JudikaturOLG Wien

32Bs154/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
24. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und die fachkundige Laienrichterin Hofrätin Mag. Killinger, BA MA als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des A* über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 11. April 2025, GZ *11, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss in Ansehung der Entscheidung über die Erledigung des Leiters des Justizanstalt *

1) vom 14. November 2024 ersatzlos aufgehoben ;

2) vom 28. Oktober 2024 aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Dem Anstaltsleiter der Justizanstalt * wird die inhaltliche Entscheidung über die Beschwerde des A* vom 24. September 2024 aufgetragen.

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht eine Beschwerde des A* vom 1. November 2024 (ON 1.7 S 1 ff) gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters der Justizanstalt * vom 28. Oktober 2024 (ON 1.5 S 4 iVm S 1) ab.

Weiters erkannte das Erstgericht auch über die Erledigung des Anstaltsleiters vom 14. November 2024 bezüglich einer Beschwerde des A* gegen die Unterbringung in einer besonders gesicherten Zelle am 20. September 2024 (BS 6 und BS 7 f).

Soweit für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht von Relevanz ging das Erstgericht - wortwörtlich wiedergegeben – von folgendem Sachverhalt aus:

„Am 20. September 2024 ordnete der Traktkommandant die Durchführung der Verlegung A* an, wobei er von zwei Justizwachebeamten von der Krankenabteilung zum Haftraum 128 der 1. Abteilung eskortiert wurde. Dort angekommen verweigerte er die Belegung des Haftraumes mit der Begründung, dass er sicher nicht in Zwanggemeinschaft angehalten werde. Nachdem es den Beamten gelungen sei, A* in den Haftraum zu geben, habe dieser nach Schließung der Haftraumtüre vehement gegen die Haftraumtüre geschlagen und lauthals geschrien, dass er nicht in Zwangsgemeinschaft gehalten werden möchte. Die Justizwachbeamten öffneten den Haftraum, um A* zu erklären, dass er sich beruhigen soll und er sein aggressives Verhalten einstellen soll. Dieser Aufforderung kam er nicht nach und wurde mehr und mehr verbal aggressiv. Er bäumte sich gegenüber dem einen Justizwachebeamten auf und kam ihn sehr nahe, sodass anzunehmen war, dass er eventuell auch handgreiflich werden würde. Aufgrund dieses Verhaltens eilten weitere Justizwachebeamte zu Hilfe und wurde A* in die besonders gesicherte Zelle 1 1 6 eskortiert. Dort angekommen wurde er einer unter größtmöglicher Schonung und mit körperlicher Entblößung verbundenen Leibesvisitation unterzogen. Ein Justizwachebeamte erlitt bei diesem Einsatz eine Sehnenriss am rechten Mittelfinger (ON 5.4).

Gegen diese Vorgehen erhob A* am 24. September 2024 eine Beschwerde an den Leiter der Justizanstalt *, worin er sich einerseits über das Verhalten der Justizwachebeamten und die Verlegung in einer Absonderungszelle beschwerte. Die Beschwerde wegen des Verhaltens der Justizwachebeamten wurde aufgrund des Umstands, dass die Gewaltanwendung, verbunden mit einer damit einhergehenden Verletzung, als Strafanzeige gewertet wurde, an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt zur Überprüfung des Sachverhaltes weitergeleitet und die Zuständigkeit der Justizanstalt verneint. Dies wurde A* am 28. Oktober 2024 mündlich mitgeteilt (ON 1.5, S 4) und darüber ein Protokoll aufgenommen.

Am 14. November 2024 wurde A* persönlich die Abweisung der Beschwerde gegen die Unterbringung in der besonders gesicherten Zelle am 20. September 2024 mitgeteilt.“

Rechtlich erwog das Erstgericht - zusammengefasst wiedergegeben -, dass die Unterbringung des A* am 20. September in einer besonders gesicherten Zelle gemäß § 116 Abs 2 StVG zu Recht erfolgt sei (BS 7 f). Weiters wurde festgehalten, dass bei Zusammenschau „der geteilten Beschwerden“ A* auch die Gewaltanwendung im Rahmen der Verlegung in die besonders gesicherte Zelle am 20. September 2024 kritisiere. Dabei sei das körperlich aggressive Verhalten des A* belegt (BS 8 f). Darüber hinaus habe der konkrete Verdacht bestanden, dass A* bei der Verlegung gerichtlich strafbare Handlungen (Widerstand, Körperverletzung) zum Nachteil eines Justizwachebeamten gesetzt habe, sodass der Sachverhalt zur Klärung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt übermittelt worden sei. Das Verfahren sei in weiterer Folge von der Staatsanwaltschaft Leoben am 16. Dezember 2024 eingestellt worden. Zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Justizanstalt sei der Sachverhalt noch nicht strafrechtlich abgeklärt gewesen. Ausgehend vom konkreten Verdacht des Vorliegens von strafbaren Handlungen, die in die Zuständigkeit eines Landesgerichts fallen würden, hätten Ermittlungen durch die Justizanstalt aufgrund Subsidärität zu unterbleiben.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A*, der (weiterhin) die Verletzung des subjektiv-öffentlichen Rechts, die Anwendung von Gewalt auf das notwendige Maß zu beschränken (§ 104 Abs 2 StVG), behauptet.

Mit Administrativbeschwerde vom 24. September 2024 habe er die Verletzung des subjektiven Rechts nach § 104 Abs 2 StVG beim Anstaltsleiter der Justizanstalt * moniert. Mit Entscheidung vom 28. Oktober 2024 unter Ziffer 5 habe dieser entschieden, die Beschwerde abzuweisen, weil er sich nicht für zuständig erachte. Ob im weitläufigen Sachverhalt einer Administrativbeschwerde auch der Verdacht einer strafbaren Handlung nach dem StGB vorliege, sei unerheblich. Beide Verfahren hätten parallel zu laufen. Die Rechtsansicht des Vollzugsgerichts, dass der Anstaltsleiter bei Vorliegen des Verdachts einer gerichtlich strafbaren Handlung nicht zu ermitteln habe, sei unrichtig.

Weiters begründe das Erstgericht seine Entscheidung mit Behauptungen, die ihm gänzlich unbekannt seien; es habe dazu kein Parteiengehör gegeben. Folge man den Ausführungen des Erstgerichts, so werde er vom Anstaltsleiter der Justizanstalt * massiv denunziert. Als er am 19. September 2024 in die Justizanstalt * überstellt worden sei, habe er sich im gelockerten Vollzug und im Entlassungsvollzug befunden. Er habe keinerlei negative Eintragungen in seiner Vollzugsinformation gehabt. All das Negative, auf das sich das Erstgericht beziehe, sei vom Anstaltsleiter erst nach dem 20. September 2024 in die Vollzugsinformation eingetragen worden. Die Entscheidung sei jedoch aus ex-ante Sicht vorzunehmen.

Der Beschwerde sei Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz zurückzuverweisen (ON 12).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist im Recht.

1) Soweit das Erstgericht anführt, dass A* am 14. November 2024 persönlich die Abweisung der Beschwerde gegen die Unterbringung in der besonders gesicherten Zelle am 20. September 2024 mitgeteilt worden sei (BS 6), ist vorauszuschicken, dass sich die am 14. November 2024 kundgemachte Entscheidung des Anstaltsleiters auf eine nicht aktenkundige Eingabe des A* vom 2. Oktober 2024 bezieht (ON 1.6 S 1). Der Anstaltsleiter hält in seinem Bericht, mit dem er dem Erstgericht die Beschwerde des A* vom 1. November 2024 (ON 1.7) zur Kenntnis bringt (ON 1.4), auch ausdrücklich fest, dass sich der Strafgefangene mit dieser (ON 1.7; auch bezeichnet als „Eingabe Nr. 33“) gegen die abweisliche Entscheidung des Anstaltsleiters vom 28. Oktober 2024 über seine Eingabe Nr. 5 vom 24. September 2024 beschwere. Da sich A* in seiner Beschwerde vom 1. November 2024 an das Vollzugsgericht (ON 1.7) tatsächlich in Ansehung des Vorfalls vom 20. September 2024 (nur) auf die Missachtung des Grundsatzes, dass die Anwendung von Gewalt auf das notwendige Maß zu beschränken sei, bezieht, begegnet dies auch keinen Bedenken.

Aus welchen Gründen das Erstgericht nun davon ausgeht, dass der Strafgefangene sich mit Eingabe Nr. 33 auch gegen die erst am 14. November 2024 kundgemachte Entscheidung des Anstaltsleiters der Justizanstalt * (ON 1.6 S 1 14. Eingabe) beschwere (BS 7f), ist nicht nachvollziehbar, weil es sich bei der Eingabe Nr. 33 vom 1. November 2024 (ON 1.7 S 1 ff) vielmehr nur um eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters der Justizanstalt * vom 28. Oktober 2024 über die Eingabe Nr. 5 vom 24. September 2024 (ON 1.5 S 4; ON 1.7 S 5) handelt. Es bleibt daher unverständlich, aus welchen Gründen sich das Erstgericht veranlasst sah, eine Entscheidung darüber fällen zu müssen, ob die Unterbringung in der besonders gesicherten Zelle am 20. September 2024 gerechtfertigt war, sohin über einen nicht verfahrensgegenständlichen Sachverhalt zu erkennen.

Die Entscheidung des Erstgerichts war daher insofern ersatzlos zu beheben.

2) Im Übrigen ist die Entscheidung des Erstgerichts, soweit sie den tatsächlichen Verfahrensgegenstand, nämlich die abweisliche Entscheidung des Anstaltsleiters vom 28. Oktober 2024 über die Eingabe Nr. 5 vom 24. September 2024 betrifft, rechtswidrig.

Der Anstaltsleiter wies die Beschwerde (Eingabe Nr. 5) „mangels Zuständigkeit“ ab (ON 1.5 S 4).

Begründend führte der Anstaltsleiter aus, dass der Sachverhalt bezüglich des Vorfalls vom 20. September 2024 (Belagsverweigerung und Absonderung) aufgrund einer Verletzung eines der beteiligten Justizwachbeamten an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt übermittelt worden sei. Parallele Ermittlungen von Justizanstalt und Staatsanwaltschaften würden nicht geführt, Beweisanträge seien bei der Ermittlungsbehörde einzubringen, die Haftraumkamara habe grundsätzlich keine Aufzeichnungsfunktion und die Gangkamera werde nach 72 Stunden automatisch gelöscht. Ein Ansuchen um Sicherung der Aufzeichnung sei nicht eingelangt.

Die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass ausgehend von dem konkreten Verdacht für das Vorliegen von strafbaren Handlungen, die in den Zuständigkeitsbereich eines Landesgerichts fallen würden, Ermittlungen durch die Justizanstalt grundsätzlich zu unterbleiben hätten bis der Sachverhalt endgültig geklärt sei, wird durch keine gesetzliche Bestimmung untermauert, sondern bloß behauptet. Tatsächlich sieht das StVG in § 118 Abs 1 StVG vor, dass es die strafrechtliche Verfolgung einer Tat nicht hindert, wenn sie auch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. In Abs 3 leg cit ist normiert, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat eines Strafgefangenen abzusehen und das Ermittlungsverfahren einzustellen hat, wenn die Tat geringfügig ist und die verhängte Strafe eine strafrechtliche Verfolgung entbehrlich macht. Demnach kann die gleiche Tat sowohl als gerichtlich strafbare Handlung wie auch als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden ( Drexler/Weger, StVG 5 § 118 Rz 1). Fallkonkret steht jedoch keine Entscheidung über eine Ordnungswidrigkeit des A* in Rede; vielmehr wurde eine solche vom Anstaltsleiter bis zur Entscheidung durch das Gericht ausgesetzt (ON 1.4).

Aus welchem Grund dem Anstaltsleiter in der vorliegenden Konstellation aber eine Entscheidung über eine Administrativbeschwerde nach § 120 ff StVG (fallkonkret in Ansehung der Behauptung der Anwendung übermäßiger Gewalt durch die an der Absonderung beteiligten Justizwachebeamten) versagt sein soll, ist weder dem bekämpften Beschluss noch dem StVG zu entnehmen.

Sohin hätte das Erstgericht die Entscheidung des Anstaltsleiters aufzuheben und diesem die inhaltliche Entscheidung über die Beschwerde des A* vom 24. September 2024 aufzutragen gehabt.

Die Entscheidung des Vollzugsgerichts war sohin rechtswidrig und hat das Oberlandesgericht - wie aus dem Spruch ersichtlich - gemäß § 121b Abs 3 StVG in der Sache selbst erkannt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.