JudikaturVfGH

V143/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Öffentliches Recht
29. Juni 2023

Zurückweisung des Hauptantrags und ersten Eventualantrags (§4 Abs2 Satz 3 und Satz 4 COVID-19-EinreiseV) wegen zu engen Anfechtungsumfangs. Im Übrigen: Abweisung des Individualantrags (zweiter Eventualantrag gegen §4 Abs2 Sätze 3 bis 6 und Abs3, §3 Abs1 Satz 1 sowie Satz 3 [in eventu §3 zur Gänze], §10 Abs1 Satz 2, §11 und §12 Abs2 COVID-19-EinreiseV in jeweils näher bezeichneten Fassungen).

Hinreichende "Grundlagenforschung" und Dokumentation der Informationsbasis und der nach §25 EpiG maßgeblichen Umstände für die (Erlassung bzw) Beibehaltung der angefochtenen Bestimmungen im Verordnungsakt des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK): Der Verordnungsakt zu dieser Novelle enthält eine umfassende Staatentabelle mit – jeweiligen – statistischen Informationen insbesondere zu Bevölkerungsgröße, 7- und 14-Tage-Inzidenzen, Mortalitätsraten, Testraten, Änderungsraten und Trends sowie zum Anteil der (Voll- und Teil-)Immunisierten, ferner besondere Tabellen, die sich auf Staaten im Sinn der Anlagen A und B beziehen, samt Quellenangaben. Darauf folgt eine "Interministerielle Analyse COVID-19 Situation im Ausland (BMSGPK, BMEIA)" zu mehreren Staaten, die für "freie Einreise" vorgesehen oder als "Hochinzidenzstaaten/ -gebiete" bewertet wurden. Zu Kroatien merkt diese Analyse an, dass die 14-Tage-Inzidenz bei 551 (Österreich: 491) und mit einem steigenden Trend über dem "Schwellenwert" liege; zudem werde eine sehr hohe Positivitätsrate von 18,7 % beobachtet. Eine "Fachliche Begründung EinreiseVO" geht auf mehrere Staaten, darunter Kroatien, ein.

Kein Verstoß gegen das Recht auf persönliche Freiheit:

Eine bescheidmäßig verfügte Absonderung nach §7 Abs1a EpiG in der Form eines verwaltungsstrafbewehrten und mit Zwang durchsetzbaren Verbotes, die eigene Wohnung – ausgenommen zu Testzwecken – zu verlassen, stellt eine Freiheitsentziehung iSv Art5 EMRK bzw des PersFrSchG dar, sodass die Garantien des Art5 EMRK bzw des PersFrSchG zur Anwendung gelangen (E v 02.03.2023, E1737/2021). Die hier angefochtene Quarantäneregelung unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von solchen Absonderungen: Anders als die bescheidmäßig verfügte und unausweichliche Absonderung handelt es sich bei der selbstüberwachten und im Hinblick auf die Einreise gestaltbaren Heimquarantäneregelung bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung nicht um einen Freiheitsentzug, sondern (bloß) um einen Eingriff in das Recht auf persönliche Freizügigkeit

Keine Verletzung des Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz:

Hinreichende Determinierung der gesetzlichen Grundlage: Der Verordnungsgeber war gemäß §25 EpiG in der hier noch maßgeblichen Stammfassung BGBl 186/1950 ermächtigt, Maßnahmen "zur Verhütung der Einschleppung einer Krankheit aus dem Auslande" zu treffen. Die Verordnungsermächtigung zu "Verkehrsbeschränkungen gegenüber dem Auslande" nach §25 EpiG idF BGBl 186/1950 hatte die Verhinderung der Ausbreitung ansteckender, nach dem EpiG anzeigepflichtiger Krankheiten vor Augen; welche Krankheiten "anzeigepflichtig" sind, ist in §1 EpiG bestimmt, wobei der zuständige Bundesminister durch Verordnung weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterwerfen kann (für COVID-19 die Verordnung BGBl II 15/2020). Der Verordnungsgeber hatte in Ansehung des Standes und der Ausbreitung der Krankheit sowie der in Geltung stehenden übrigen Maßnahmen notwendig prognosehaft zu beurteilen, ob und inwieweit die Beschränkung des Verkehrs gegenüber dem Ausland geeignet, erforderlich und insgesamt angemessen war. Das Bedenken des Antragstellers, die angefochtene Verordnung stütze sich auf eine nicht hinreichend determinierte und daher verfassungswidrige Verordnungsermächtigung, trifft daher nicht zu.

Individuelle Betrachtung des Reiseverlaufes jedes Einreisenden bzw stärkere Differenzierung nach Herkunftsregionen sowie ein Vergleich mit dem Infektionsgeschehen in Österreich im Frühjahr 2021 nicht geboten: Entscheidungen über die nach §25 EpiG zu treffenden Maßnahmen müssen in Anbetracht sich rasch ändernder epidemiologischer Gegebenheiten und des bei neu auftretenden Infektionskrankheiten bzw Krankheitsvarianten vielfach unvollständigen Wissensstandes typischerweise unter hoher Unsicherheit getroffen werden. Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen gesetzlich vorgesehen und auch gefordert ist. Der Verordnungsgeber hat dabei die Entwicklungen notwendigerweise ex ante zu betrachten. Dass eine Maßnahme ex post betrachtet auf Grund neuer Einsichten möglicherweise anders zu treffen gewesen wäre, macht die Entscheidung daher nicht gesetzwidrig.

Quarantäneanordnungen wie jene nach §3 iVm §4 Abs2 COVID-19-EinreiseV waren Vorsorgemaßnahmen, die prinzipiell geeignet waren, einen Beitrag zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu leisten, und zwar auch dann, wenn sie auf die Einreise aus Staaten mit geringeren Inzidenzen als jenen Österreichs bezogen waren, zumal der BMSGPK zutreffend darauf hingewiesen hat, dass einer Berücksichtigung der epidemiologischen Situation in den jeweiligen Herkunftsstaaten und der dort jeweils angeordneten (und auch tatsächlich effektuierten) Maßnahmen durch die Möglichkeiten zur Erhebung dieser Informationen Grenzen gesetzt waren. Der VfGH ist ferner der Auffassung, dass von den Gesundheitsbehörden im Inland gesetzte Maßnahmen zur Bekämpfung von Seuchen nur eingeschränkt mit Maßnahmen vergleichbar sind, die zu diesem Zweck bei der Einreise aus dem Ausland getroffen werden. Eine Quarantäneverpflichtung bei Einreisen aus dem Ausland ist daher nicht nur dann zulässig, wenn im Inland bei einer entsprechenden Inzidenzbelastung wie im Herkunftsstaat ebenfalls entsprechende Verkehrsbeschränkungen verfügt werden. Abgesehen davon hatte der BMSGPK neben der jeweiligen Inzidenzbelastung in Österreich bzw im Herkunftsstaat weitere Gesichtspunkte (wie etwa die Lage der nationalen Gesundheitsinfrastruktur) zu berücksichtigen. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen "Daheimgebliebenen und Einreisenden" fand daher nicht statt, zumal im maßgeblichen Zeitraum auch im Inland erhebliche Verkehrsbeschränkungen in Geltung standen.

Der VfGH vermag dem BMSGPK auch nicht entgegenzutreten, wenn er bei der Regelung des Einreiseverkehrs im Rahmen der Bekämpfung der COVID‑19‑Pandemie im April 2021 nach Herkunftsstaaten differenziert und nicht etwa (in Abhängigkeit vom jeweiligen Pandemiegeschehen) auf Regionen von Staaten abgestellt hat, weil er den Erfordernissen der Administrierbarkeit des Grenzübertrittsrechtes angesichts erheblicher internationaler Mobilität Rechnung tragen musste. Aus diesen Gründen war die verordnungserlassende Behörde umso weniger verpflichtet, auf die jeweiligen individuellen Reiseumstände abzustellen. Angesichts des epidemiologischen Geschehens im April 2021 begegnet es sodann auch keinen Sachlichkeitsbedenken, wenn die Quarantäneregelungen nach §4 und §5 der COVID-19-EinreiseV im Ergebnis für die Einreise aus den meisten Staaten der Welt gegolten haben und lediglich die Einreise aus wenigen Staaten begünstigt war.