G192/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch eine Bestimmung des Krnt LandesvertragsbedienstetenG betreffend die unterschiedliche Behandlung von inländischen und ausländischen Vordienstzeiten bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags; bevorzugte Anrechnung von Vordienstzeiten bei Gebietskörperschaften gegenüber (nichtanzurechnenden) Dienstzeiten bei anderen Einrichtungen als sachliches Instrument zur Attraktivierung der Tätigkeit bei Gebietskörperschaften verfassungsrechtlich zulässig
Abweisung des dritten Eventualantrags des OGH auf Aufhebung des §41 K-LVBG 1994 idF LGBl 81/2021 sowie Zurückweisung des Hauptantrags und der ersten beiden Eventualanträge auf Aufhebung von Teilen dieser Bestimmung wegen zu engen Anfechtungsumfangs.
Der VfGH hat die Prüfung einer Schlechterstellung innerstaatlicher Sachverhalte bei der Anrechnung von Dienstzeiten für die Ermittlung des Vorrückungsstichtages eines Vertragsbediensteten gegenüber unionsrechtlichen Sachverhalten anhand des Gleichheitsgrundsatzes nach Art7 B‑VG und Art2 StGG unter Hinweis auf Art21 Abs4 B‑VG für ausgeschlossen erachtet (VfGH 01.07.2022, G17/2022). Mit Art21 Abs4 B‑VG wurde nämlich eine besondere verfassungsrechtliche Grundlage (insofern eine lex specialis) für eine Bevorzugung von Dienstzeiten bei Gebietskörperschaften gegenüber Dienstzeiten bei anderen Einrichtungen geschaffen. Art21 Abs4 B‑VG gebietet nämlich (nur) im Hinblick auf Dienstzeiten bei Gebietskörperschaften, diese bei einer Anrechnung unbeschränkt zu berücksichtigen, wenn die anrechnende Gebietskörperschaft auch die bei ihr zurückgelegten Dienstzeiten unbeschränkt anrechnet. Eine unterschiedslose Anrechnung von Dienstzeiten, die bei anderen Einrichtungen zurückgelegt wurden, ist hingegen gerade nicht geboten.
Das Unionsrecht enthält keine eigenständige Verpflichtung zur Anrechnung von Dienstzeiten, es steht innerhalb seines Anwendungsbereiches aber diskriminierenden bzw die Freizügigkeit einschränkenden Unterscheidungen entgegen, wenn der Gesetzgeber eine Anrechnung (zumindest einzelner) Dienstzeiten vorsieht. Davon erfasst sind aber nur solche Zeiten, in denen als gleichwertig einzuordnende – nicht jedoch lediglich nützliche – Tätigkeiten ausgeübt wurden.
Diese unionsrechtliche Entwicklung im innerstaatlichen Bereich konnten keine Änderung des Regelungsgehaltes des Art21 Abs4 B‑VG und insbesondere der Spezialität dieser Bestimmung gegenüber Art7 B‑VG und Art2 StGG bewirken. Die unterschiedliche Gewichtung von Dienstzeiten bei Gebietskörperschaften und solchen bei anderen Einrichtungen ist daher hinsichtlich innerstaatlicher – also außerhalb des Anwendungsbereiches des Unionsrechts gelegener – Sachverhalte und damit unabhängig davon, ob im Anwendungsbereich des Unionsrechts eine vollständige Gleichbehandlung dieser Zeiten geboten wäre, nach wie vor in Art21 Abs4 B‑VG angelegt.
§41 Abs12 K‑LVBG 1994 unterscheidet nicht zwischen Dienstzeiten bei einer Gebietskörperschaft und solchen, die bei anderen Einrichtungen zurückgelegt wurden, sondern innerhalb der zuletzt Genannten in Abhängigkeit vom Ort der Ausübung dieser Tätigkeit. Wie auch der OGH ausführt, kommt Art21 Abs4 B‑VG demnach keine unmittelbare Relevanz zu. Vielmehr ist die in §41 Abs12 K‑LVBG 1994 vorgenommene Differenzierung anhand des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art7 B‑VG und Art2 StGG zu prüfen.
Die in §41 Abs12 K‑LVBG 1994 verankerte Begünstigung "sonstiger Zeiten" ausschließlich im Fall einer (gleichwertigen) Tätigkeitsausübung außerhalb Österreichs knüpft nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit an. Auch österreichische Staatsbürger genießen diesen Vorteil, wenn sie (in Ausübung ihres Rechtes auf Freizügigkeit) in von Z1 bis 3 leg cit erfassten Gebieten außerhalb Österreichs tätig waren. Gleichzeitig werden derartige Tätigkeiten im Fall ihrer Ausübung in Österreich unabhängig davon, ob die betroffene Person die Staatsangehörigkeit Österreichs oder eines (anderen) Mitgliedstaates der EU bzw des EWR besitzt, lediglich nach den allgemeinen Regeln gemäß §41 Abs1 Z2 K‑LVBG 1994 bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtages angerechnet. Der VfGH verkennt gleichwohl nicht, dass davon aber wohl österreichische Staatsbürger besonders häufig betroffen sind, weil sie eher über solche Zeiten im Inland verfügen werden als sonstige Unionsbürger.
Bei der Beurteilung der Sachlichkeit dieser Unterscheidung sind die Grundgedanken des in Art21 Abs4 B‑VG (auch verfassungsrechtlich) grundgelegten Systems der Anrechnung von Vordienstzeiten zu beachten. Unterschiede bei der Anrechnung von Zeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer (inländischen) Gebietskörperschaft zurückgelegt wurden, und "sonstigen Zeiten" sind in diesem System – mit Blick auf die Eigenarten des öffentlichen Dienstes sowie vor dem Hintergrund des dem Gesetzgeber bei der Regelung des Dienst‑, Besoldungs- und Pensionsrechtes der öffentlich Bediensteten eingeräumten, verhältnismäßig weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes – verfassungsrechtlich zulässig. Unter Berücksichtigung des Zieles, dadurch die Möglichkeit des Wechsels bzw der Mobilität zwischen dem Dienst beim Bund, bei den Ländern, bei den Gemeinden und bei den Gemeindeverbänden jederzeit zu wahren bzw zu erhöhen, kann die bevorzugte Anrechnung von Vordienstzeiten bei Gebietskörperschaften zudem als sachliches Instrument zur Attraktivierung der Tätigkeit bei Gebietskörperschaften angesehen werden.
Das Unionsrecht verlangt in seinem Anwendungsbereich zwar Ausnahmen von diesem verfassungsrechtlich grundgelegten und sachlich begründeten System, indem es punktuell im Interesse der Freizügigkeit eine unterschiedslose Berücksichtigung gleichwertiger "sonstiger" Dienstzeiten gebietet, auch wenn diese bei anderen Einrichtungen als Gebietskörperschaften geleistet wurden. Auf Grund der im Gesetz dargelegten Gründe für das – formalisierte und damit besonders gut nachvollziehbare – System der Anrechnung von Vordienstzeiten ist es allerdings nach wie vor als sachlich gerechtfertigt anzusehen, die vom Anwendungsbereich des Rechtes der Union nicht erfassten Sachverhalte (weiterhin) anders zu behandeln als die Vordienstzeiten bei einer Gebietskörperschaft, auch wenn damit eine unterschiedliche Behandlung von "sonstigen Zeiten" – in Abhängigkeit davon, ob es sich um einen in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallenden Sachverhalt handelt oder nicht – einhergeht.
Durch die Wortfolge "außerhalb Österreichs" werden im Inland ausgeübte Tätigkeiten von der gänzlichen Anrechnung nach §41 Abs12 K‑LVBG 1994 ausgeschlossen. Aus der Rsp des EuGH, wonach eine bloß teilweise Anrechnung von "in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten [gleichwertigen] Vordienstzeiten" eine unzulässige Beschränkung der Freizügigkeit darstellt, vermag der VfGH nicht zu erkennen, dass diese Regelung ungeeignet wäre, die vom Anwendungsbereich des Unionsrechts erfassten Sachverhalte von jenen abzugrenzen, auf die das Unionsrecht keine Anwendung findet.
Ungeachtet dessen, ob §41 Abs12 K‑LVBG 1994 alle in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallenden Sachverhalte erfasst oder allenfalls in Einzelfällen der Anwendungsvorrang zur Herstellung einer unionsrechtskonformen Rechtslage zur Anwendung zu kommen hat, steht für den VfGH außer Zweifel, dass die darin enthaltene Begünstigung nur Fälle betrifft, die vom Unionsrecht erfasst sind. Schließlich hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass eine bloß teilweise Anrechnung von "in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten [gleichwertigen] Vordienstzeiten" eine unzulässige Beschränkung der Freizügigkeit gemäß Art45 AEUV darstellt.
Die in §41 Abs12 K‑LVBG 1994 geschaffene Unterscheidung dient insofern dem Zweck, die vom Anwendungsbereich des Unionsrechts erfassten Sachverhalte von jenen abzugrenzen, die nicht in den Anwendungsbereich fallen. Bedenken im Hinblick auf die gleichheitsrechtlichen Anforderungen gemäß Art7 B‑VG und Art2 StGG begegnet diese Differenzierung – wie oben dargelegt – nicht, weil dadurch lediglich die der österreichischen Rechtsordnung insgesamt immanente und sachlich begründete Unterscheidung von Dienstzeiten bei Gebietskörperschaften gegenüber Dienstzeiten bei anderen Einrichtungen – unter Berücksichtigung des Rechtes der Union – beibehalten wird.