12Rs58/25y – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. und Dr. Dieter Weiß als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Bernhard Kreutzer, MBA (Kreis der Arbeitgeber) und Martin Gstöttner (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **straße **, vertreten durch die Korn Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch deren Angestellte Mag. B*, Landesstelle *, wegen Weitergewährung von Rehabilitationsgeld , über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. April 2025, *Cgs1*-29, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 731,90 (darin EUR 121,98 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Urteil vom 12. Jänner 2021 zu Cgs2* sprach das Landesgericht Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht aus, dass die Klägerin auf Grund und für die Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit seit 1. März 2020 Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sowie Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung habe.
Mit Bescheid vom 8. März 2024 entzog die Beklagte der Klägerin das seit 1. März 2020 gewährte Rehabilitationsgeld mit Ablauf des 30. April 2024 und sprach aus, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege, medizinische Maßnahmen der Rehabilitation nicht mehr zweckmäßig seien und kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.
Dagegen richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Weitergewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sowie Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung im gesetzlichen Ausmaß, in eventu auf Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich nicht kalkülsrelevant verbessert; die Mitwirkungspflicht sei nicht verletzt worden.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin soweit gebessert habe, dass sie wieder in der Lage sei, eine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Im Übrigen habe die Klägerin die ihr obliegende Mitwirkungspflicht zur Besserung ihres psychiatrischen Leidens schuldhaft verletzt.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage statt. Es traf konkrete Feststellungen zum Leistungskalkül der Klägerin im Zeitpunkt der Gewährung des Rehabilitationsgelds, wobei eine jährliche Krankenstandsprognose von mehr als sieben Wochen hervorzuheben ist. Das Erstgericht stellte auch das konkrete Leistungskalkül der Klägerin im Entziehungszeitpunkt fest; es waren noch immer leidensbedingte wiederkehrende Krankenstände im Ausmaß von sieben Wochen pro Jahr zu erwarten. Außerdem wurden folgende – für das Berufungsverfahren relevante – Feststellungen getroffen:
Die im Vorverfahren Cgs2* des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht bestellte neurologisch-psychiatrische Sachverständige führte zur Frage der Besserungsfähigkeit (auszugsweise) aus:
[...]
a) Welche adäquaten Behandlungen sind zur Besserung des Leistungskalküls möglich?
Inanspruchnahme einer regelmäßigen neuro-psychiatrischen Behandlung, Psychotherapie, adäquate medikamentöse antidepressive Therapie, Blutspiegelkontrolle, psychiatrische Rehabilitation (obliegt dem behandelnden Facharzt für Psychiatrie und Neurologie).
Inwiefern kann sich dadurch das Leistungskalkül ändern?
Erhöhung der Tagesarbeitszeit, keine zusätzlichen Pausen, Verminderung der Krankenstände, Verbesserung der persönlichen und sozialen Kompetenz.
[...]
Die Beklagte forderte daher die Klägerin in der Tagsatzung am 12. Jänner 2021 zur Mitwirkung zur Behandlung ihrer Leiden auf:
Die beklagte Partei fordert die klagende Partei ausdrücklich auf, sich den im Gutachten Dr. C* vom 16. Oktober 2020 empfohlenen Behandlungsmaßnahmen unverzüglich zu unterziehen. Die klagende Partei wird ausdrücklich auf ihre Mitwirkungspflicht zur Verbesserung ihres Leidenszustandes aufmerksam gemacht. Die nicht ordnungsgemäße Befolgung der empfohlenen Therapien kann eine schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht darstellen und den Verlust des geltend gemachten Anspruchs auf Invaliditätspension zur Folge haben sowie, dass die Weitergewährung einer allenfalls befristet gewährten Invaliditätspension von vornherein abgelehnt bzw. die allenfalls befristet gewährte Invaliditätspension wieder entzogen wird.
Die Klägerin befindet sich in psychotherapeutischer sowie regelmäßig in fachärztlicher Behandlung und wird im Rahmen einer Beratungsstelle seit ca 2018 betreut.
Die Klägerin unterzog sich im Anschluss an das Vorverfahren einer adäquaten medikamentösen Therapie mit regelmäßigen Kontrollen bei einer Fachärztin für Psychiatrie. Weiters wurden therapeutische Maßnahmen in Anspruch genommen.
Zur Therapie des Krankheitsbildes können mehrere Maßnahmen erfolgreich sein. Insbesondere könnte eine stationäre psychiatrische Reha, die in vielen Fällen auch zweckmäßig ist, dazu führen, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes eintritt. Inwieweit dadurch eine Reduktion der Krankenstandprognose zu erreichen wäre, lässt sich mit der notwendigen Sicherheit nicht einschätzen.
Von der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie wurde keine Rehabilitationsmaßnahme verordnet bzw eine solche als kontraindiziert eingestuft, da die Klägerin in stationären Settings aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen Flashbacks, Intrusionen und ausgeprägte Angststörungen entwickle. Aus fachlicher Sicht ist dies aber nicht nachvollziehbar.
Es kann nicht festgestellt werden, ob und wann Blutspiegelkontrollen, die belegen würden, ob die verordneten Medikamente eingenommen wurden, durchgeführt wurden.
In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass eine Leistung gemäß § 99 Abs 1 ASVG nur bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse entzogen werden könne. Die bei der Klägerin zu erwartenden Krankenstände von jährlich sieben Wochen würden sie aber weiterhin vom Arbeitsmarkt ausschließen; die Entziehung der Leistung sei daher sachlich nicht gerechtfertigt. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht habe die Klägerin nicht zu verantworten, da sie die von ihrer Fachärztin angeordneten Therapien in Anspruch genommen habe; ein Rehabilitationsaufenthalt sei nicht verordnet worden. Die Entziehung des Rehabilitationsgelds könne daher auch nicht auf § 99 Abs 1a ASVG gestützt werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1 Thema des Berufungsverfahrens ist ausschließlich die Frage der Verletzung der Mitwirkungspflicht der Klägerin. Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, dass sich die Klägerin einer psychiatrischen Rehabilitation unterziehen hätte müssen und mangels Blutspiegelkontrollen keine adäquate medikamentöse Therapie angenommen werden könne.
2 Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht die Beklagte geltend, dass es das Erstgericht unterlassen habe, Widersprüche ausreichend aufzuklären, ohne jedoch einen konkreten Verfahrensmangel aufzuzeigen.
Wenn die Beklagte vermeint, dass nicht ausreichend geklärt werden habe können, weshalb die Klägerin keine psychiatrische Rehabilitation durchgeführt habe, und daher eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nicht beurteilt werden könne, macht sie in Wahrheit einen der Rechtsrüge zuzuordnenden Feststellungsmangel geltend. Die Ausführungen zur medikamentösen Therapie unter Hinweis, dass eine Blutspiegelkontrolle, die eine Medikamenteneinnahme nachweisen würde, nicht vorliege, betreffen Fragen der Beweiswürdigung.
Die Beklagte legt auch nicht dar, welche Feststellungen bei einem ihrer Ansicht nach mängelfreien Verfahren zu treffen gewesen wären. Ob die Klägerin die Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzte, stellt eine Rechts- und keine Tatfrage dar.
3.1 Dass sich die Klägerin keiner psychiatrischen Rehabilitation unterzog, ist völlig unstrittig; diesen Umstand indiziert auch die erstgerichtliche Feststellung, wonach die Fachärztin der Klägerin keine Rehabilitationsmaßnahmen verordnet hat. Unverständlich ist daher, dass die Beklagte diese durch den ärztlichen Befundbericht vom 18. Februar 2025 (Blg ./C) untermauerte Feststellung bekämpft. Dass die Ansicht der behandelnden Fachärztin aus Sicht des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen nicht nachvollziehbar ist, stellte das Erstgericht ohnehin fest.
Die von der Beklagten weiters begehrte Ersatzfeststellung, dass sich bei Durchführung einer psychiatrischen Rehabilitation der Gesundheitszustand bzw das Leistungskalkül der Klägerin so weit gebessert hätte, dass diese wieder am allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar wäre, ist nicht tragfähig. Ob von einer Verweisbarkeit auszugehen ist, stellt nämlich eine Rechts- und keine Tatfrage dar. In welchen Punkten sich das Leistungskalkül konkret verbessert hätte, lassen die Berufungsausführungen hingegen völlig offen.
3.2 Die Beklagte wendet sich zudem gegen die Feststellung, wonach sich die Klägerin einer adäquaten medikamentösen Therapie unterzogen habe. Mit der Begründung, dass sich dies ohne entsprechende Blutspiegelkontrolle nicht belegen lasse, strebt sie die Ersatzfeststellung an, dass nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gesagt werden könne, ob die Klägerin eine adäquate medikamentöse antidepressive Therapie in Anspruch genommen habe.
3.2.1Der Ersatzfeststellung mangelt es aber an der notwendigen rechtlichen Relevanz, trifft doch die Beweislast für das Vorliegen eines Entziehungsgrundes den Versicherungsträger (RIS-Justiz RS0083813 [T2]; vgl Atria in Sonntag, ASVG 16 § 99 Rz 4). Die begehrte Negativfeststellung geht damit zu Lasten der Beklagten.
3.2.2 Im Übrigen kann mit einer Blutspiegelkontrolle ua der Nachweis der Einnahme von Medikamenten geführt werden. Fehlt eine solche Blutspiegelkontrolle, ist daraus aber nicht (zwingend) abzuleiten, dass keine Medikamente eingenommen werden, sondern hat der Richter dazu in freier Beweiswürdigung Feststellungen zu treffen. Wenn der neurologisch-psychiatrische Sachverständige über ausdrückliche Frage der Beklagten in seinem Ergänzungsgutachten (ON 19 S 3) ausführt, dass, soweit überblickbar eine entsprechende medikamentöse Therapie mit regelmäßigen Kontrollen bei der Fachärztin erfolgte, und diese Aussage in der Gutachtenserörterung auch zu begründen vermag (ON 27.2 S 3), so trifft die darauf aufbauende Feststellung des Erstgerichts beim Berufungssenat auf keine Bedenken.
4Gemäß § 99 Abs 1a ASVG ist das Rehabilitationsgeld der anspruchsberechtigten Person zu entziehen, wenn sie sich nach Hinweis auf diese Rechtsfolge weigert, an den ihr zumutbaren medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation mitzuwirken.
4.1 Nach den erstgerichtlichen Feststellungen unterzog sich die Klägerin einer adäquaten medikamentösen Therapie, sodass sich daraus eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nicht ableiten lässt. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang abermals darauf hinweist, dass kein medizinischer Nachweis für die Einnahme der Medikamente vorliege, das Erstgericht dazu aber dennoch eine positive Feststellung getroffen habe, so sind diese Ausführungen der Beweisrüge zuzuordnen (siehe dazu bereits Pkt 3.2).
4.2 Zu prüfen bleibt daher, ob das Unterlassen einer psychiatrischen Rehabilitation die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die Klägerin begründet. Dies ist gegenständlich zu verneinen.
4.2.1 Die Beklagte stützte sich in erster Instanz insbesondere auf die Ausführungen der im Verfahren Cgs2* des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht bestellten neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen zu den empfohlenen Behandlungsmaßnahmen. Zutreffend ist, dass die im Vorverfahren beigezogene Sachverständige eine Verbesserung des Leistungskalküls der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit für möglich hielt und diverse adäquate Behandlungsmaßnahmen, ua eine psychiatrische Rehabilitation, aufzählte. Wenn die Beklagte auch in der Berufung versucht, ihre Argumentation damit zu untermauern, setzt sie sich offenbar mit den Aussagen der Sachverständigen und den erstgerichtlichen Feststellungen nicht ausreichend auseinander. Dem Gutachten entsprechend stellte das Erstgericht nämlich die psychiatrische Rehabilitation mit dem Zusatz „ obliegt dem behandelnden Facharzt für Psychiatrie und Neurologie “ als adäquate Behandlungsmaßnahme unbekämpft fest, was von der Beklagten geflissentlich übergangen wird.
4.2.2Wenn sich daher die Klägerin in ständiger fachärztlicher Behandlung befand, die angeordnete Therapie durchführte, die Ärztin aber keine psychiatrische Rehabilitation verordnete und die Klägerin dies nicht hinterfragte, kann ihr dies nicht zum Vorwurf gemacht werden (vgl auch RIS-Justiz RS0085035).
5 Der Berufung kommt daher insgesamt keine Berechtigung zu.
6Die Kostenentscheidung gründet auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
7Die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig. Ausschlaggebend sind irrevisible Tatfragen.