8Bs28/25m – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch den Richterinnen Mag. Reinberg als Vorsitzende und Mag. Haidvogl, BEd, sowie den Richter Mag. Grosser in der Maßnahmenvollzugssache betreffend A* wegen Prüfung der Notwendigkeit der weiteren Anhaltung über die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom 21. Jänner 2025, GZ1*-9, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
BEGRÜNDUNG:
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18. November 2019 zu GZ2* wurde der am ** geborene iranische Staatsbürger A* wegen der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 202 Abs 1, 15 Abs 1 StGB und der Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlung nach § 218 Abs 1a StGB schuldig erkannt und hierfür zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Gemäß § 21 Abs 2 StGB wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. Das errechnete Strafende war am 28. Jänner 2021 (ON 3, S 1).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 21. Jänner 2025 (ON 9) stellte das Erstgericht die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum fest und wies den auf bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug gerichteten Antrag des Betroffenen (ON 4) ab.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die rechtzeitige Beschwerde der Betroffenen (ON 11), die ohne Erfolg ist.
Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen und so lange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert (§ 25 Abs 1 StGB). Die bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme ist zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in einer Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht (§ 47 Abs 2 StGB).
Im Sinn dieser Kriterien hat das Erstgericht unter Berücksichtigung der aktuellen, unbedenklichen und schlüssigen Unterlagen und Verfahrensergebnisse aktenkonform dargelegt, warum die Unterbringung des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund seiner nach wie vor geltenden psychiatrischen Diagnose, Biografie und gesundheitlichen Entwicklung weiterhin notwendig ist.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das vor etwa einem Jahr eingeholte Gutachten von Mag. B* vom 3. November 2023, welches beim Betroffenen das unveränderte Vorliegen einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung konstatierte, wobei der klinisch-psychologische Sachverständige eine kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden, zwanghaften schizoiden und narzisstischen Anteilen (F61.0) und eine sonstige Störung der Sexualpräferenz (F65.8) diagnostizierte. Ein weiteres Bestehen der Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, wurde in diesem Gutachten bestätigt (GA B* S 57). Der Sachverständige hielt fest, dass sich der Betroffene mit Blick auf relevante Verhaltensänderungen erst in einem Stadium der Vorbereitung bzw (teilweise erst) der Absichtsbildung befinde (GA S 56 f) und langfristig Lockerungsmaßnahmen sowie therapeutische Bemühungen dem Ziel der Bereitstellung eines adäquaten sozialen Empfangsraums dienen sollten. Der befürchteten chronischen Entwicklung in Richtung eines „preferential rape patterns“ sei nur durch entsprechende therapeutische Maßnahmen entgegenzuwirken, wobei insbesondere die Wichtigkeit der Etablierung einer Einzelpsychotherapie vom Sachverständigen hervorgehoben wurde (GA S 57).
Mit diesem Gutachten in Einklang steht eine zeitnah erstattete Stellungnahme der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) vom 20. Oktober 2023, die beim Betroffenen von einer schizoiden Persönlichkeitsstörung, einer starken sexuellen Angetriebenheit und einer paraphilen Störung ausgeht, die mit einem hohen Risiko für weitere Sexualdelinquenz assoziiert ist. Die Störung sei nicht ausreichend adressiert, um von einer bedeutsamen Veränderung der Rückfallgefahr ausgehen zu können.
In der forensischen Stellungnahme des FTZ C* vom 30. September 2024 (ON 6) wird nunmehr darauf hingewiesen, dass es gerade im (so wichtigen) Setting der Psychotherapie zu einem massiven Rückschritt gekommen ist. Der Untergebrachte erhob störungsbedingt den Vorwurf, sein Psychotherapeut würde ihn mit anzüglicher Gestik, Mimik und sexuell besetzten Andeutungen sexuell belästigen. Aufgrund dieser sexualisierten und verzerrten Wahrnehmung und Interpretation des Betroffenen kam es im April 2024 zum Abbruch der Psychotherapie und zur Einstellung sämtlicher Lockerungsvorhaben.
Mit den auch vor dem Hintergrund des Sachverständigengutachtens nachvollziehbaren und überzeugenden Einschätzungen der für die Betreuung des Betroffenen Verantwortlichen ist somit davon auszugehen, dass sich sein Zustandsbild bislang keinesfalls ausreichend stabilisiert hat, sondern es im Vergleich zum Vorjahr zu einem kriminalprognostischen Rückschritt gekommen ist (ON 6, S 24), was in absehbarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit neuerliche mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen analog zum Einweisungsdelikt erwarten lässt.
Den Beschwerdeausführungen, die damit argumentieren, dass die bislang zum Zustand und zur Gefährlichkeit des Betroffenen eingeholten Gutachten nicht übereinstimmen würden, ist entgegenzuhalten, dass auch von den psychiatrischen Sachverständigen Dr. D* (2018) und Dr. E* (2021; zu GZ3* des LG Steyr) beim Betroffenen im Wesentlichen übereinstimmende Diagnosen gestellt und die Gefährlichkeit mit Blick auf die Begehung von Delikten analog den Einweisungsdelikten jeweils bejaht wurde. Entgegen den Beschwerdeausführungen begründete der Sachverständige Dr. D* in seinem Ergänzungsgutachten vom 20. Mai 2019 (zu GZ2* des Landesgerichts Linz), welches aufgrund neuerlicher Straffälligkeit des Betroffenen nach (weisungsflankierter) Entlassung aus der Untersuchungshaft eingeholt wurde, ausführlich seine sich im Vergleich zum ersten Gutachten ergebende geänderte Einschätzung mit der – in erneuter Delinquenz entsprechend einschlägigem Handlungsstil zutage getretenen – tiefgehenden sexuellen Zwänglichkeit, die einer seelisch-geistigen Abartigkeit höheren Grades entspräche (Ergänzungs-GA Dris. D* vom 20. Mai 2019, S 4).
Aus dem Umstand, dass ein Sachverständiger aus dem Bereich der forensischen Neuropsychologie im Juni 2021 von einer „eklatanten Fehleinweisung“ sprach und ein hochgradiges Gefährlichkeitspotential im Sinne von „Taten mit schweren Folgen“ (ohne diese ihrer Art nach näher zu konkretisieren) verneinte, ist mit Blick auf das zitierte sehr viel aktuellere Gutachten des Sachverständigen Mag. B* vom 3. November 2023 entgegen den Rechtsmittelausführungen nichts zu gewinnen. Zwischen dem letztgenannten Gutachten und jenem von Dr. F* liegen mehr als zwei Jahre, der relevante Zeitpunkt zur Beurteilung der Gefährlichkeit des Betroffenen (§ 47 Abs 2 StGB) war somit jeweils ein anderer und das im Rechtsmittel geforderte „Obergutachten“ schon aus diesem Grund nicht angezeigt.
Wenn die Beschwerde moniert, das Vollzugsgericht habe sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2022 nicht hinreichend mit den damals eingeholten beiden Sachverständigengutachten auseinandergesetzt, übersieht sie, dass jener – rechtskräftige – Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 8. Februar 2022 zu GZ3* nicht Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens ist.
Die Einschätzung des Rechtsmittelwerbers, er habe sich mit Blick auf die Möglichkeit einer bedingten Entlassung bereits ausreichend weiterentwickelt, deckt sich nicht mit den übrigen Verfahrensergebnissen, insbesondere der Stellungnahme des FTZ C* (ON 6). Insbesondere übersieht der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang, dass nicht etwa eine „Auseinandersetzung mit dem Psychotherapeuten“ die ihm ausgestellte negative Risikoprognose begründete, sondern vielmehr die (nach zwischenzeitlicher Behandlungscompliance) massiven störungsbedingten Rückschritte im letzten Jahr (ON 6, S 24). Laut aktueller Äußerung der BEST (ON 7) ist davon auszugehen, dass der Betroffene aufgrund der Belastung durch das Thematisieren seiner sexuellen Störung mit paranoiden Gedankengängen reagierte und folglich nicht im therapeutischen Setting gehalten werden konnte. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass die (sexuelle) Störung ausreichend adressiert wurde, um von einer bedeutsamen Veränderung der Rückfallgefahr ausgehen zu können. Geplante Vollzugslockerungen können daher aktuell nicht realisiert werden. Dementsprechend konnte auch ein passender sozialer Empfangsraum bislang nicht etabliert werden.
Zusammenfassend zeichnen das Sachverständigengutachten von Mag. B*, die Stellungnahme des FTZ C* und die aktuelle Äußerung der BEST in ihrer Gesamtschau ein in sich schlüssiges und nachvollziehbares Bild von der aktuellen Entwicklung des Gesundheitszustands des Betroffenen und bilden insgesamt eine ausreichende Grundlage für die erstgerichtliche Entscheidung, die auch inhaltlich nicht zu beanstanden ist. Es ergibt sich daraus, dass sich das psychopathologische Zustandsbild des Betroffenen im aktuellen Beobachtungs- und Behandlungszeitraum keinesfalls ausreichend stabil entwickelt hat, um ihm bereits eine Alternative zur Anstaltsunterbringung eröffnen zu können, sodass die Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens zur Zeit nicht angezeigt ist. Der Gefährlichkeit des Betroffenen kann derzeit schon mit Blick auf die notwendige Abstandnahme von (ersten) Lockerungsmaßnahmen nicht mit entsprechenden Auflagen und Weisungen begegnet werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiteres Rechtsmittel nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).