbringung ermächtigen.
Eine Vorschrift, die den vom LG Innsbruck unterstellten Inhalt hätte, würde gegen Art1 Abs3 PersFrSchG verstoßen: Vorderhand ist es Sache des Gesetzgebers, die mit Strafe bedrohten Handlungen iSv Art2 Abs1 Z1 PersFrSchG festzusetzen. Entscheidet er dann aber, dass bestimmte Handlungen ab einem bestimmten Stichtag keine strafrechtliche Unterbringung mehr erlauben, wäre es nicht mehr notwendig iSv Art1 Abs3 PersFrSchG, Menschen nur deshalb die persönliche Freiheit zu entziehen, weil die Gefahr besteht, dass sie Handlungen setzen, die zwar nach der alten Rechtslage noch Anlass für eine Unterbringung sein konnten, nicht mehr aber nach der neuen. Ein solcher Inhalt ist der angefochtenen Vorschrift aber nicht zu unterstellen. Vielmehr ist sie einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Auslegung zugänglich:
Bereits Art6 Abs2 erster Satz MVAG 2022 ordnet an, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes Untergebrachte, bei denen die erstmalige Überprüfung der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung nach Inkrafttreten ergibt, dass sie nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes überhaupt nicht untergebracht werden dürften, unverzüglich ohne Bestimmung einer Probezeit zu entlassen sind. Angesichts dieser klaren Anordnung für bereits Untergebrachte kann dem Gesetzgeber aber nicht zugesonnen werden, den Sonderfall von Betroffenen, denen nach der Rechtslage vor dem MVAG 2022 die bedingte Nachsicht der Unterbringung gewährt wurde, derart geregelt zu haben, dass diese Nachsicht nur deshalb zu widerrufen wäre, weil die Gefahr besteht, dass der Betroffene Handlungen setzen wird, die nach der neuen Rechtslage gerade kein Anlass mehr für eine Unterbringung wären. Ein anderes Verständnis würde nämlich zu einem vor dem Hintergrund des Art1 Abs3 PersFrSchG unverhältnismäßigen Ergebnis führen, dass die betroffene Person zunächst untergebracht wird, nur um später, weil die zu befürchtenden Prognosetaten nach der geltenden Rechtslage eine Unterbringung nicht mehr tragen, zwingend wieder zu entlassen wäre. Die angefochtene Vorschrift ist daher im Lichte des Art1 Abs3 PersFrSchG und des Art5 EMRK sowie der allgemeinen Bestimmung Art6 Abs2 erster Satz MVAG 2022, die ihr unmittelbar vorangestellt ist, so zu verstehen, dass eine bedingte Nachsicht der Unterbringung nur dann widerrufen werden darf, wenn der Betroffene auch noch nach den Bestimmungen des MVAG 2022 untergebracht werden dürfte.