30Bs208/25w – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A*wegen § 3g Abs 1 VG und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung des Genannten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 18. Juni 2025, GZ **-44.2, sowie dessen Beschwerde gegen den gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss nach der am 25. August 2025 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Hahn, im Beisein der Richterinnen Dr. Steindl und Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Wallenschewski sowie in Anwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidigerin Mag. Scheed durchgeführten Berufungsverhandlung
I./ zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II./ den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird Folgegegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und vom Widerruf der A* mit Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 29. April 2021, AZ **, des Bezirksgerichts Döbling vom 18. August 2022, AZ **, und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Dezember 2022, AZ **, gewährten bedingten Strafnachsichten gemäß § 53 Abs 3 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 2 StPO abgesehen. Gemäß § 494a Abs 6 StPO wird die Probezeit zu den beiden letztgenannten Urteilen jeweils auf fünf Jahre verlängert.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, auch einen Freispruch enthaltenden Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* (jeweils) des Vergehens der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und 2 StGB (I./1./), des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (I./2./) und der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB (II./) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und aktenkonformer Vorhaftanrechnung nach dem (ergänze:) ersten Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt.
Unter einem wurden gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO die mit Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 29. April 2021, rechtskräftig seit 25. Mai 2021, AZ **, mit Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 18. August 2022, rechtskräftig seit 22. August 2022, AZ **, und die mit am selben Tag in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Dezember 2022, AZ **, gewährten bedingten Strafnachsichten widerrufen.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* in **
I./ am 19. Jänner 2025
1./ die am ** geborene, somit unmündige, von einer Sozialeinrichtung der B* für minderjährige Personen abgängige C*, dadurch, dass er dieser in seiner Wohnung Unterschlupf gewährte, vor ihrem Erziehungsberechtigten, dem Kinder- und Jugendhilfeträger, verborgen gehalten;
2./ dadurch, dass er gegenüber den Polizeibeamten Insp D*, Insp E*, Insp F* und RevInsp G* - die aufgrund der Suche nach der minderjährigen und abgängigen C* in seiner Wohnung Nachschau hielten, die Abgängige fanden und planten diese mitzunehmen - aggressiv wurde und sinngemäß äußerte, er werde sie umbringen, sollten sie die Abgängige oder ihn angreifen, und sodann, als die Beamten die Festnahme vollziehen wollten, diesen starke Gegenwehr entgegensetzte und mehrere gezielte Tritte gegen den Brustbereich von RevInsp G* ausführte, Beamte mit Gewalt und gefährlicher Drohung an einer Amtshandlung zu hindern versucht;
II./ am 20. Jänner 2025 eine fremde Sache und einen wesentlichen Bestandteil der kritischen Infrastruktur, und zwar eine der öffentlichen Sicherheit dienende Einrichtung, beschädigt, nämlich durch Herunterschlagen der Deckenleuchte, Zerschneiden einer Matratze und Kratzen eines Lochs in die Wand in der Arrestzelle des PK H*.
Bei der Strafzumessung wertete das Geschworenengericht das einschlägig getrübte Vorleben, die Begehung während offenen Probezeiten und das Zusammentreffen von drei Vergehen als erschwerend, als mildernd hingegen die geständige Verantwortung hinsichtlich der Kindesentziehung.
Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte rechtzeitig eine in der Folge zurückgezogene (ON 46) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 45). In seiner zu ON 55 erstatteten, auf eine Herabsetzung der Sanktion abzielenden Berufungsschrift wurde auch die sich gegen den Widerrufsbeschluss richtende Beschwerde ausgeführt.
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu. Die im Übrigen vom Erstgericht richtig zur Darstellung gebrachten besonderen Strafzumessungsgründe sind zum Vorteil des Angeklagten betreffend des Faktums I./2./ um den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 13 2. Fall StGB zu ergänzen.
Weitere für den Angeklagten sprechende Umstände vermochte der Berufungswerber nicht aufzuzeigen.
Mag auch das bestehende Verwandtschaftsverhältnis (Onkel - Nichte) die Bereitschaft des Angeklagten zur Tatbegehung begünstigt haben, ist darin kein achtenswerter Beweggrund im Sinn des § 34 Abs 1 Z 3 StGB, der voraussetzt, dass dieser auch einem rechtstreuen Menschen die Begehung einer strafbaren Handlung nahelegt, zu erblicken. Nicht nur, dass er von der mehrtägigen Abgängigkeit des unter Obsorge des Kinder- und Jugendhilfeträgers stehenden 11-jährigen Mädchens wusste (ON 44.1,5), war er bestrebt die Kindesentziehung sogar nach Einschreiten der Polizei aufrecht zu erhalten (ON 44.1,6).
Die Tatsache, dass sich die Tatbegehung zu I./1./ nur über wenige Stunden erstreckte, war alleine dem – trotz äußerst unkooperativen Verhaltens des Angeklagten - erfolgreichen Polizeieinsatz geschuldet.
Gegenständlich vermag auch die behauptete Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund Konsums berauschender Mittel keine mildernde Wirkung zu entfalten, zumal sich der Berufungswerber selbst verschuldet in diesen Zustand versetzte und in Kenntnis der enthemmenden Wirkung war (siehe dazu auch die Verurteilung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Dezember 2022, AZ **, wegen § 287 Abs 1 StGB).
Bei objektiver Abwägung der besonderen – um den Milderungsgrund des Versuchs zu ergänzenden - Strafzumessungsparameter und der allgemeinen Kriterien im Sinn des § 32 Abs 2 und 3 StGB erweist sich die vom Geschworenengericht bei einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe im zweiten Strafdrittel ausgemessene 22-monatige Freiheitsstrafe gerade mit Blick auf die einschlägigen Vorstrafen des innerhalb dreier offener Probezeiten neuerlich straffällig gewordenen (zur schulderhöhenden Wirkung siehe RIS-Justiz RS0090597) Angeklagten der personalen Täterschuld und dem Unrechtsgehalt der drei Vergehen angemessen und der gewünschten Reduktion nicht zugänglich.
In Anbetracht der Wirkungslosigkeit der über A* seit dem Jahr 2021 anlässlich drei Verurteilungen verhängten Sanktionen, im Zuge derer ihm immer wieder die Rechtswohltat einer bedingten Strafnachsicht (zuletzt auch unter Anordnung von Bewährungshilfe) zuteil wurde, ging das Erstgericht zu Recht davon aus, dass gravierende spezialpräventive Bedenken der Annahme, dass die bloße Androhung der Vollziehung alleine oder in Verbindung mit begleitenden Maßnahmen genügen werde, den Angeklagten von einer neuerlichen Straffälligkeit abzuhalten, entgegen.
Hingegen erweist sich die Beschwerde im spruchgemäßen Umfang als berechtigt.
Da der Angeklagte nunmehr erstmals und über längere Zeit das Haftübel verspüren wird, erachtet das Berufungsgericht den Vollzug der mit Urteilen des Bezirksgerichts Hernals vom 29. April 2021, AZ **, des Bezirksgerichts Döbling vom 18. August 2022, AZ **, und des mit diesem im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB stehenden Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Dezember 2022, AZ **, bedingt verhängten Freiheitsstrafen, denen im Jahr 2021 bzw Anfang 2022 begangene Taten zugrunde lagen, zusätzlich zu der nunmehr zu verbüßenden Freiheitsstrafe nicht als geboten. Es ist davon auszugehen, dass unter dem Eindruck der nunmehrigen Haft, im Zuge derer auch eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der (mit-)tatkausalen Suchterkrankung möglich ist, der Inaussichtsstellung der Verbüßung einer weiteren Haftstrafe von insgesamt fast 20 Monaten im Falle einer neuerlichen Straffälligkeit innerhalb der nunmehr auch zu den beiden zuletzt ergangenen Verurteilungen auf das gesetzliche Höchstmaß verlängerten Probezeiten eine positive verhaltenssteuernde Wirkung beizumessen ist.