G352/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Keine Verfassungswidrigkeit der Wortfolge ", sich tatsächlich in Wien aufhält" in §4 Abs1 Wr MindestsicherungsG.
Gemäß §4 Abs1 Z2 Wr MindestsicherungsG kommt ein Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nur demjenigen zu, der "seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss".
Das Gesetzesprüfungsverfahren hat die vorläufige Annahme des VfGH bestätigt, dass diese drei Voraussetzungen nach dem Willen des Wiener Landesgesetzgebers kumulativ zu erfüllen sind. Als zutreffend hat sich auch erwiesen, dass der in Prüfung gezogenen Wortfolge eine engere Bedeutung beizumessen ist als dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes und sie - anders als dieser - die dauerhafte, faktische Anwesenheit an einem Ort erfasst.
Die in Prüfung gezogene Norm lässt sich jedoch im Zusammenhang mit §21 Wr MindestsicherungsG verfassungskonform dahin auslegen, dass nur bei einer Abwesenheit von Wien in der Dauer von mehr als zwei Wochen ein Anspruchsverlust von Leistungen der Mindestsicherung eintritt und dass auch in diesem Fall die - in verfassungskonformer Interpretation gebotene - Anwendung des §17 Wr MindestsicherungsG verhindern kann, dass ein Fortbestand des Wohnbedarfs oder eines Bedarfs nach Taschengeld im Zeitraum der Abwesenheit zur Gänze unberücksichtigt bleibt.
Angesichts dessen, dass es nach dieser Interpretation der Bestimmungen des Wr MindestsicherungsG bei einer für den Anspruch unschädlichen Abwesenheit von Wien bis zu zwei Wochen auf den jeweiligen Grund der Abwesenheit nicht ankommt, bietet das Gesetz auch genügend Spielraum für eine angemessene Wahrnehmung nahezu aller in Betracht kommenden berücksichtigungswürdigen persönlichen Gründe, die Anlass für solche Abwesenheiten geben können. Die auf diese Weise auch im Falle einer großen Zahl von Verfahren einfach handhabbare Regelung kann zwar im Falle einer auch nur geringfügigen Überschreitung der Zweiwochenfrist zu Härtefällen führen, doch macht dies allein die Norm nicht verfassungswidrig.
(Anlassfall E1864/2014, E v 10.12.2015, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Verletzung der Beschwerdeführerin im Gleichheitsrecht).