G193/2014 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Teilweise Zulässigkeit der Anträge des Verwaltungsgerichtes Wien auf Aufhebung von Bestimmungen des §89 SicherheitspolizeiG - SPG idF des Verwaltungsgerichtsbarkeits-AnpassungsG-Inneres - VwGAnpG-Inneres, BGBl I 161/2013.
Die Präjudizialität ist - je nach Verfahrensstadium der Anlassfälle - unterschiedlich zu beurteilen. In den Verfahren zu G193/2014 und G218/2014 hat das Verwaltungsgericht Wien derzeit lediglich die in Abs1 des §89 SPG festgelegte Verpflichtung, die den Anträgen zugrunde liegenden Beschwerden der zuständigen Dienstaufsichtsbehörde weiterzuleiten; Abs4 des §89 SPG ist (noch) nicht anzuwenden, womit in den Anlassfällen der beiden Verfahren zu G193/2014 und G218/2014 die Anwendung des Abs4 des §89 SPG denkunmöglich ist, womit dieser nicht präjudiziell ist.
In G206/2014 und G215/2014 besteht hingegen nur noch die Verpflichtung zur Entscheidung nach Abs4 des §89 SPG, da die jeweiligen Beschwerdeführer die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien über das Vorliegen einer Richtlinienverletzung bereits verlangt haben. Damit hat das Verwaltungsgericht Wien den Abs4 des §89 SPG, nicht aber den Abs1 des §89 SPG denkmöglich anzuwenden.
Mangelnde Präjudizialität einzelner Bestimmungen des angefochtenen §89 SPG führt nicht zur Zurückweisung der Anträge zur Gänze. Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nämlich nicht in jedem Fall unzulässig. Soweit der Antrag nur Normen erfasst, die präjudiziell sind oder mit solchen untrennbar zusammenhängen, führt dies, ist der Antrag in der Sache begründet, im Fall der Aufhebung nur eines Teils der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zur partiellen Abweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig nicht präjudiziell sind, führt dies - wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit offensichtlich trennbar sind - im Hinblick auf diese Bestimmungen zur teilweisen Zurückweisung des Antrages.
Die Anträge zu G193/2014 und G218/2014 sind daher zurückzuweisen, soweit sie sich gegen §89 Abs4 SPG richten, ebenso jene zu G206/2014 und G215/2014, soweit sie die Aufhebung des §89 Abs1 SPG und der Wortfolge ", wenn auch beim Landesverwaltungsgericht (Abs1)," in Abs2 des §89 SPG begehren.
§89 SPG normiert, dass die Landesverwaltungsgerichte - soweit in einer Beschwerde die Verletzung einer gemäß §31 SPG festgelegten Richtlinie behauptet wird - die Beschwerde (in einem ersten Schritt) an die in dieser Sache zuständige Behörde weiterzuleiten haben. Eine Zuständigkeit zur Entscheidung über die behauptete Verletzung der Richtlinie kommt den Landesverwaltungsgerichten in keiner Weise zu.
Damit mangelt es aber schon an der Voraussetzung nach Art130 Abs2 B-VG, der ausdrücklich davon spricht, dass "[d]urch Bundes- oder Landesgesetz [...] sonstige Zuständigkeiten de[n] Verwaltungsgerichte[n] zur Entscheidung" übertragen werden können. Hier handelt es sich bloß um eine schlichte Verpflichtung, beim Landesverwaltungsgericht eingebrachte Beschwerden an die zuständige Behörde weiterzuleiten, nicht hingegen um die Übertragung einer Zuständigkeit zur Entscheidung iSd Art130 Abs2 B-VG. Schon deshalb war die Zustimmung der Länder zur Kundmachung der Z14 des Art14 VwGAnpG-Inneres im Hinblick auf §89 Abs1 und Abs2 SPG nicht erforderlich.
§89 SPG Abs4 überträgt den Landesverwaltungsgerichten die Entscheidung über Richtlinienbeschwerden.
Art130 B-VG regelt jene Zuständigkeiten, die den Verwaltungsgerichten von Verfassungs wegen zukommen. Die Z1 bis Z4 des Abs1 bestimmen den Beschwerdegegenstand (nämlich Bescheid, Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, Verletzung der Entscheidungspflicht und Weisung) und den Prüfungsmaßstab. Nach Art130 Abs2 Z1 B-VG können durch Bundes- oder Landesgesetz sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde vorgesehen werden. Diese "Verhaltensbeschwerde" hat - im Gegensatz zu den in Abs1 des Art130 B-VG geregelten "typengebundenen Verwaltungshandeln" der Z1 bis Z4 - "typenfreies" Verwaltungshandeln zum Gegenstand.
Gegenstand einer Richtlinienbeschwerde ist das Verhalten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§5 SPG), das am Maßstab der gemäß §31 SPG erlassenen Richtlinien-Verordnung (RLV) zu messen ist. Damit ist die Richtlinienbeschwerde eine "Verhaltensbeschwerde" nach Art130 Abs2 Z1 B-VG.
Eine Klarstellung des Gesetzgebers in dem Sinn, dass die bisherige Kompetenz der unabhängigen Verwaltungssenate, über Beschwerden gegen Richtlinienverletzungen zu entscheiden, nunmehr von den Verwaltungsgerichten wahrzunehmen ist, ist aber keine Begründung einer neuen Zuständigkeit, die eine Zustimmung der Länder nach Art130 Abs2 letzter Satz B-VG erforderlich gemacht hätte.
Art131 B-VG verteilt die in Art130 B-VG vorgesehene generelle Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zwischen den Verwaltungsgerichten des Bundes und der Länder. Die Verteilung der Zuständigkeiten in Bezug auf die vier Haupttypen des Verwaltungshandelns (Art130 Abs1 Z1 bis Z4 B-VG) erfolgt in den Abs1 bis Abs5 des Art131 B-VG. Der Abs6 des Art131 B-VG regelt die Verteilung der Zuständigkeiten für den Fall, dass typenfreie Verhaltensbeschwerden nach Art130 Abs2 Z1 B-VG einfachgesetzlich vorgesehen sind. Die Verteilung erfolgt - abgesehen von taxativ aufgezählten Ausnahmen - zugunsten der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder durch eine Generalklausel (Art131 Abs1; vgl auch Abs6 aE B-VG).
Bei der Richtlinienbeschwerde handelt es sich um eine Beschwerde gegen typenfreies Verwaltungshandeln der Sicherheitsexekutive nach Art130 Abs2 Z1 B-VG; die Entscheidung darüber wurde von den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern an die Verwaltungsgerichte der Länder durch das SPG übertragen. Als Beschwerde nach Art130 Abs2 Z1 B-VG unterfällt sie nicht den Regelungen der Abs2 bis Abs5 des Art131 B-VG, sondern der Sonderregel des Abs6 des Art131 B-VG.
Diese Verfassungsbestimmung verweist ihrerseits auf die in den vorangehenden Absätzen verteilten Zuständigkeiten in Bezug auf die vier Haupttypen des Verwaltungshandelns (Art130 Abs1 Z1 bis 4 B-VG). Für die Entscheidung über eine einfachgesetzlich eingerichtete "Verhaltensbeschwerde" ist demnach jenes Verwaltungsgericht zuständig, das in der jeweiligen Angelegenheit über Beschwerden gegen die "vier Haupttypen" entscheidet.
In den Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung fallen die Haupttypen des Verwaltungshandelns jedenfalls unter die Generalklausel des Art131 Abs1 B-VG und damit in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder, da die Sicherheitsverwaltung weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt wird. Dieser Zuständigkeit folgt die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Beschwerde wegen behaupteten Fehlverhaltens eines Organs nach §5 SPG in Ausübung der Sicherheitspolizei im Bereich der Sicherheitsverwaltung schlechthin. Geht es hingegen etwa in einer Richtlinienbeschwerde um das Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Ausübung der Fremdenpolizei, so wäre in Anwendung dieses Systems, da diese von Bundesbehörden vollzogen wird, gemäß Rückverweisung auf Art131 Abs2 B-VG das Verwaltungsgericht des Bundes zuständig.