Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 222 Abs 1 Z 1 StGB über dessen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 17. Juli 2024, GZ **-24.5, gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO nichtöffentlich zu Recht erkannt:
Der Berufung wegen Schuld wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wegen Nichtigkeit und Strafe wird der Angeklagte auf die Kassation verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* des Vergehen der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 StGB (I./) und des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB (II./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 222 Abs 1 StGB zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A*
I.) von zumindest Mitte November 2023 bis 19. Dezember 2023 in seinem landwirtschaftlichen Betrieb in ** einer Kuh (Ohrenmarkennummer **) unnötige Qualen zugefügt, indem er sie durch nicht ausreichende Fütterung und Tränkung über mehrere Wochen vernachlässigte und es unterließ, die in der Folge erkennbar dringend erforderliche tierärztliche Versorgung hinzuzuziehen, wodurch es zu einer starken Abmagerung, Eintrocknung des Magens und des Darmes sowie Liegeschwellen samt Nekrosen an den Ellenbogen der Kuh kam, weshalb sie letztlich am 19. Dezember 2023 euthanasiert werden musste;
II.) im gegenständlichen Strafverfahren in ** ein falsches oder verfälschtes Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren gebraucht, indem er in der Hauptverhandlung am 24. Mai 2024 beim Landesgericht Krems an der Donau von ihm selbst geführte falsche bzw. verfälschte Aufzeichnungen des Rinderbestandes vorlegte, wonach die Kuh mit der Ohrmarkennummer ** am 17. Dezember 2023 ein Kalb geboren hätte.
Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen von zwei Vergehen als erschwerend, als mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 25), fristgerecht ausgeführte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 29).
Der Berufung wegen Schuld kommt Berechtigung zu.
Voranzustellen ist, dass das Erstgericht seine Konstatierungen zum objektiven Tathergang, sowohl zum Zustand der betreffenden Kuh bei einem am 19. Dezember 2023 durchgeführten Lokalaugenschein als auch zur angenommenen Entstehung dieses Zustands, weitgehend auf die Angaben der Zeugen Dr. B*, Dr. C* und Dr. D* sowie das Sektionsprotokoll vom 28. Dezember 2023 (ON 2.2) stützte, woraus es letztlich auf eine vorsätzliche, mangelhafte Versorgung mit Wasser und Futter über einen Zeitraum von mehreren Wochen, auf ein Festliegen der Kuh über mehrere Tage samt entstandener Liegeschwielen und solcherart auf erlittene Qualen und Schmerzen des Tieres schloss.
Dem an sich ausführlich durchgeführten Beweisverfahren haftet jedoch ein grundsätzlicher, struktureller Mangel an, der geeignet ist, Bedenken an der vom Erstgericht vorgenommenen Beweiswürdigung zu erwecken.
Gemäß § 154 Abs 1 StPO ist ein Zeuge eine vom Beschuldigten verschiedene Person, die zur Aufklärung der Straftat wesentliche oder sonst den Gegenstand des Verfahrens betreffende Tatsachen mittelbar oder unmittelbar wahrgenommen haben könnte und darüber im Verfahren aussagen soll. Eine Zeugenvernehmung hat nur Wahrnehmungen von Tatsachen zum Gegenstand, nicht aber subjektive Meinungen, Ansichten, rechtliche Beurteilungen, Schlussfolgerungen, Wertungen oder ähnliche intellektuelle Vorgänge. Dies trifft auch auf sachverständige Zeugen zu (Kirchbacher/Keglevic in WK StPO § 154 Rz 8 ff).
Der sachverständige Zeuge – der StPO fremd – kann ein Sachverständigengutachten nicht ersetzen (RIS-Justiz RS0097491).
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Rolle des Sachverständigen mit der Rolle des Zeugen unvereinbar ist, weil die Zeugenstellung in der Regel geeignet ist, die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen (§ 126 Abs 4 ivM § 47 Abs 1 StPO) (Kirchbacher/Keglevic aaO Rz 11; Hinterhofer/Tipold aaO § 125 Rz 21).
Vor dem Hintergrund, dass die erstgerichtlichen Feststellungen diesen Prämissen zuwider nur zu einem geringen Anteil auf mittelbaren oder unmittelbaren Wahrnehmungen der vernommenen Zeugen, in weiten und entscheidenden Teilen aber vielmehr bloß auf subjektiven Meinungen, Ansichten, Schlussfolgerungen und Wertungen derselben gründen, hegt das Rechtsmittelgericht insgesamt Bedenken an der Beweiswürdigung des Erstgerichts.
Dazu kommt, dass das Erstgericht zwar nachvollziehbar begründete, warum es der schriftlichen Bestätigung der Zeugin E* (ON 5.6) keinen eigenen Beweiswert zuerkannte, zumal diese teilweise bloß ungeprüft die Angaben des Angeklagten wiedergab, es im Weiteren aber unterließ, die Angaben der Zeugin zu ihren persönlichen Wahrnehmungen vor Ort zum Zustand der Kuh zu berücksichtigen und sich mit den durchaus beträchtlichen Divergenzen zu den Wahrnehmungen des Zeugen Dr. B* auseinanderzusetzen.
Neben der unmittelbaren und jeweils auf persönlicher Wahrnehmung beruhender Einschätzung des gesundheitlichen Zustands der Kuh am 19. Dezember 2023, der von dem Tierarzt Dr. B* und von der Tierärztin Mag. E* schon durchaus unterschiedlich beschrieben wurde, unterscheiden sich die Angaben der Zeugen insbesondere in ihren daraus gezogenen Schlussfolgerungen und Wertungen teils erheblich. Die weitere Zeugin Dr. D*, die den Angeklagten lediglich von früheren Vorfällen kannte, hatte sogar überhaupt keine eigenen Wahrnehmungen, sondern beurteilte die Situation lediglich abstrakt und ähnlich einer Sachverständigen (ON 15.5, 19 ff).
Angesichts der divergierenden Einschätzung der fachkundigen Zeugen wäre das Erstgericht im Zuge amtswegiger Wahrheitsforschung und im Sinn der Berücksichtigung der eingangs aufgezeigten Grenzen des Zeugenbeweises dazu verhalten gewesen, ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Veterinärmedizin, nach Möglichkeit mit einer Spezialisierung auf Rinder, einzuholen.
Ein Sachverständiger ist – sofern das Gesetz dies nicht zwingend vorsieht – grundsätzlich dann beizuziehen, wenn die Lösung der Tatfrage von Fachkenntnissen abhängt, die – wie gegenständlich - nicht jedes Mitglied des Gerichts besitzt, wobei sachverständige Zeugen keine Sachverständigen sind (Lendl in WK StPO § 258 Rz 21 f).
In diesem Gutachten werden alle tiermedizinischen Fachfragen, deren Beantwortung zur abschließenden Beurteilung des gegenständlichen Sachverhalts notwendig ist, zu behandeln sein. Insbesondere wird beispielsweise zu klären sein, wieviel Wasser und Futtermittel eine Kuh gegenständlichen Alters üblicherweise benötigt; ob die Abmagerung der Kuh Ausdruck eines natürlichen Altersgeschehens sein kann (vgl Geburtsdatum 17. Februar 2009 gemäß ON 2.2., 1 und ON 17.2, 2); ob eine reduzierte Nahrungs- und Wasseraufnahme und ein Festliegen angesichts des Lebensalters der Kuh Teil eines natürlichen Alters- oder auch Sterbevorgangs sein können; ob die beschriebenen Liegeschwielen zwingend auf bereits länger andauerndes Festliegen hindeuten (vgl. Schlussfolgerung der Zeugin Dr. D* in ON 2.1, 2 und Einschätzung von Dr. C* zu einer Dauer des Bestehens der Schwielen von mehr als zehn Tagen in ON 15.5., 16 im Gegensatz zur Ansicht der Zeugin Mag. E*, die als mögliche Ursache für die Schwielen auch altersbedingt erschwerte Aufstehvorgänge nannte und die Dauer des Bestehens der Schwielen in ON 24.4., 6 mit zwei bis drei Tagen einschätzte; ob die genannten Läsionen (die vor Ort neben Mag. E* auch dem beigezogenen Amtssachverständigen Dr. B* nicht auffielen; ON 15.5, 14) ein Ausmaß erreicht haben, das typischerweise mit Schmerzen verbunden ist; falls ja, ab wann – auch im Hinblick auf den schlechten Ernährungszustand - spätestens die Beiziehung eines Tierarztes erforderlich gewesen wäre (vgl dazu die Zeugin E*, die nicht sagen konnte, ob die Kuh schon zwei Tage vorher tierärztlichen Bedarf gehabt hätte; ON 24.4, 6); ob ein Festliegen einer Kuh jedenfalls sofortige tierärztliche Hilfe erfordert oder ein Zuwarten – falls ja über welchen Zeitraum und unter welchen sonstigen Voraussetzungen - vertretbar ist (vgl dazu divergierende Ansichten in ON 12.2, 7); falls eine frühere Behandlung indiziert gewesen wäre, wie diese konkret ausgesehen hätte; ob die Kuh dehydriert war und wodurch eine Dehydration bei einer Kuh erkennbar ist (vgl dazu die Angaben der Zeugin Mag. E* zum „normalen“ Einstechen in die Jugolarvene ON 24.4, 8, andererseits den eingetrockneten Panseninhalt in Verbindung mit der Einschätzung des Zeugen Dr. C* zum Thema Verdunstung ON 15.5., 18); wie sich ein allfälliges Schmerzgeschehen bei einer Kuh äußert und wie deren Verhalten im Hinblick auf ihren Gesamtzustand und auf allfällige Schmerzen zu deuten ist (vgl dazu etwa die Beschreibung in ON 12.2., 6, wonach das Rind nur noch zögerlich auf äußere Einflüsse reagierte, im Gegensatz zu den Angaben der Zeugin Mag. E* in ON 24.4, 2 ff, wonach die Kuh kaute, vom Sensorium her noch vollständig da gewesen sei, keine Seitenlage gehabt habe, mit den Ohren gewackelt habe, keine Gefahr in Verzug vorgelegen sei und die nicht feststellen konnte, ob das Tier Qualen hatte).
Insbesondere mit Blick auf Punkt II./ wird darüber hinaus zu klären sein, ob es aus tierärztlicher Sicht möglich ist, dass die Kuh am 17. Dezember 2023 ein Kalb geboren hat (vgl dazu etwa zum Zustand der Gebärmutter den Sektionsbericht ON 2.2. und die Lichtbilder des Kalbes in ON 12.2, 9 f sowie die Einschätzung des Zeugen Dr. B* in ON 15.5., 13 ff).
Aufgrund genannter Erwägungen stand bereits vor Anordnung einer öffentlichen Verhandlung über die Berufung fest, dass das Urteil in Stattgebung der Berufung wegen Schuld gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO nichtöffentlich aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen war.
Im fortgesetzten Verfahren wird dieses zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage ein Sachverständigengutachten aus dem genannten Fachgebiet einzuholen haben und - soweit sodann erforderlich - nach neuerlicher Befragung der Zeugen zu ihren Wahrnehmungen unter Einbeziehung sämtlicher Beweisergebnisse über die erhobenen Vorwürfe zu befinden haben.
Der Berufung wegen Schuld war daher Folge zu geben und der Angeklagte mit seiner Berufung wegen Nichtigkeit und Strafe auf die Kassation zu verweisen.
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