E1414/2020, E451/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Der Beschwerdeführer hat bereits in seiner Einvernahme vor der Verwaltungsbehörde - was das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verkennt - nicht bloß abstrakt und ohne jegliche Konkretisierung die Befürchtung des sexuellen Missbrauchs seiner Person vorgebracht, sondern konkrete Belästigungen geschildert und darauf aufbauend Befürchtungen hinsichtlich künftigen sexuellen Missbrauchs geäußert. Er hat somit einerseits erfolgte und andererseits drohende Eingriffe in sein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung iSd §20 Abs2 AsylG 2005 behauptet. Es ist aus den Akten auch nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer über die in §20 Abs1 AsylG 2005 eingeräumte Möglichkeit in Kenntnis gesetzt wurde, durch einen Organwalter desselben Geschlechts einvernommen zu werden, oder er anderes verlangt hätte. Daraus ergibt sich, dass in dieser Sache ein männlicher Richter hätte verhandeln müssen.
Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer bereits einundzwanzig Jahre alt ist und er nach Ansicht des BVwG auf Grund seines Alters und männlichen Erscheinungsbildes nicht mehr Gefahr laufe, in Afghanistan als "Tanzjunge" sexuell missbraucht zu werden. Auch durch diese rechtliche Bewertung wird die durch die Behauptung des Eingriffes in die sexuelle Selbstbestimmung begründete Zuständigkeit nach §20 Abs2 AsylG 2005 nicht beseitigt, hat doch bei der Begründung der Zuständigkeit nach §20 Abs2 AsylG 2005 keine Prüfung der Glaubwürdigkeit oder eines Zusammenhanges mit dem konkreten Fluchtvorbringen zu erfolgen.
(Vgl auch E v 15.03.2023, E451/2023: Entscheidung durch eine Richterin weiblichen Geschlechts; Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, da der Beschwerdeführer auf Grund einer bevorstehenden Hochzeit mit einer Frau aus dem französischsprachigen Teil Kameruns entführt und gefoltert worden sei.)