JudikaturVfGH

E3802/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
27. Februar 2024

Das BVwG hätte eine drohende Verfolgungsgefahr nicht bloß mit dem Hinweis verneinen dürfen, dass derzeit noch keine Anklage gegen den Beschwerdeführer erhoben worden sei, ohne zu prüfen, womit er bei einer Rückkehr in die Türkei voraussichtlich rechnen müsste.

Zwar legt das BVwG seinen Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am Tag der ihm vorgeworfenen Straftat an einer Demonstration teilgenommen habe. Mit den näheren Umständen der Teilnahme des Beschwerdeführers und einem allfälligen Zusammenhang zur Strafverfolgung setzt es sich in weiterer Folge jedoch nicht auseinander. Des Weiteren geht das BVwG ohne nähere Begründung davon aus, dass die strafrechtlichen Ermittlungen "unter Beachtung der wesentlichen Verfahrensgrundsätze" geführt würden und der "in der Türkei durch einen Rechtsanwalt vertreten[e]" Beschwerdeführer "gegen allfällige für [ihn] nachteilige Entscheidungen Rechtsmittel" erheben könne. Diese nicht weiter begründeten Annahmen stehen jedoch in offenem Widerspruch zu den Länderberichten, die das BVwG zwar zu Feststellungen erhebt, in seinen Erwägungen aber unbeachtet lässt. Diesen zufolge gibt es – worauf auch der VwGH bereits ausdrücklich hingewiesen hat – "massive Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit von Strafverfahren in der Türkei", mit denen sich das BVwG auseinandersetzen hätte müssen.

Das BVwG hat insbesondere jegliche Auseinandersetzung mit der entscheidungswesentlichen Frage unterlassen, welche Sanktionen dem Beschwerdeführer für welches tatsächliche Verhalten auf Grund welcher Straftatbestände bei einer Rückkehr in die Türkei drohen, und ob ein Konnex zu einem der in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannten Konventionsgründe besteht.

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