G255/2015 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Zurückweisung der Anträge, soweit sie die Aufhebung des §89 Abs4 SicherheitspolizeiG - SPG idF BGBl I 161/2013 begehren. Im Übrigen Abweisung der Anträge.
Die Anwendung des §89 Abs1 und Abs2 SPG durch das Verwaltungsgericht Wien ist denkmöglich, da in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren Beschwerden nach §89 Abs1 SPG eingebracht wurden, in denen eine Richtlinienverletzung durch das Verhalten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes behauptet wird. Abs4 des §89 SPG ist hingegen vom Verwaltungsgericht Wien (noch) nicht anzuwenden, da im Zeitpunkt der Anträge beim VfGH in den den Anträgen zugrunde liegenden Verfahren noch kein Entscheidungsverlangen gemäß Abs4 des §89 SPG vorlag, weshalb dieser Absatz (offenkundig) noch nicht präjudiziell ist.
Zulässigkeit der Anträge auf Aufhebung des §89 Abs1 und Abs2 SPG.
Zwar ist die im zu G193/2014 protokollierten Antrag geprüfte Norm mit der nunmehr zur Prüfung gestellten Norm ident und auch das vom antragstellenden Gericht vorgebrachte Bedenken der fehlenden Zustimmung der Länder nach Art130 Abs2 letzter Satz B-VG stimmt mit jenem überein, über das bereits im E v 24.06.2015, G193/2014 ua, mit einer Abweisung des damaligen Antrages abgesprochen wurde. Da in den vorliegenden Anträgen jedoch ein weiteres Bedenken geltend gemacht wird, nämlich dass §89 Abs1 und Abs2 SPG dem Art136 Abs2 B-VG nicht entspreche, über das noch nicht abgesprochen wurde, steht den Anträgen nicht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache entgegen.
Die Frage nach dem "Kodifikationsgebot" stellt sich schon deshalb nicht, weil es sich um eine abweichende Verfahrensregelung handelt, die nicht im VwGVG zu erlassen ist. Verfassungsrechtlich relevant ist, ob die nicht im VwGVG enthaltene Verfahrensregel entweder zur Regelung des Gegenstandes nach Art136 Abs2 letzter Satz 1. Alt. B-VG erforderlich ist oder das VwGVG selbst den Materiengesetzgeber zu einer Regelung gemäß Art136 Abs2 letzter Satz 2. Alt. B-VG ermächtigt.
Genau dies trifft hier zu: §53 VwGVG, der im 3. Abschnitt des 3. Hauptstückes des VwGVG (allein) das Verfahren über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde nach Art130 Abs2 Z1 B-VG regelt und sich diesbezüglich in einem Verweis auf die Bestimmungen über Beschwerden gegen unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt erschöpft ("sinngemäße Anwendung"), steht unter dem Vorbehalt "[s]oweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist". Das SPG als Bundesgesetz enthält mit §89 Abs1 und 2 SPG jedoch eine solche "andere" Bestimmung. Schon deshalb ist auf die Frage, ob die Normierung der Verwaltungsgerichte als Einbringungsstelle gemäß §89 Abs1 und 2 SPG "erforderlich" ist, nicht mehr einzugehen, da das VwGVG selbst im Sinne des Art136 Abs2 letzter Satz 2. Alt. B-VG im Wege des §53 VwGVG den Materiengesetzgeber des SPG ermächtigt, dies abweichend zu regeln. Die diesbezüglichen Bedenken gehen sohin ins Leere.
Auch das Bedenken, der Bund hätte es verabsäumt, den Ländern Gelegenheit zu geben, an der Vorbereitung des §89 Abs1 und 2 SPG mitzuwirken, trifft nicht zu. Dies schon deshalb, weil sich das Mitwirkungsrecht der Länder gemäß Art136 Abs2 zweiter Satz B-VG lediglich auf die Vorbereitung des besonderen Bundesgesetzes, des VwGVG, bezieht.