9Ns5/25s – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafvollzugssache des A* über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Landesgericht Ried im Innkreis (BE1*) und dem Landesgericht Salzburg (BE2*) in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Das Strafvollzugsverfahren ist vom Landesgericht Ried im Innkreis zu führen.
Text
begründung:
A* wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 3. Dezember 2024, B1*, unter Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung per 5. Februar 2025 bedingt entlassen (ON 20). Als Entlassungsadresse hatte der Genannte die Anschrift seines Elternhauses in B* , **, angegeben (ON 18 und ON 23).
Am 7. Februar 2025 trat das Landesgericht Ried im Innkreis die gegenständliche Strafvollzugssache unter Hinweis auf § 179 StVG an das Landesgericht Salzburg zur Weiterführung ab (ON 24).
Mit Schreiben vom 10. Februar 2025 (ON 25) teilte der Entlassene mit, dass er Österreich am 3. März (gemeint:) 2025 verlassen und nach Italien auswandern werde.
Das Landesgericht Salzburg legt nunmehr die Akten zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt mit dem Landesgericht Ried im Innkreis vor; die Zuständigkeit sei nicht ex lege nach § 179 Abs 1 StVG übergegangen, weil der bedingt Entlassene in B* weder ein Wohnsitz noch ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet habe (ON 26).
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 179 Abs 1 StVG geht im Fall der Erteilung von Weisungen oder der Bestellung eines Bewährungshelfers im Zusammenhang mit einer bedingten Entlassung und der Aufnahme eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts durch den Verurteilten im Sprengel eines Landesgerichts, das nicht im selben Bundesland liegt wie das Vollzugsgericht, die weitere Zuständigkeit mit dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über die bedingte Entlassung und die damit zusammenhängenden Anordnungen auf dieses Landesgericht (des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts) über.
Maßgeblich für den Übergang der Zuständigkeit gemäß § 179 Abs 1 StVG ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung über die bedingte Entlassung und die damit zusammenhängenden Anordnungen, wohingegen ein späterer Wohnsitzwechsel die Zuständigkeit nicht mehr berührt und nur gemäß § 17 Abs 3 StVG iVm § 39 StPO berücksichtigt werden kann (RIS-Justiz RS0088481). Da der Zweck der Bestimmung in der Wiederherstellung der räumlichen Nähe zwischen Vollzugsgericht und Wohnsitz bzw gewöhnlichem Auf-enthalt des bedingt Entlassenen liegt, ist § 179 Abs 1 StVG analog auf den Wechsel des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts unmittelbar nach tatsächlich erfolgter Entlassung bei bereits vorliegender Rechtskraft anzuwenden (RIS-Justiz RS0088481 [T2]; Pieber in WK 2StVG § 179 Rz 4 mwN).
Abzustellen ist auf den tatsächlichen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt. Welchen Wohnsitz der Entlassene laut gerichtlicher Weisung nehmen sollte, ist nicht entscheidend; ebenso wenig eine bloße Scheinmeldung, Zustell- oder Postkastenadresse. Umgekehrt kommt auch dem Umstand fehlender polizeilicher Meldung oder einem Postfehlbericht keine ausschlaggebende Bedeutung zu ( Pieber in WK 2StVG § 179 Rz 5). Für die Begründung eines Wohnsitzes bedarf es eines subjektiven Moments der – nach außen hin erkennbaren – Absicht der betreffenden Person, an dem jeweiligen Ort ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen (vgl 11 Ns 75/17v). Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person dagegen bestimmt sich nicht nach ihrem Willen zur Aufenthaltsnahme, sondern ausschließlich nach tatsächlichen Umständen; er hängt weder von der Erlaubtheit noch von der Freiwilligkeit des Aufenthalts ab (RIS-Justiz RS0109116). Um von einem „gewöhnlichen“ Aufenthalt ausgehen zu können, müssen diese tatsächlichen Umstände – bei objektiver ex-ante-Betrachtung – darauf hindeuten, dass die Person nicht bloß vorübergehend (etwa nur zur Durchreise, zu Urlaubszwecken, für eine Operation oder nur zu einem kurzen Besuch bei Freunden oder Verwandten), sondern längere Zeit an dem betreffenden Ort bleiben wird. Bei einer Aufenthaltsdauer von ungefähr sechs Monaten kann von der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ausgegangen werden (RS0109116 [T6]).
Da der bedingt Entlassene bereits fünf Tage nach seiner Enthaftung bekannt gegeben hat, dass er mit 3. März (gemeint:) 2025 nach Italien auswandern werde (ON 25), kann von einer nach außen hin erkennbaren Absicht, B* künftig zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen zu machen, nicht gesprochen werden. An der angeführten Adresse wurde somit jedenfalls kein Wohnsitz begründet. Dass der bedingt Entlassene von 5. Februar bis 3. März 2025 – im Licht seiner Erklärung über die unmittelbar bevorstehende Ausreise – vorübergehend bei seiner Familie in B* untergekommen ist, reicht nach dem früher Gesagten zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts aber ebensowenig aus.
Damit ist weiterhin die Zuständigkeit des Landesgerichts Ried im Innkreis zur Führung des Strafvollzugssache gegeben.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.