12Rs17/25v – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. und Dr. Dieter Weiß als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Mario Niederfriniger (Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andreas Leidlmayer (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **straße **, vertreten durch die Ortner Rechtsanwalts KG in Gmunden, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , **, **-Straße **, vertreten durch deren Angestellte Mag. B*, Landesstelle Oberösterreich, wegen Berufsunfähigkeitspension , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Dezember 2024, Cgs*-43, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 9. März 2023 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 11. Jänner 2023 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab und sprach aus, dass auch vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von mindestens sechs Monaten nicht vorliege und kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld sowie auf medizinische und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstellung, in eventu auf Gewährung der gesetzlich vorgesehenen Rehabilitationsmaßnahmen. Aufgrund erlittener Hirnblutungen sei die Klägerin derzeit nicht in der Lage, einem Beruf nachzugehen.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass die Klägerin noch in der Lage sei, eine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Seiner Entscheidung legte es folgenden (zusammengefassten) Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin kann Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen verrichten, wobei häufiges Bücken bis zum Boden, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und in schwindelexponierten Lagen sowie Arbeiten, welche abruptes Ziehen, Drücken und Stoßen verlangen, auszuschließen sind. Tragen ist bis 5 kg und Heben bis 10 kg halbzeitig möglich. Sie kann 20 Stunden pro Woche (fünf Tage zu vier Stunden) arbeiten. Aufgrund vorzeitiger Erschöpfung können zusätzliche Arbeitspausen anfallen, sodass die Klägerin nach zwei Stunden Arbeit eine Pause von 15 bis 30 Minuten benötigt. Ihr ist ein durchschnittlicher Zeitdruck zumutbar; Arbeiten unter vermehrter psychischer und physischer Belastung wie Akkordarbeit, Nachtarbeit oder Arbeiten, welche vermehrte Anforderungen an Kundenkontakt oder aktive und passive Kommunikationsfähigkeit erfordern, sind zu vermeiden. Fallweise, etwa zu 20 % der Gesamtarbeitszeit, sind Arbeiten unter vermehrten Menschenansammlungen möglich. Das Auffassungsvermögen ist nicht beeinträchtigt, dennoch sollten an die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit keine vermehrten Ansprüche gestellt werden. Der Klägerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar. Ein Wochenpendeln ist nicht möglich. Es ist mit Krankenständen von zwei Wochen pro Jahr zu rechnen, wobei regelmäßige Kuraufenthalte nicht unbedingt erforderlich sind.
Die Klägerin hat keinen Beruf erlernt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag, war sie in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten im Lebensmittelhandel, hierbei ab 2008 in der Funktion einer stellvertretenden Filialleiterin, beschäftigt. Die Klägerin wurde durch interne, einige Monate dauernde, intensive Schulungen hinsichtlich der zu verrichtenden Aufgaben angelernt. Insgesamt waren in der Filiale 18 Personen beschäftigt, wobei während der Zeiten ihrer Dienstverrichtung jeweils sechs bis sieben Mitarbeiter eingesetzt waren. Die Klägerin führte Bestellungen, Abrechnungen, Warenübernahmen, Kassadienste und die Mitarbeitereinteilung durch, somit Arbeiten, die auch von gelernten Einzelhandelskauffrauen verrichtet werden, und war in Beschäftigungsgruppe III des für Handelsangestellte anzuwendenden Kollektivvertrags eingestuft. Die Klägerin kann diese Tätigkeiten nicht mehr verrichten, jedoch solche der Beschäftigungsgruppe II (Kalkulationen, Fakturierungen, Schreibtätigkeiten, usw) des Kollektivvertrags für Handelsangestellte. Am bundesweiten Arbeitsmarkt existieren jeweils über 100 solcher Arbeitsplätze; am regionalen Arbeitsmarkt zumindest 30, welche innerhalb von 42 bzw 57 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, dass die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit im Lebensmittelhandel kaufmännischen Berufsschutz genieße, wobei ihr jedoch kein Branchen- oder Tätigkeitsschutz zukomme. Da die Klägerin noch in Verweisungsberufen der Beschäftigungsgruppe II des Kollektivvertrags für Handelsangestellte eingesetzt werden könne und damit kein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden sei, liege eine Berufsunfähigkeit nicht vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf Klagsstattgabe gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung die Bestätigung des Ersturteils.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1.1 Wenn die Klägerin behauptet, dass sie nach zwei Stunden Arbeit eine Pause von 15 bis 30 Minuten benötige und es nicht möglich sei, einen Arbeitgeber zu finden, der bei einer Teilzeitbeschäftigung eine Pause von 30 Minuten zulasse, so entfernt sich die Rechtsrüge in diesem Punkt vom festgestellten Sachverhalt. Das Erstgericht stellte nämlich fest, dass bei vorzeitiger Erschöpfung zusätzliche Arbeitspausen anfallen können . Diese Feststellung kann im Sinne des neurologischen Sachverständigengutachtens (ON 24 S 2) nur so verstanden werden, dass Pausen in unregelmäßigen Abständen notwendig sind und nicht jedes Mal nach zwei Stunden Arbeit.
1.2Da auch in Sozialrechtssachen von der Geltung der allgemeinen Grundsätze für die Beweislastverteilung auszugehen ist (RIS-Justiz RS0086050), schlägt es zum Nachteil desjenigen aus, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, wenn die rechtsbegründenden Tatsachen hierfür nicht bewiesen sind. Der Versicherte ist etwa für den Ausschluss vom allgemeinen Arbeitsmarkt und damit für das Vorliegen den Ausschluss der Verweisung bewirkender Umstände (objektiv) beweispflichtig (vgl Sonntag in Köck/Sonntag, ASGG § 87 Rz 6). Es ist der rechtlichen Beurteilung daher der niedrigste der möglichen Zeitwerte zugrunde zu legen, sodass gegenständlich von 15-minütigen und nicht von 30-minütigen Pausen auszugehen ist (vgl etwa OGH 10 ObS 138/14p, 10 ObS 6/12y, 10 ObS 175/98b). Dass die Klägerin bei gelegentlichen Pausen von 15 Minuten auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen wäre, behauptet die Berufung nicht und ergibt sich auch nicht aus dem vorliegenden berufskundlichen Sachverständigengutachten (ON 12).
2 Das Erstgericht stellte fest, dass am regionalen Arbeitsmarkt zumindest 30 innerhalb von 42 bzw 57 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbare Arbeitsplätze existieren. Die Klägerin geht davon aus, dass die Wegstrecke von ihrem Wohnort zum Bahnhof C* außer Acht gelassen worden sei. Unter Berücksichtigung eines Fußweges von zehn Minuten zur Straßenbahn und deren Anfahrtszeit zum Bahnhof werde die „normalerweise angenommene“ Maximalzeit für das Tagespendeln von 1,5 Stunden überschritten; das Tagespendeln sei daher in zeitlicher Hinsicht unzumutbar.
2.1 Zutreffend ist, dass grundsätzlich bei der Beurteilung des zur Verfügung stehenden regionalen Arbeitsmarkts der Anmarschweg durch dessen zumutbare Dauer beschränkt ist, wobei jedoch nicht eine Gesamtfahrzeit von etwa eineinhalb Stunden, sondern eine Fahrzeit von einer Stunde je für Hin- und Rückfahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel regelmäßig als Richtwert angenommen wird, der auch geringfügig überschritten werden kann (vgl OLG Linz 12 Rs 103/13y, 11 Rs 42/17a, 11 Rs 7/16b; OLG Innsbruck 23 Rs 16/13v, 25 Rs 43/16h).
2.2 Das Erstgericht nahm im Rahmen seiner Feststellung zum regionalen Arbeitsmarkt ausdrücklich Bezug auf das berufskundliche Sachverständigengutachten ON 12, Seite 23. Diesem ist eindeutig zu entnehmen, dass die angegebene Fahrzeit den Weg zwischen Wohnort und Bahnhof mit einschließt; in diesem Sinne ist die getroffene Feststellung auch zu verstehen. Demnach kann aber die Klägerin von ihrem Wohnort in ** C*, **straße **, innerhalb einer zumutbaren Fahrzeit von 42 bzw 57 Minuten einen ausreichend großen regionalen Arbeitsmarkt erreichen.
3 Der Berufung kommt somit keine Berechtigung zu; das angefochtene Urteil war daher zu bestätigen.
4Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände für einen Kostenersatz nach Billigkeit trotz vollständigen Unterliegens wurden von der Klägerin weder dargelegt noch ergeben sich diese aus der Aktenlage; insbesondere haben im Verfahren weder tatsächliche noch rechtliche Schwierigkeiten bestanden.
5Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zur Beurteilung vorlag.