G118/2015 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Aufhebung von Teilen des §1, §5, §42 und §47g TabakmonopolG 1996 - TabMG 1996 idF des 2. AbgabenänderungsG 2014, BGBl I 105.
Zulässigkeit der Individualanträge.
Die angefochtenen Regelungen zur Monopolisierung der "verwandten Erzeugnisse" treten zwar erst zu einem Zeitpunkt nach Stellung des Antrages beim VfGH, nämlich am 01.10.2015, in Kraft. Ungeachtet dessen zeitigen die Bestimmungen jedoch Vorwirkungen dergestalt, dass die Antragsteller bereits ab Kundmachung entsprechende Maßnahmen (zB müssen Vertragsverhältnisse [Mietverträge für Lagerräume und Geschäftslokale, bindende Kauf- und Lieferverträge, Arbeitsverträge mit Mitarbeitern etc] gekündigt werden) vorzunehmen haben.
Die Zulässigkeit ist ab jenem Zeitpunkt zu bejahen, der es erlaubt, über die Rechtmäßigkeit des beanstandeten Eingriffs eine Klärung derart herbeizuführen, dass die damit verbundenen Aufwendungen vermieden oder doch verringert werden können (vgl VfSlg 18896/2009 und 15773/2000).
Die Kundmachung des Gesetzes erfolgte mit Bundesgesetzblatt vom 29.12.2014. Aus dem zum 01.10.2015 vorgesehenen Inkrafttreten resultierte daher bereits ab dem 30.12.2014 die Notwendigkeit zur Schaffung umfangreicher Vorkehrungen, um sich ab 01.10.2015 rechtskonform verhalten zu können.
Kein zumutbarer Umweg.
Die Antragsteller streben nicht den Betrieb einer Tabaktrafik an, sondern nur den Vertrieb von E-Zigaretten, deren Zubehör und Liquids. Die Antragsteller zu G118/2015 und G131/2015 vertreiben ihre Produkte über einen Online-Shop, dieser Vertriebsweg könnte selbst bei der Erlaubnis zum Betrieb einer Tabaktrafik nicht weiter ausgeübt werden. Hinzu kommt, dass das Verfahren der Bewerbung um eine Tabaktrafik und das zivilgerichtliche Verfahren selbst bei unverzüglicher Antragsstellung eines Gerichts zur Aufhebung der angefochtenen gesetzlichen Bestimmungen nicht vor Inkrafttreten der Rechtsvorschriften abgeschlossen wäre, weswegen der Betrieb mit verwandten Erzeugnissen für die Zeit bis zur Entscheidung des VfGH ausgesetzt werden müsste. Bei einem fortgesetzten Betrieb der Produkte über den 30.09.2015 hinaus drohte eine (nicht zumutbare) Sanktion gemäß §42 TabMG 1996.
Eine Bewerbung bei der Monopolverwaltung GmbH zur Bestellung als Tabaktrafikant kann schon deshalb kein zumutbarer Weg sein, weil die angefochtenen Bestimmungen des TabMG 1996 (§1, §42 und §47g Abs1 TabMG 1996) im Bestellungsverfahren und im anschließenden zivilrechtlichen Verfahren nicht präjudiziell wären. Die Bestellung ist nämlich nicht davon abhängig, welche Produkte der Tabaktrafikant verkaufen darf.
Die Neuregelung bewirkt eine Ungleichbehandlung von Fachhändlern für E-Zigaretten einerseits und Tabaktrafikanten anderseits dadurch, dass ab 01.10.2015 nur noch Trafikanten, nicht aber Fachhändler E-Zigaretten vertreiben dürfen. Die Ungleichbehandlung ist die direkte Folge der Gleichbehandlung der E-Zigaretten mit herkömmlichen Tabakprodukten.
Die ins Treffen geführten gesundheits- und jugendschutzpolitischen Gründe vermögen die auf den Vertrieb bezogene Differenzierung nicht zu rechtfertigen. Diese Gründe vermögen für eine Ungleichbehandlung mit Tabaktrafikanten zunächst schon deswegen keine Sachlichkeit zu begründen, weil aus der Gegenüberstellung der gesetzlichen Vertriebsvorschriften für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse mit jenen, die derzeit für Fachhändler nach der Gewerbeordnung bestehen, keine Diskrepanz im Ausmaß des Gesundheits- und Jugendschutzes durch unterschiedliche Verkaufsmodalitäten erkennbar ist. Das Verbot der Abgabe von Tabakerzeugnissen und die Modalitäten des Verkaufs von verwandten Erzeugnissen an Jugendliche werden in den Jugendschutzgesetzen der Länder geregelt und gelten für Tabaktrafiken und Tabakverkaufsstellen bzw Fachgeschäfte für E-Zigaretten gleichermaßen.
Im Übrigen ist die Nichteinhaltung der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften nahezu wortgleich für schwerwiegende Verstöße durch §87 Abs1 Z3 GewO und durch den diesem nachgebildeten §35 Abs2 Z3 TabMG 1996 sanktioniert, mit der Maßgabe, dass im einen Fall die Gewerbeberechtigung zu entziehen, im anderen Fall der Bestellungsvertrag zu kündigen ist.
Auch in der Sicherung der Einkünfte von Tabaktrafikanten vermag der VfGH keinen sachlichen Grund für den Vorbehalt des Vertriebs von E-Zigaretten zugunsten von Tabaktrafikanten zu erblicken.
Die angefochtenen Rechtsvorschriften ordnen das Ende einer rechtmäßig ausgeübten Tätigkeit an. Ein solcher Eingriff wiegt schwerer als eine Ausübungsbeschränkung, die bloß einzelne Modalitäten der Erwerbsausübung regelt und modifiziert, nicht aber die grundsätzliche Zulässigkeit berührt. Die Anordnung der Beendigung einer gewerblichen Tätigkeit kommt in seinen nachteiligen Konsequenzen einer Antrittsbeschränkung jedenfalls gleich und wird sie in manchen Konstellationen übertreffen. Der Gesetzgeber ist daher am selben strengen Maßstab zu messen, wie er für Erwerbsantrittsschranken herangezogen wird.
Die angefochtenen gesetzlichen Regelungen sind zur Erreichung der gesundheits- und jugendpolitischen Ziele wenigstens teilweise geeignet. Zur Erreichung des Zieles der Sicherung der Einkünfte von Tabaktrafikanten sind die Regelungen isoliert gesehen zwar geeignet. Dieses Ziel ist aber nur insoweit im öffentlichen Interesse gelegen, als das dahinter stehende Ziel der Sicherung der Existenz von Personen mit Behinderung erreicht werden kann. Wie ein Blick auf die gesetzlichen Regelungen zeigt, muss bei Bestellung von Familienangehörigen nach Ende der Tätigkeit eines Trafikanten das Kriterium der Behinderung nicht erfüllt sein. Tatsächlich liegt der Anteil der Betreiber von Tabakfachgeschäften mit Behinderung nur bei rund der Hälfte. Angesichts dessen kann in der Erweiterung des den Trafiken vorbehaltenen Sortiments keine Maßnahme erblickt werden, die zur Erreichung des sozialpolitisch gewichtigen Zieles geeignet ist.
Die angestrebten Ziele des Gesundheits- und Jugendschutzes wiegen gewiss schwer. Allerdings ist zu beachten, dass der Verkauf von Tabakwaren heute in Tabaktrafiken, über Automaten (siehe §36 Abs8, §40 Abs1 TabMG 1996) und in jenen Räumlichkeiten, die §40 Abs1 TabMG 1996 entsprechen (zB Gaststätten, Tankstellen [Erlass des Bundesministeriums für Finanzen TabMG GZ9000/7-III/11/98 v. 27.7.1998]) erfolgt. Es ist nicht erkennbar, inwieweit der Verkauf von verwandten Erzeugnissen durch Trafikanten eine höhere Gewähr für den Gesundheits- und Jugendschutz bietet als der Verkauf durch Fachhändler. Letztere unterliegen einer gewerbebehördlichen Aufsicht. Im Falle, dass der Gesetzgeber befindet, dass die Instrumente der Aufsicht über Fachhändler nicht hinreichend wären, läge ein gelinderes Mittel in der Verschärfung der Aufsicht über die Fachhändler. Die Beschränkung des Verkaufs von E-Zigaretten bildet für Unternehmer, welche die Tätigkeit bereits ausüben (gegebenenfalls unter Verlust von Investitionen), einen gravierenderen Eingriff als für Personen, die die Tätigkeit erst in der Zukunft ausüben wollen. In beiden Fällen vermögen die verfolgten Ziele die Schwere des Eingriffs nicht zu rechtfertigen. Sie erweisen sich damit als unverhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts auf Freiheit der Erwerbsausübung.
Im Verfahren nach Art140 B-VG ist die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht vorgesehen. Auch eine analoge Anwendung des §85 VfGG kommt nicht in Betracht.
§20a VfGG beinhaltet kein Antragsrecht. Ein entsprechender einstweiliger Rechtsschutz wäre vielmehr - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen - vom VfGH von Amts wegen zu verfügen.