21Bs128/25i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Krenn als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Sanda und Mag. Frigo als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen bedingter Entlassung aus Freiheitsstrafen über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 17. März 2025, GZ **-12, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am ** geborene A* verbüßt seit 16.9.2023, derzeit in der Justizanstalt **, die mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 4.3.2024, rechtskräftig am 27.11.2024 zu ** wegen § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG unter Bedachtnahme auf ein Urteil des Gerichts Göteborg verhängte Zusatzfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten sowie den unbedingten Strafteil von drei Monaten einer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10.12.2024 zu B* wegen § 288 Abs 1 StGB verhängten Freiheitsstrafe von insgesamt neun Monaten.
Insgesamt steht somit eine Strafzeit von 3 ½ Jahren in Vollzug.
Das errechnete Strafende fällt unter Bedachtnahme auf § 148 Abs 2 StVG auf den 16.3.2027. Die Hälfte der Strafzeit wird A* am 16.6.2025 verbüßt haben.
Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Landesgericht Wiener Neustadt als zuständiges Vollzugsgericht nach ablehnender Äußerung der Staatsanwaltschaft (ON 1.2) und nach Durchführung einer Anhörung (ON 11) die bedingte Entlassung aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen ab (ON 12), nachdem auch die Anstaltsleitung der Justizanstalt ** vor allem unter Hinweis auf Ordnungsstrafen in den Voranstalten und noch offene Ordnungsstrafverfahren in der Justizanstalt ** eine bedingte Entlassung nicht befürwortet hatte (AS 2 in ON 4).
Rechtliche Beurteilung
Die gegen den ablehnenden Beschluss nach dessen Verkündung erhobene, entgegen der Ankündigung nicht ausgeführte Beschwerde (AS 2 in ON 11) des A* ist nicht berechtigt.
A* weist in Österreich außer den in Vollzug stehenden keine weiteren, jedoch in Schweden bei insgesamt sieben nach der österreichischen Rechtslage relevanten Verurteilungen vier einschlägige Vorstrafen auf (ON 6,7).
Das Vergehen der falschen Beweisaussage, das dem Urteil zu ** des Landesgerichts für Strafsachen Wien zugrunde liegt, beging er am 23.5.2024, somit nach dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftigen Urteil erster Instanz wegen des Verbrechens der Schlepperei.
Während der Haft beging er am 9.11.2023 in der Justizanstalt ** eine Pflichtverletzung, die mit Verweis geahndet wurde, am 11.6.2024 unerlaubten Verkehr (Abmahnung), am 8.8.2024 unerlaubten Besitz eines Mobiltelefons und Ladekabels und Beschädigung der Tür des Nassbereichs (Geldbuße), am 26.8.2024 Beschimpfungen (Geldbuße), am 3.9.2024 unerlaubten Besitz von Tabletten (Geldbuße), am 30.9.2024 und am 17.12.2024 nicht ordnungsgemäße Einnahme der Medikation (Abmahnung und Geldbuße), all diese Ordnungswidrigkeiten in der Justizanstalt **. (Noch nicht abgeschlossen sind Ordnungsstrafverfahren in der Justizanstalt ** wegen Schlagens eines Mitinsassen am 8.1.2025, nicht ordnungsgemäße Einnahme der Medikation am 18.2.2025 sowie Verlust und Mängel von Effekten am 3.3.2025).
In seiner Erklärung zu einer bedingten Entlassung (ON 5) und im Zuge seiner Anhörung (ON 11) gab A* an, nach Schweden zu seiner Familie zurückkehren zu wollen. Bei der Anhörung vermeinte er auch, dass er Probleme wegen Drogenkonsums gehabt habe, er erkenne jetzt seine Fehler und habe das Haftübel verspürt. Er habe gelernt, zuerst zu denken und dann erst zu handeln.
Dazu sei angemerkt, dass A* im Zuge der Verurteilungen in Schweden mit Geldstrafen und Unterbringungen in Erziehungsanstalten bestraft wurde.
Angemerkt sei, dass A* zu den Tatzeiten des Verbrechens der Schlepperei (12. und 15.9.2023) das 21. Lebensjahr noch nicht, zur Tatzeit wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage am 23.5.2024 jedoch bereits das 21. Lebensjahr vollendet hatte.
Gemäß § 46 Abs 1 StGB ist einem Verurteilten nach dem Vollzug der Hälfte der Freiheitsstrafe, mindestens aber drei Monaten, der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß den §§ 50 bis 52 StGB anzunehmen ist, dass er durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Strafverbüßung von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird.
Nach Abs 4 leg cit. ist bei Entscheidungen nach Abs 1 auf den Umstand Bedacht zu nehmen, inwieweit durch den bisherigen Vollzug der Strafe, insbesondere auch durch eine während des Vollzugs begonnene freiwillige Behandlung im Sinne von § 51 Abs 3 StGB, die der Verurteilte in Freiheit fortzusetzen bereit ist, eine Änderung der Verhältnisse, unter denen die Tat begangen wurde, eingetreten ist, oder durch Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB erreicht werden kann.
Die Prognose künftigen Verhaltens erfordert eine Gesamtwürdigung aller dafür maßgeblichen Umstände, so insbesondere der Art der Tat(en), des privaten Umfeldes des Verurteilten, seines Vorlebens und seiner Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit ( Jerabek/RopperWK² StGB § 46 Rz 15/1).
Bei den von A* begangenen Verbrechen der Schlepperei, die er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren Mittätern und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im Auftrag einer syrisch-arabischen Tätergruppe beging, hat er beim ersten Angriff 19 Fremde von Ungarn nach ** mit dem Zielland Deutschland befördert und beim zweiten Angriff 30 syrische und türkische Flüchtlinge in Ungarn mit einem Kastenwagen mit Planenaufbau von Ungarn nach Österreich mit dem Zielland Deutschland verbracht, wobei er das Schlepperfahrzeug aufgrund eines technischen Defekts beim Rastplatz ** anhalten musste und die Geschleppten erst nach mehrstündiger Wartezeit aus dem Kastenwagen ließ. Dabei beging er die Taten auf eine Art und Weise, durch die die Fremden während der Beförderung längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, da sie weder ausreichend zu essen noch zu trinken hatten und mehrere Stunden auf der Ladefläche des Kastenwagens teils ohne ausreichende Pause, sohin auch ohne ihre Notdurft menschenwürdig verrichten zu können, sowie ohne Frischluftzufuhr verharren mussten, wobei die geschleppten einen Betrag von mehreren tausend Euro pro Person an die Schleppervereinigung zu zahlen hatten (AS 3ff in ON 9).
Diese hohe kriminelle Energie im Zusammenhalt mit den gleichsam nicht vorhandenen Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit - A* verfüge über keine berufliche Ausbildung (AS 1 in ON 3, AS 2 in ON 4), auch seiner Äußerung zur bedingten Entlassung oder dem Protokoll seiner Anhörung sind keinerlei berufliche Aussichten zu entnehmen - begründen diejenigen, durch Maßnahmen im Sinn der §§ 50 bis 52 StGB nicht kompensierbaren spezialpräventiven Umstände, die eine bedingte Entlassung verhindern, zumal mangels unmittelbar zur Verfügung stehenden Erwerbseinkommens eine hohe Rückfallgefahr besteht.
Bei A* sprechen aber auch - zumal er zwei Drittel der Strafzeit erst am 16.1.2026 verbüßt haben wird - massive generalpräventive Erwägungen gegen eine bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafzeit:
Hat ein Verurteilter die Hälfte aber noch nicht zwei Drittel seiner Freiheitsstrafe verbüßt, ist er trotz Vorliegens der oben zitierten Voraussetzungen des § 46 Abs 1 StGB solange nicht bedingt zu entlassen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzugs der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 46 Abs 2 StGB).
Die Verweigerung einer bedingten Entlassung aus generalpräventiven Gründen setzt gewichtige Umstände, welche sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig vorkommenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben, voraus. Dabei ist nicht nur der bloße Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern - im Sinne positiver Generalprävention - auch das Interesse an der Feststellung genereller Normtreue in der Bevölkerung zu beachten (vgl Jerabek/Ropper WK² § 43 Rz 18). Diese Aspekte generalpräventiver Natur müssen aus der Schwere der Tat ableitbar sein; liegen sie vor, sind sie gleichrangig mit den Erfordernissen der Spezialprävention zu berücksichtigen. Eine aus spezialpräventiver Sicht durchaus zulässige bedingte Entlassung kann demnach auch allein wegen eines in der Schwere der Tat gelegenen (besonderen) generalpräventiven Grundes verweigert werden ( aaO § 46 Rz 16). Besondere Bedachtnahme auf Belange der Generalprävention wird zB dort geboten sein, wo angesichts eines um sich greifenden Missstandes die Wirksamkeit der Maßnahme der Strafrechtspflege in einem bestimmten Milieu, Berufs- oder Lebenskreis erwartet werden kann. Spezialpräventive Belange werden auch zurückzutreten haben, wenn die Häufigkeit bestimmter Straftaten (noch dazu mit steigender Tendenz) eine weit verbreitete Einstellung erkennen lässt, das Risiko einer Bestrafung wegen des aus der Tat zu erwartenden Vorteils auf sich zu nehmen oder den erheblichen Unwert eines Verhaltens gleichsam als „Kavaliersdelikt“ zu bagatellisieren und gegebenenfalls auf eine Strafnachsicht zu vertrauen ( aaO§ 43 Rz 18). Nach der Intention des Gesetzesgebers soll das Institut der bedingten Entlassung bei keinem Straftatbestand und auch bei keiner Tätergruppe aus generalpräventiven Erwägungen grundsätzlich ausgeschlossen sein. Wohl aber ist die kriminelle Bedeutung (der soziale Störwert) der Tat, wie sie im Speziellen verübt wurde, im Rahmen der Prüfung der Erfordernisse der Generalprävention auch in Fällen der vorzeitigen Entlassung aus zeitlich bestimmten Freiheitsstrafen mitzuberücksichtigen (RIS- Justiz RS0091863).
Der bedingten Entlassung des A* stehen daher neben den spezialpräventiven Erwägungen vor allem Belange der Generalprävention entgegen, die fallbezogen im hohen Unrechts- und Erfolgsunwert der Tat, Förderung einer Schlepperfahrt im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gegen Entgelt zu begründen ist. In dieser gut organisierten, im Rahmen einer kriminellen Vereinigung mit Bereicherungsvorsatz in Bezug auf eine Vielzahl von Fremden begangenen Tathandlung manifestiert sich ein Handlungs- und Erfolgsunrecht in einer Unwerthöhe, die im Wege einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend zu beurteilen ist und eine schwere Kriminalitätsform mit hohem sozialem Störwert darstellt. Mit Blick auf das in den letzten Jahren massiv um sich greifende, auf Gewinnmaximierung zum Nachteil häufig bereits traumatisierter Flüchtlinge ausgerichtete Schlepperunwesen, das zudem für die Geschleppten häufig mit großen Gefahren verbunden ist, bedarf es des konsequenten und im vorliegenden Fall über die Hälfte hinausgehenden Vollzugs der Sanktion, um potenzielle Nachahmungstäter aus dem Verkehrskreis des Strafgefangenen von der Begehung derartiger Straftaten abzuhalten und die generelle Normtreue zu festigen. Ein zu stark verkürzter Strafvollzug würde dazu führen, die Hemmschwelle für derartige Taten zu weit zu senken. Da der bekämpfte Beschluss sohin der Sach- und Rechtslage entspricht, ist der dagegen erhobenen Beschwerde ein Erfolg zu versagen.