21Bs247/25i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Maruna als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Frigo und Dr. Bahr als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 27 Abs 1 Z 1, achter Fall, Abs 2a und Abs 3 und Abs 5 SMG, 15 StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Juni 2025, GZ *-138.1, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde Folge wird gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgewiesen.
Text
Begründung:
Mit am selben Tag rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Oktober 2023, GZ *-74.1, wurde A* wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach§ 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 2a, Abs 3 und Abs 5 SMG, 15 StGB, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Für die Dauer der Probezeit wurde gemäß §§ 50, 52 StGB Bewährungshilfe angeordnet und ihm mit seiner Zustimmung die Weisung erteilt, eine Drogentherapie zu absolvieren und dies vierteljährlich dem Gericht nachzuweisen.
Der Vollzug des unbedingt ausgesprochenen Strafteils erfolgte aufgrund der Vorhaftanrechnung mit Rechtskraft des Urteils, sodass A* unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung enthaftet wurde (ON 74.1, 4 und 8).
Nachdem sich der Betreuungsbeginn durch die Bewährungshilfe aufgrund des Vollzugs von Verwaltungsstrafen zunächst verzögerte (ON 81), wurde diese mit Dezember 2023 – zu Beginn überaus schleppend – aufgenommen. Anstelle der vorgesehenen 14-tägigen Kontaktfrequenz nahm der Verurteilte im Zeitraum Dezember 2024 bis 5. März 2024 lediglich zwei Termine war. Er meldete sich zwar telefonisch proaktiv beim Verein Neustart, dies jedoch überwiegend an Wochenenden oder in den Abend- und Nachtstunden. Ein Therapiebeginn fand bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht statt (ON 87).
Im März 2024 nahm der Verurteilte einen Erst- und einen Folgetermin zur Absolvierung einer Suchttherapie in Anspruch, ein Therapiebeginn war jedoch mangels Versicherung nicht möglich (ON 88).
Einen ersten über Antrag des Bewährungshelfers anberaumten Mahnungstermin bei Gericht mit dem Ladungsthema „förmliche Mahnung“ (ON 1.43) verpasste der Verurteilte (ON 92). Bei der folgenden mündlichen Mahnung am 14. Mai 2024 wurden dem Verurteilten die Einhaltung von Bewährungshilfe und Therapieweisung in Erinnerung gerufen (ON 96).
Nach weiterem Verbüßen von Ersatzfreiheitsstrafen im Polizeianhaltezentrum nahm der Verurteilte am 27. Juni 2024 mit dem Verein C* Kontakt auf, wobei aufgrund des Gesprächsverlaufs eine Betreuung des Verurteilten durch den Verein nicht in Betracht gezogen wurde. Termine beim Verein D*, die mit Unterstützung des Bewährungshilfe vereinbart wurden, nahm der Verurteilte nicht wahr. Während die Termineinhaltung bis 2. September 2024 gut funktionierte, fand im Anschluss an die an diesem Tag erfolgte Verurteilung – er wurde wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt; unter einem wurde die hier gegenständliche Probezeit auf fünf Jahre verlängert (ON 101.5) – vorerst kein weiterer persönlicher Kontakt mehr statt(ON 106).
Mit sodann erfolgter schriftlicher Mahnung vom 25. Oktober 2024 erinnerte das Erstgericht (ausschließlich) an die angeordnete Bewährungshilfe und drohte für den Fall des weiteren Kontaktabbruchs mit dem Bewährungshelfer den Widerruf der bedingten Strafnachsicht an (ON 108.1).
Mit Schreiben vom 11. November 2024 und 4. Dezember 2024 teilte das E* F* mit, dass sich der Verurteilte seit 14. August 2024 in Vorbetreuung befinde, seither regelmäßig psychosoziale Gesprächstermine wahrnehme und voraussichtlich noch 2024 die Aufnahme in die stationäre Therapie erfolgen könne (ON 110 und ON 112.1; insofern nicht nachvollziehbar, dass laut Bewährungshelferbericht vom 21. Oktober 2024 über telefonische Nachfrage seitens des E* der vom Verurteilten behauptete Therapieplatz nicht bestätigt wurde [ON 106, 4]). Die am 10. Dezember 2024 begonnene stationäre Therapie wurde jedoch nur zwei Tage später wegen unpassenden Verhaltens des Verurteilten von Seiten des E* wieder beendet (ON 114).
Daraufhin teilte der Bewährungshelfer am 18. Dezember 2024 mit, dass die Termintreue zur Bewährungshilfe seit dem letzten Bericht vom (gemeint wohl) 21. Oktober 2024 besser funktionieren würde, wobei nach wie vor ein niederschwelliges Terminangebot hierfür erforderlich sei. Nach Verlust seines Therapieplatzes habe dies der Verurteilte sofort dem Bewährungshelfer bekannt gegeben und sich selbständig um eine Wohnmöglichkeit bei der G* gekümmert (ON 116). Auch mit Bericht vom 19. Februar 2025 wurde über die zuletzt verlässliche Terminwahrnehmung berichtet (ON 120).
Mit Schreiben vom 27. Februar 2025 teilte das E* mit, dass A* bereits am 16. Dezember, also vier Tage nach Therapiebeendigung, um einen neuerlichen Therapiestart beim E* ersucht habe und sich seither in einer „Motivationsphase“ mit regelmäßig psychosozialen Gesprächsterminen befinde und er den Vereinbarungen im Rahmen der Vorbetreuung zuverlässig nachgekommen sei. Die Aufnahme ins stationäre Programm sei mit 4. März 2025 geplant (ON 122; insofern erweist sich die Formulierung im Bewährungshelferbericht, er sei „nie für eine Aufnahme am 18. Februar 2025“ vorgesehen gewesen [vgl ON 120, 3], abermals als fragwürdig, zumal das E* selbst zunächst eine Aufnahme für 18. oder 25. Februar in Aussicht gestellt hatte [ON 120, 4, unterstes E-Mail).
Nach Therapieantritt am 4. März 2025 wurde die Therapie neuerlich wegen respektlosen Verhaltens des Verurteilten am 17. März 2025 durch das E* beendet (ON 124.2). Dies gab er sofort seinem Bewährungshelfer bekannt. Persönliche Termine verpasste er in weiterer Folge, hielt jedoch telefonisch, wenngleich teilweise zu unpassenden Zeiten, Kontakt (ON 129). Am 28. April 2025 nahm er wiederum einen persönlichen Termin beim Bewährungshelfer wahr (ON 134).
Mit dem angefochtenen Beschluss widerrief das Erstgericht sodann aufgrund des darauf lautenden Antrags der Staatsanwaltschaft vom 16. April 2025 (ON 130) ohne Einholung einer Strafregisterauskunft (§ 495 Abs 3 StPO) die A* mit dem genannten Urteil gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 53 Abs 2 StGB (ON 138.1).
Begründend führte es zusammengefasst aus, dass der Verurteilte trotz zahlreicher Bemühungen seitens der Bewährungshilfe und zweimaliger Mahnung durch das Gericht seine Auflagen nicht ansatzweise erfüllt habe. Seinen gegenteiligen Beteuerungen, er wolle sein Leben ändern, könne kein Glauben geschenkt werden (ON 138.1).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die rechtzeitige, schriftlich ausgeführte Beschwerde des Verurteilten, die das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs 2 StGB bestreitet und der die Berechtigung nicht abzusprechen ist.
Gemäß § 53 Abs 2 StGB hat das Gericht die bedingte Strafnachsicht oder eine bedingte Entlassung zu widerrufen und die Strafe oder den Strafrest vollziehen zu lassen, wenn der Rechtsbrecher während des vom Gericht bestimmten Zeitraums eine Weisung trotz förmlicher Mahnung mutwillig nicht befolgt oder sich beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzieht und der Widerruf nach den Umständen geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten.
Ein beharrlicher Entzug bedeutet, dass der Verurteilte die Einflussmöglichkeiten des Bewährungshelfers durch wiederholtes oder andauerndes Verhalten ausschaltet und solcherart zu erkennen gibt, Beratung und Hilfe des Bewährungshelfers nicht annehmen zu wollen, vielmehr die Bewährungshilfe zur Gänze negiert (vgl Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 11 mwN; Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 53 Rz 9).
Unter Mutwilligkeit des Weisungsbruchs ist in diesem Kontext jede Form des Vorsatzes zu verstehen (vgl Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 10): Der Widerruf nach § 53 Abs 3 erster Fall StGB setzt die Erteilung einer förmlichen Mahnung und die nachfolgende Nichtbefolgung der Weisung aus bösem Willen voraus; diese Mahnung ist schon in formeller Hinsicht conditio sine qua non des Widerrufsgrundes der (böswilligen) Nichtbefolgung einer Weisung (RIS-Justiz RS0092796). Die Mahnung muss förmlich (mündlich bei einer Vernehmung oder schriftlich durch Zustellung eines entsprechenden Schriftstücks) erfolgen. Es muss zwar nicht ausdrücklich der Widerruf bei weiterer Nichtbefolgung angedroht werden (12 Os 115/84), jedoch muss dem Verurteilten in förmlicher Weise die erteilte Weisung noch einmal nachdrücklich in Erinnerung gebracht und er ermahnt werden, die Weisung zu befolgen ( Birklbauer/Oberlaber , SbgK § 53 Rz 36); mit anderen Worten muss darin die ursprüngliche Weisung wiederholt werden. Maßgebend für die Beurteilung der Mutwilligkeit ist die Zeit nach erfolgter förmlicher Mahnung ( Tipold in Leukauf/Steininger, StGB 4 § 53 Rz 12)
Zusätzlich erfordert der Widerruf der bedingten Strafnachsicht als weitere Voraussetzung die Annahme, dass dies nach den Umständen geboten erscheint, um den Verurteilten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 2 StGB). Konkrete Anhaltspunkte müssen demnach Anlass zur Besorgnis geben, dass der Verurteilte seine soziale Integration nicht anstrebt und sich ohne Einwirkung des Strafvollzugs nicht straffrei verhalten werde ( Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 9); es muss eine ungünstige Prognose vorliegen ( Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 53 Rz 5).
Während im Anwendungsbereich des § 53 Abs 1 StGB neue Delinquenz bereits eingetreten ist, stellt die Nichtbeachtung von Weisungen oder Bewährungshilfe (vorerst bloß) einen Akt des Ungehorsams dar, der erneute Straffälligkeit für die Zukunft befürchten lässt. Schon aus diesem Grund erscheint es angebracht, beim Widerruf nach Abs 2 leg cit zurückhaltender zu sein als im Fall des Abs 1 leg cit ( Birklbauer/Oberlaber , SbgK § 53 Rz 18 mH).
Vorauszuschicken ist, dass jedenfalls von einem überaus durchwachsenen Betreuungsverlauf und einer nicht zufriedenstellenden Weisungseinhaltung auszugehen ist und es sich um einen Grenzfall handelt. Das Rechtsmittelgericht verkennt auch nicht, dass gegen A* zu AZ ** zwischenzeitig Anklage wegen eines nach der Verdachtslage am 5. Oktober 2024 begangenen schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB erhoben wurde, er sich seit 11. Juli 2025 zu diesem Verfahren in Untersuchungshaft in der Justizanstalt-Josefstadt befindet und ein weiterer Strafantrag wegen des Vorwurfs nach §§ 127, 83 Abs 1 StGB, nach der Verdachtslage begangen am 2. September 2024, in das Verfahren einbezogen wurde.
Das Vorliegen der für den Widerruf nach § 53 Abs 3 StGB erforderlichen Mutwilligkeit bzw Beharrlichkeit kann jedoch fallkonkret nicht angenommen werden.
Angesichts des Umstands, dass der Kontakt zur Bewährungshilfe zwar oft nicht in der vom Bewährungshelfer angedachten Form, aber durchwegs stetig erfolgt ist und keine Phasen eines längeren oder dauerhaften Kontaktabbruchs vorlagen – die längste Phase, in der es keinen persönlichen Kontakt gab (wobei aus den Berichten des Bewährungshelfers nicht erhellt, ob dieser allenfalls telefonisch oder schriftlich stattfand) war von 2. September bis 21. Oktober 2024 (ON 106) mit unmittelbar danach anschließender deutlicher Verbesserung der Termineinhaltung (ON 116 und 120) –, der Verurteilte dem gegenüber sich immer wieder, wie den zahlreichen Berichten des Bewährungshelfers zu entnehmen ist, proaktiv meldete und beispielsweise auch von sich aus über beide Therapierverweise berichtete (ON 116 und 129), kann von einer das Wesen der Bewährungshilfe zur Gänze ablehnenden Haltung nicht gesprochen werden. Bemühungen, Probleme vereinzelt selbst zu lösen (ON 120, 129), schließen dabei nicht aus, dass er Beratung und Hilfe des Bewährungshelfers grundsätzlich annimmt (zuletzt ON 134).
Zur Weisungseinhaltung ist zunächst anzuführen, dass die Nicht-Befolgung der Therapieweisung ausschließlich in der mündlichen Mahnung am 14. Mai 2024 thematisiert wurde (ON 96). Eine Wiederholung des Weisungsinhalts auch in der schriftlichen Mahnung vom 25. Oktober 2024 ist dem Mahnungstext nicht zu entnehmen (ON 108.1), vielmehr fordert die „letztmalige förmliche Mahnung“ wörtlich ausschließlich die Wiederaufnahme des Kontakts zur Bewährungshilfe.
Zeitnah nach der mündlichen Mahnung und unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Verwaltungsstrafhaft setzte sich der Verurteilte am 27. Juni 2024 jedoch mit der C* in Verbindung, wobei ein dortiger Therapiebeginn seitens der C* nicht in Betracht gezogen wurde (ON 106). Sodann suchte der Verurteilte Anbindung beim E* F*: Den schon oben angeführten Schreiben des E* ist zusammengefasst zu entnehmen, dass er sich nach dem hier interessierenden Zeitpunkt von 14. August bis 10. Dezember 2024 in Vorbetreuung inklusive regelmäßiger psychosozialer Gesprächstermine (ON 110 und 112), von 10. Dezember bis 12. Dezember 2024 in stationärer Suchttherapie (ON 114), von 16. Dezember 2024 bis 4. März 2025 abermals „zuverlässig“ in Vorbetreuung (ON 122) und von 4. März bis 17. März 2025 wiederum in stationärer Therapie (ON 124.2) befand.
Mit Blick auf den Sinn der gebotenen Mahnung, dem Verurteilten die erteilte Weisung noch einmal nachdrücklich in Erinnerung zu rufen und solcherart deren Befolgung einzumahnen ( Jerabek/Ropper , WK 2StGB § 53 Rz 10), ist nach dem Vorgesagten davon auszugehen, dass die mündliche Mahnung genau dieses Ziel beim Verurteilten auch erreicht hat: Wenngleich es ihm freilich nicht gelungen ist, die angestrebte stationäre Therapie – dem Inhalt der Weisung nach wäre auch eine ambulante ausreichend gewesen – dauerhaft zu absolvieren, ist doch von steten Bemühungen um einen Therapieplatz und einer derart fast durchgehenden Anbindung zumindest in Vorbetreuung auszugehen, sodass auch hier nicht von der geforderten Mutwilligkeit des Weisungsbruchs nach erfolgter Mahnung ausgegangen werden kann.
Nachdem somit schon aus diesen Gründen die Voraussetzungen des § 53 Abs 2 StGB nicht erfüllt waren, war der Beschwerde des Verurteilten Folge zu geben und der erstgerichtliche Beschluss ersatzlos zu heben.
Es wird jedoch in weiterer Folge am Verurteilten liegen, dass seine Beteuerungen, sich um eine weitere Therapie zu bemühen, kein Lippenbekenntnis bleiben.