22Bs137/25w – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat in der Übergabesache des A* zur Strafvollstreckung an die Slowakische Republik über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. April 2025, GZ ** 21, nach der am 24. Juni 2025 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Mathes, im Beisein des Richters Mag. Hahn und der Richterin Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwalts Mag. Wohlmuth, LL.M. sowie in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers Mag. Feuerstein durchgeführten öffentlichen Übergabeverhandlung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Aufgrund Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Lucenec vom 31. März 2025, AZ * (ON 9.4; Übersetzung ON 18.2) leitete die Staatsanwaltschaft Wien gemäß § 16 EU JZG ein Übergabeverfahren zur Strafvollstreckung an die Slowakische Republik gegen den am ** geborenen slowakischen Staatsangehörigen A* ein (ON 1.2).
Dem Europäischen Haftbefehl zufolge wurde der Betroffene mit rechtskräftigem Strafbefehl des Bezirksgericht Lucenec in Abwesenheit wegen des Vergehens der (vorsätzlichen) Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 207 Abs 1 des slowakischen Strafgesetzes zu einer noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt (ON 18.2, 2). Demnach ist er zusammengefasst als Vater des minderjährigen Sohnes B* mindestens zwei Monate im Zeitraum von zwei Jahren vorsätzlich seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht ordnungsgemäß, regelmäßig und in vollem Umfang nachgekommen, obwohl er mit rechtskräftigem Urteil zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags verpflichtet war, wodurch ein Unterhaltsrückstand von 176,52 Euro entstanden ist, wobei er während des Tatzeitraums nicht in der Evidenz der Arbeitssuchenden des zuständigen Amts für Arbeit, Soziales und Familie erfasst war und von Gelegenheitsarbeiten lebte.
Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligte das Erstgericht die Übergabe des Betroffenen zur Strafvollstreckung an die slowakischen Behörden unter Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 22) und fristgerecht ausgeführte Beschwerde des A* (ON 25), in der er die Vereinbarkeit des Abwesenheitsurteils mit der EMRK in Abrede stellt, eine vier Monate übersteigende Reststrafe aufgrund der bereits erlittenen Übergabehaft in Frage stellt und grundsätzlich die Verhängung einer Freiheitsstrafe im ausstellenden Staat kritisiert. Zudem äußert er Bedenken in Hinblick auf das in Art 3 EMRK verankerte Verbot von Folter sowie unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und verweist auf § 5a EU-JZG.
Rechtliche Beurteilung
Dem Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu.
Die dem Europäischen Haftbefehl zugrundeliegende mit Strafe bedrohte Handlung, die von der ausstellenden Justizbehörde keiner der in Anhang I, Teil A, des EUJZG angeführten Kategorien von Straftaten zugeordnet worden ist, ist auch nach österreichischem Recht eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, zumal sie unter § 198 Abs 1 StGB zu subsumieren wäre. Zudem sind noch mindestens vier Monate der verhängten Freiheitsstrafe zu vollstrecken (§ 4 Abs 2 EU-JZG).
Zutreffend ist, dass der Betroffene am 14. April 2025 verhaftet wurde und im Anschluss die Übergabehaft über ihn verhängt wurde. Nach ständiger Judikatur des Oberlandesgerichts Wien (vgl 22 Bs 182/20f mit weiteren Nachweisen) schadet der Umstand, dass nach Anrechnung der bisher verbüßten Übergabehaft zum Zeitpunkt der tatsächlichen Übergabe nur eine geringere Reststrafe als vier Monate zu verbüßen sein wird, nicht, weil nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl die Übergabe einer Person zur Strafvollstreckung auf das Ausmaß der verhängten Freiheitsstrafe abstellt (Art 2 Abs 1 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl). Bei unionsrechtskonformer Auslegung müssen daher obangeführte Voraussetzungen lediglich zum Zeitpunkt der Erlassung des Europäischen Haftbefehls und Festnahme des Betroffenen vorliegen (aA Hinterhofer in WK² EU-JZG § 18 Rz 32). Für die unionsrechtskonforme Auslegung spricht weiters, dass die Anrechnung der Vorhaft erst nach der Übergabe im Ausstellungsstaat erfolgen wird (Art 26 Abs 1 leg cit).
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Wien ist die EMRKKonformität des slowakischen Strafverfahrens aufgrund des bloßen Umstands des Vorliegens eines Abwesenheitsurteils nicht in Zweifel zu ziehen, weil die in Abwesenheit gefällte Entscheidung dem Betroffenen am 12. Februar 2021 zugestellt wurde und er ausdrücklich von seinem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt wurde, an dem er teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann und der Betroffene entweder ausdrücklich erklärt hat, dass er diese Entscheidung nicht anficht oder innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat und damit die Voraussetzungen des § 11 Abs 1 Z 3 EU-JZG vorliegen.
Das Rechtsmittelvorbringen, wonach nicht überprüft worden sei, ob der Betroffene tatsächlich über das gegen ihn geführte Verfahren informiert worden sei und eine Unvereinbarkeit mit Artikel 6 EMRK aufgrund einer Verurteilung in Abwesenheit ohne effektive Verteidigungsmöglichkeit bestehe, geht ins Leere, weil die Voraussetzungen für eine Übergabe an Hand des Inhalts des Europäischen Haftbefehls zu prüfen sind (§ 19 Abs 1 EU-JZG) und die dortigen Angaben schlüssig sind.
Soweit der Beschwerdeführer rechtspolitische Ausführungen zur Strafdrohung des gegenständlichen Delikts im Ausstellungsstaat macht, vermag er damit kein Übergabehindernis aufzuzeigen. Fragen des geeigneten Strafmaßes liegen zudem grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereichs der Konvention (vgl 14 Os 41/12d mwN).
Wenn der Betroffene zuletzt eine ihn betreffende konkrete Gefährdung für seine Sicherheit und sein Leben im slowakischen Strafvollzug anspricht, ist ihm zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des EGMR der Beschwerdeführer die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen hat, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Demnach muss ein konkretes Risiko bestehen, die betreffende Person würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Artikel 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein, und dies muss anhand stichhaltiger Gründe belegbar sein (RISJustiz RS0123229). Die unbescheinigten Behauptungen des Beschwerdeführeres stellen den geforderten Nachweis nicht dar. Zudem handelt es sich bei der Slowakischen Republik um einen Konventionsstaat der EMRK, sodass die Verantwortlichkeit des Vollstreckungsstaats eingeschränkt ist, weil der Betroffene im Zielstaat Rechtsschutz gegen Konventionsverletzungen erlangen kann. Eine Mitverantwortung besteht nur dann, wenn dem Betroffenen nach seiner Übergabe Folter oder sonstige schwere oder irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz – auch durch den EGMR – nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (vgl aaO T6).
Soweit der Betroffene vorbringt, dass er die Freiheitsstrafe lieber in Österreich verbüßen wolle und damit eine allfällige Anwendung des § 5a EU JZG anspricht, so liegen auch diese Voraussetzungen nicht vor. Zutreffend hat das Erstgericht zur Darstellung gebracht, dass schon die Annahme eines Wohnsitzes oder ständigen Aufenthalts im Inland fraglich ist. Nachdem der Betroffene von Juli 2021 bis Juli 2023 in C* als obdachlos gemeldet war, verfügte er lediglich von Mai bis Oktober 2024 über einen Hauptwohnsitz in C* (ON 9.9). In jedem Fall ist aber nicht davon auszugehen, dass die Vollstreckung der Freiheitsstrafe im Inland der Erleichterung der Resozialisierung und der Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft dienen würde. Neben einem Kind in Österreich hat der – nicht deutsch sprechende - Betroffene zwei weitere minderjährige Kinder in der Slowakei, seine Lebensgefährtin ist ebenfalls slowakische Staatsangehörige und ist keine wirtschaftliche oder sonstige soziale Bindung zu Österreich ersichtlich.
Der Beschwerde gegen den der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beschluss war daher ein Erfolg zu versagen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 1 Abs 2 EUJZG iVm § 9 Abs 1 ARHG iVm § 89 Abs 6 StPO).