8Ra16/25v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, die Richterin Mag. Derbolav-Arztmann und den Richter MMag. Popelka (Dreiersenat gemäß § 11a Abs 2 Z 2 ASGG) in der Arbeitsechtssache der klagenden Partei A* B*, **platz **, C* B*, vertreten durch die * Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei D*, geboren am **, **gasse **, C* B*, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 76.034,13 samt Anhang und Feststellung (Streitwert EUR 5.000), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14.11.2024, GZ **-36, in nicht öffentlicher Sitzung den
B eschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Der Beklagte stand in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur klagenden Stadtgemeinde. Die Klägerin nimmt ihn wegen Schadenersatz in Anspruch. Sie begehrt die Zahlung von EUR 76.034,13 und die Feststellung seiner Haftung für künftige Schäden, weil er in seiner dienstlichen Funktion Ruhegenüsse für Gemeindebeamte falsch berechnet habe.
Mit Urteil vom 14.3.2024, der Klagevertretung zugestellt iSd § 89d Abs 2 GOG am 8.8.2024, wies das Erstgericht als Arbeits- und Sozialgericht die Klage ab.
Am 13.9.2024 vermerkte das Erstgericht die Rechtskraft des Urteils.
Am 16.9.2024 brachte die Klägerin eine Berufung ein. Darin ist festgehalten, dass „gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14.03.2024, bereitgestellt am 07.08.2024, sohin gem § 89d GOG zugestellt am 08.08.2024 – unter Berücksichtigung des § 222 ZPO – binnen offener Frist“ Berufung erhoben werde.
Mit Beschluss vom 17.9.2024 (ON 27) wies das Erstgericht die Berufung als verspätet zurück. Die vierwöchige Berufungsfrist sei bereits abgelaufen, § 222 ZPO im arbeitsrechtlichen Verfahren gemäß § 39 Abs 4 ASGG nicht anzuwenden.
Am 19.9.2024 beantragte die Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Am Tag des Einlangens sei das Urteil durch die Kanzleikraft E* in das interne Aktenverwaltungssystem der Klagevertreterin eingepflegt worden. Sämtliche fristauslösenden Ereignisse und die sich daraus ergebenden Fristen seien am Ende des Arbeitstages, somit gegen 19 Uhr, von der Kanzleikraft erfasst und zusätzlich den jeweiligen Kanzleikollegen kommuniziert worden. Der seit über neun Jahren bei der Klagevertreterin beschäftigten, sonst außerordentlich zuverlässigen Kanzleikraft sei der gegenständliche Fehler bei Berechnung der Berufungsfrist wegen besonderer Umstände unterlaufen: Am Tag der Urteilszustellung seien Kurznachrichten eingelangt, wonach zwei Terrorverdächtige im Zusammenhang mit Anschlagsplänen auf das F*-Konzert festgenommen worden seien. E* sei seit vielen Jahren ein Fan von F* und habe sich bereits seit über einem Jahr auf das am nächsten Tag stattfindende Konzert gefreut. Aufgrund der Sorge über die aktuelle Gefahrenlage und ihre persönliche Sicherheit habe sie irrtümlicherweise den 16.9.2024 als letzten Tag der Berufungsfrist erfasst und dementsprechend auch ihren Kanzleikollegen falsch mitgeteilt. Obwohl die Klagevertreterin den Fristenkalender regelmäßig einsehe und stichprobenartig kontrolliere, sei dieser Fehler unbemerkt geblieben, weshalb man irrtümlich von der verlängerten Frist ausgegangen sei.
Der Beklagte sprach sich gegen eine Wiedereinsetzung aus.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Wiedereinsetzungsantrag ab. Es stellte folgenden Sachverhalt als bescheinigt fest:
„Am 07.08.2024 wurde der Klagevertreterin das Urteil vom 14.03.2024 (ON 24) per ERV bereitgestellt. E*, vormals E*, die seit 11.08.2015 als Sekretärin bei der Klagevertretung beschäftigt ist, hat nach der Eintragung der Frist für die Einbringung der Berufung im Fristenkalender mit 16.09.2024 noch am selben Tag dem zuständigen Rechtsanwalt Mag. H* I* und der Konzipientin Mag. J* K* das Urteil per E-Mail übermittelt. Beide haben eigenständig die Frist berechnet und in ihren eigenen Fristenkalender eingetragen. Ihnen ist nicht aufgefallen, dass eine falsche Frist eingetragen wurde. Der Geschäftsführer der Klagevertreterin Dr. * prüft gelegentlich nach, ob die richtige Frist eingetragen ist.
Bei der Klagevertretung erfolgte bereits vor dem 09.09.2024 eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Urteil vom 14.03.2024, da gegenüber der klagenden Partei eine Stellungnahme zur weiteren Vorgehensweise abzugeben war. Diese empfahl der klagenden Partei eine teilweise Berufung und kommunizierte das Ende der Berufungsfrist mit 16.09.2024 (Beilage ./11).“
Rechtlich führte das Erstgericht – soweit für das Rekursverfahren relevant – zusammengefasst aus: Nicht nur die Kanzleimitarbeiterin, sondern auch der zuständige Rechtsanwalt und die Konzipientin, somit zwei ausgebildete Juristen, hätten jeweils eine Fristenprüfung vorgenommen und nicht erkannt, dass § 222 ZPO im gegenständlichen Verfahren nicht anzuwenden ist. Auch anlässlich der Abfassung der Stellungnahme betreffend die weitere Vorgehensweise an die klagende Partei sei entweder das Fristende mit 16.09.2024 ungeprüft übernommen oder neuerlich eine falsche Fristenberechnung vorgenommen worden. Auch wenn man das tatsächliche Vorliegen eines unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignisses in Betracht ziehen würde, scheitere die Wiedereinsetzung jedenfalls am Grad des Verschuldens. Eine Partei habe sich das Verschulden ihres Vertreters zurechnen zu lassen. An einen rechtskundigen Parteienvertreter sei bei der Beurteilung, ob ein minderer Grad des Versehens vorliege, ein strengerer Maßstab anzulegen. Die irrtümliche Annahme einer längeren Rechtsmittelfrist durch einen Rechtsanwalt könne nicht mehr als bloß minderer Grad des Versehens angesehen werden, insbesondere ein Fehler bei der Beurteilung, ob eine Ferialsache vorliege. Das Verhalten des zuständigen Rechtsanwalts Mag. I* könne daher keinesfalls als leichte Fahrlässigkeit beurteilt werden, weswegen sich eine explizite Beurteilung des Verhaltens von Mag. K* und E* erübrige.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss im Sinn einer Stattgebung des Wiedereinsetzungsantrags abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt .
1. Zur Rechtslage kann auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Erstgerichts verwiesen werden (§ 500a ZPO). Ergänzend ist auszuführen:
2. Die Klägerin argumentiert, dass am Tag der Urteilszustellung in der Kanzlei der Klagevertreterin wegen der Terrorverdachtsmeldungen im Zusammenhang mit dem F*-Konzert ein Ausnahmezustand geherrscht habe, der auch hinsichtlich der Kontrolle der Frist durch Mag. I* und Mag. K* als unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis zu werten sei. Mag. K* sei eine der Konzipientinnen gewesen, die ebenfalls das Konzert hätten besuchen wollen. Auch sie sei tief betroffen und in großer Sorge gewesen. Die Turbulenzen des Tages seien auch an Mag. I* nicht spurlos vorübergegangen.
Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre sind im Wiedereinsetzungsantrag sämtliche Wiedereinsetzungsgründe (substanziiert und konkret) und Bescheinigungsmittel anzugeben, widrigenfalls diese präkludiert wären; es gilt die Eventualmaxime (vgl Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO 5§§ 148–149 ZPO Rz 2 mwN; 1 Ob 157/14s; RW0000422). Jedenfalls trifft das Gericht keine Pflicht zu Erhebungen, die über die amtswegige Überprüfung des im Wiedereinsetzungsantrag Vorgebrachten hinausgehen ( Melzer in Kodek/Oberhammer,ZPO-ON § 149 ZPO Rz 3 mwN).
Die Klägerin hat sich im Wiedereinsetzungsantrag ausschließlich darauf berufen, dass die Kanzleimitarbeiterin aus Sorge über die aktuelle Gefahrenlage und ihre persönliche Sicherheit irrtümlicherweise den falschen Tag als letzten Tag der Berufungsfrist eingetragen und ihren Kanzleikollegen mitgeteilt habe. Dass auch die falsche Fristberechnung durch die beiden Juristen von den Ereignissen um das F*-Konzert bedingt sei, hat die Klägerin im Wiedereinsetzungsantrag nicht behauptet.
Im Übrigen hat sie sich auch sonst in erster Instanz nicht darauf gestützt. Die Aussage des Geschäftsführers der Klagevertreterin in der Bescheinigungstagsatzung, wonach sich am Abend der Falscheintragung „ein wirkliches Drama“ in der Kanzlei abgespielt habe (ON 33.2, Seite 4), kann einerseits als bloße Aussage ein entsprechendes Vorbringen nicht ersetzen (vgl S0040318 [T7]), andererseits wurde damit noch keine Behauptung über die Ursache der falschen Fristberechnung durch die beiden Juristen aufgestellt. Insoweit liegt somit jedenfalls eine unzulässige Neuerung vor.
Nur ergänzend ist daher darauf hinzuweisen, dass sich die unrichtige, von der Klägerin bloß auf die Situation am 7.8.2024 zurückgeführte Anwendung des § 222 ZPO, sogar ausdrücklich noch im (anwaltlichen) Berufungsschriftsatz findet.
3. Der Rekurs vertritt die Ansicht, es handle sich beim Übersehen des Umstandes, dass eine Arbeitsrechtssache vorliegt und die Bestimmungen des § 222 ZPO nicht anzuwenden sind, um einen minderen Grad des Versehens.
Hierzu stützt sich die Klägerin auf die Entscheidung 10 ObS 117/02g. Nach dem dort zu beurteilenden Sachverhalt übersah eine sonst zuverlässige Kanzleileiterin bei Eintragung einer Frist, dass es sich um eine Sozialrechtssache handelte und deshalb die (damaligen) Bestimmungen über die Gerichtsferien nicht zur Anwendung kamen. Der OGH verneinte eine grob fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Rechtsanwalts, der sich bei der Überwachung der erfahrenen und bewährten Kanzleileiterin auf eine stichprobenartige Überprüfung der Richtigkeit ihrer Eintragungen in den Fristenkalender beschränkte.
Das Erstgericht begründete die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags aber nicht damit, dass die Kanzleimitarbeiterin nicht ausreichend eingeschult oder überwacht worden wäre, sondern entscheidend damit, dass der für den Fall zuständige Rechtsanwalt anlässlich der von ihm vorgenommenen Fristenprüfung irrtümlich eine falsche Rechtsmittelfrist annahm, weil (auch) er nicht erkannte, dass § 222 ZPO im gegenständlichen Verfahren nicht anzuwenden ist.
4. An berufliche rechtskundige Parteienvertreter ist ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen (RS0111777). Wie bereits das Erstgericht darlegte, kann die irrtümliche Annahme einer längeren Rechtsmittelfrist durch einen Rechtsanwalt nicht mehr als bloß minderes Versehen betrachtet werden (vgl Klauser/Kodek,JN–ZPO 18§ 146 ZPO E 93). So liegt grobe Fahrlässigkeit insbesondere dann vor, wenn ein Rechtsanwalt bei Kontrolle eines Aktes übersieht, dass eine Rechtsmittelfrist fehlerhaft eingetragen wurde, weil die eintragende Sekretärin nicht beachtete, dass in Arbeits- und Sozialrechtssachen § 222 ZPO nicht anzuwenden ist (vgl 10 ObS 116/97z).
Der Argumentation des Rekurses, wonach auch die Fehlleistung des für den Fall zuständigen Rechtsanwalts bloß als Versehen minderen Grades iSd § 146 ZPO zu werten sei, ist somit nicht zu folgen.
Zutreffend gelangte das Erstgericht daher zur Beurteilung, dass die falsche Fristberechnung durch den zuständigen Rechtsanwalt einer Wiedereinsetzung entgegensteht.
5. Der ergänzenden Erwägung des Erstgerichts, wonach auch anlässlich der Abfassung der Stellungnahme an die Klägerin entweder das Fristende ungeprüft übernommen oder neuerlich eine falsche Fristberechnung vorgenommen worden sei, hält der Rekurs entgegen, dass die Frist gerade nicht ungeprüft übernommen, sondern von Mag. I* bereits am 7.8.2024 überprüft worden sei. Es sei nicht zuzumuten, nach einer bereits erfolgten Kontrolle der Frist bei jeder inhaltlichen Tätigkeit im betreffenden Verfahren die Frist jedes Mal neu zu berechnen.
Das Erstgericht ließ aber ohnedies offen, zu welchem Zeitpunkt die ursprünglich falsche Fristberechnung nachträglich hätte auffallen können bzw müssen. Bereits die fehlerhafte Eintragung durch Mag. L* vom 7.8.2024 war kausal für das Fristversäumnis und hindert als Versehen nicht bloß minderen Grades die Wiedereinsetzung.
6. Die Klägerin meint, es würde jegliches Kontrollsystem konterkariert, wenn eine Wiedereinsetzung schon am Verhalten von Mag. I* alleine scheitern müsste. Je mehr Personen man zu einer zusätzlichen Kontrolle (neben der primär zuständigen Person) berufe, desto mehr Personen stünden dem Gericht zur Verfügung, um deren Verschulden als Grund für die Nichtgewährung der Wiedereinsetzung heranziehen zu können. Wenn jede dieser Personen für sich systemübergreifend alle Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung alleine erfüllen müsse, dann werde eine Wiedereinsetzung bei einem größeren, ausbalancierten Kontrollsystem unmöglich.
Dem kann nicht gefolgt werden. Der Sinn eines Kontrollsystems liegt nicht darin, dass derjenige, der die Kontrolle vornimmt, sich, wenn ihm dabei selbst ein Fehler unterläuft, damit exkulpieren kann, dass der weniger qualifizierten Person, deren Arbeit er kontrolliert, bereits derselbe Fehler unterlaufen ist, sodass im Ergebnis die eigene Tätigkeit des Rechtsanwalts nur nach dem Sorgfaltsmaßstab für Kanzleimitarbeiter zu beurteilen wäre.
7. Als sekundären Feststellungsmangel releviert die Klägerin, dass das Erstgericht keine (weiteren) Feststellungen zum genauen Ablauf des versehentlich falschen Fristvormerks durch E* getroffen habe. Hätte das Erstgericht Feststellungen zum am 7.8.2024 in der Kanzlei der Klagevertreterin herrschenden Ausnahmezustand getroffen, so hätte es diesen als unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis beurteilen und auch zum Ergebnis gelangen müssen, dass den handelnden Personen kein Verschulden anzulasten sei.
Oben wurde bereits ausgeführt, dass die Frage nach den Gründen für den Irrtum der Kanzleimitarbeiterin nicht entscheidungswesentlich ist und Umstände, die zur fehlerhaften Berechnung durch die beiden Juristen geführt hätten, im Wiedereinsetzungsantrag nicht vorgebracht wurden. Demnach liegen auch keine sekundären Feststellungsmängel vor.
Dem Rekurs ist damit nicht Folge zu geben.
8. Eine Kostenentscheidung entfällt, weil im Rekursverfahren keine Kosten verzeichnet wurden.
9. Die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf §§ 2 Abs 1 ASGG, 528 Abs 2 Z 2 ZPO.