JudikaturOLG Linz

9Bs281/24y – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
22. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Dr. Engljähringer und den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 16. Oktober 2024, GZ*-101, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

In diesem Verfahren wurde A* mit rechtskräftigem Schöffenurteil vom 29. November 2021 (ON 56 und ON 66) je eines Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (3./a./), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (4./a./) und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (1./), jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2./), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idgF und idF BGBl I 2013/116 (3./b./) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (4./b./) sowie jeweils mehrerer Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (5./) und der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall StGB (6./) schuldig erkannt.

Danach hat er in ** und andernorts die am ** geborene B*

1./zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen 20. November 2014 und 20. November 2015 außer den Fällen des § 201 Abs 1 StGB dadurch, dass er, wiewohl sie ihre eigene Hand wegzog, ihre Hand wieder zu seinem Penis zog, sohin mit Gewalt zur Vornahme und Duldung geschlechtlicher Handlungen, nämlich der Duldung des Berührens ihrer Brüste und ihrer Vagina sowie der Vornahme des Berührens seines Penis genötigt;

2./von 20. November 2014 bis zumindest 20. November 2015 durch die unter 1./ beschriebene Tat und danach in zwei bis drei Angriffen pro Woche dadurch, dass er sie an ihren Brüsten und ihrer Vagina berührte, außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen bzw an sich vornehmen lassen;

3./ von 20. November 2015 bis 26. Juni 2021 dadurch, dass er sich entgegen ihren Versuchen, ihn wegzudrücken, unter Anwendung überlegender Körperkraft entgegenstemmte, sohin mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen in Form des Vaginal-, Oral- oder Analverkehrs genötigt,

a./zu einem unbekannten Zeitpunkt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zur Folge hatte,

b./ in einer Vielzahl von weiteren Angriffen zu weiteren unbekannten Zeitpunkten;

4./ von 20. November 2015 bis 20. November 2016 mit einer unmündigen Person den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen,

a./ durch die unter 3./ beschriebenen Handlungen,

b./ darüber hinaus zu weiteren unbekannten Zeitpunkten in mehrfachen Angriffen durch Vollzug des Vaginal-, Oral- oder Analverkehrs;

5./ von 20. November 2016 bis 26. Juni 2021 in einer Vielzahl von Angriffen über die unter Faktum 3./ geschilderten Fälle hinaus dadurch, dass er trotz entgegenstehender Äußerung mit dem Opfer gegen dessen Willen den Vaginal-, Oral- oder Analverkehr vollzog, den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

außerdem hat er

6./ von 2009 bis 2. Juli 2021

a./ pornographische Darstellungen der unmündigen sowie der mündigen minderjährigen B*, nämlich Bilddateien zeigend reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste, der sexuellen Erregung des Betrachters dienende wirklichkeitsnahe Abbildungen ihrer Genitalien und ihrer Schamgegend im Alter unter 14 Jahren sowie Videodateien eines Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten im Alter unter 18 Jahren, hergestellt,

b./ pornographische Darstellungen unmündiger sowie mündiger minderjähriger Personen sich verschafft bzw durch Abspeichern auf Datenträgern besessen, und zwar

1./ die unter 6./a./ angeführten Bild- und Videodateien,

2./ mehrere Bilddateien zeigend reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste, der sexuellen Erregung des Betrachters dienende wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien und der Schamgegend von Mädchen unter 18 Jahren sowie eine wirklichkeitsnahe Abbildung einer geschlechtlichen Handlung eines weiblichen Kindes unter 14 Jahren, welches den Oralverkehr an einem erwachsenen Mann vollzieht.

Mit Eingabe vom 25. September 2024 beantragte A* – der Sache nach – die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zur Wiederaufnahme dieses Verfahrens, ohne hierzu nähere Gründe auszuführen (ON 96), welches Begehren das Erstgericht mit dem nun angefochtenen Beschluss abwies (ON 101).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die Beschwerde des Verurteilten (ON 102), jedoch ohne Erfolg.

Ist der Beschuldigte außerstande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die gesamten Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat das Gericht auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten er nicht oder nur zum Teil (§ 393 Abs 1a StPO) zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist (§ 61 Abs 2 StPO). Jedenfalls erforderlich ist in dem Sinn die Beigebung eines Verteidigers (unter anderem) bei schwieriger Sach- oder Rechtslage (Z 4 leg cit).

Eine solche kann bei (Antragstellung auf) Wiederaufnahme eines Verfahrens zu bejahen sein. Das Gericht hat eine Einzelfallabwägung vorzunehmen (vgl Soyer/Schumann , WK-StPO § 61 Rz 66; Rohregger in Kier/Wess , HB Strafverteidigung 2 Rz 19.44).

Der rechtskräftig Verurteilte kann die Wiederaufnahme des Strafverfahrens selbst nach vollzogener Strafe verlangen, wenn (soweit hier interessierend, § 353 Z 1 oder Z 2 StPO) dargetan ist, dass seine Verurteilung durch Urkundenfälschung oder durch falsche Beweisaussage, Bestechung oder eine sonstige Straftat einer dritten Person veranlasst worden ist oder wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen.

Neue Tatsachen oder neue Beweismittel sind geeignet, wenn durch sie die Möglichkeit besteht, die Tatsachengrundlagen des Ersturteils (im Hinblick auf das Wiederaufnahmeziel des § 353 StPO) zu erschüttern und zu einer anderen Lösung der Beweisfrage zu gelangen. Die Rechtsprechung nimmt die – komplexe – Eignungsprüfung iSd Relevanzprüfung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung (vgl § 281 Abs 1 Z 4 StPO) vor. Einem Wiederaufnahmeantrag ist dann stattzugeben, wenn es sich nicht ausschließen lässt, dass man auf Grundlage der neu beigebrachten Tatsachen oder Beweise (allein oder in der Zusammenschau mit den sonstigen Beweisergebnissen) zu einer anderen Beurteilung der Beweisfrage gelangt (RIS-Justiz RS0099446; Lewisch , WK-StPO § 353 Rz 60 ff mwN).

In der Beschwerde bringt der Verurteilte einerseits vor, er widerrufe sein Geständnis, welches er in seinen Einvernahmen nur auf Druck der Polizei, des Gerichts oder seiner Verteidigerin wahrheitswidrig bzw letztere auch vereinbarungswidrig für ihn abgelegt habe; anderseits wiesen die zeugenschaftlichen Angaben des Tatopfers und die darauf gestützte Beweiswürdigung der erkennenden Richter mehrere, noch aufklärungsbedürftige Ungereimtheiten auf.

Zwar wird allgemein ein Geständniswiderruf nicht apodiktisch als tauglicher Wiederaufnahmegrund auszuschließen sein (vgl Lewisch , WK-StPO § 353 Rz 54). Doch versagt hier das Rechtsmittel schon auf Basis der maßgeblichen Aktenlage: seiner jüngsten Argumentation zuwider hatte sich der Beschwerdeführer nicht nur in den ersten Beschuldigteneinvernahmen vor Polizei (ON 13, 65 ff) und Gericht (ON 14) umfassend und reumütig zu den detaillierten Tatvorwürfen verantwortet, sondern hatte er diese seine Einlassung – nach zwischenzeitigen Adaptierungen in Bezug auf ein bereits über 14-jähriges Alter des Opfers bei Beginn der sexuellen Übergriffe (vgl ON 38; ON 47, 6 f) – in der Hauptverhandlung (ON 55, 3 f) und zuletzt auch in der Berufungsverhandlung (ON 64, 3) ohne jeglichen Hinweis auf äußere Beeinflussungen oder Zwangslagen wiederum uneingeschränkt aufrecht erhalten.

Nicht vom Vorhandensein eines Fernsehers im früheren Haushalt, sondern vom gemeinsamen Schauen der „Simpsons“ hatte das Tatopfer im Zusammenhang mit den ersten geschlechtlichen Nötigungshandlungen des Verurteilten berichtet (ON 2, 15); dass die Zeugin zu jener Zeit über ein iPad zum Video-Schauen verfügt hat, räumt der Beschwerdeführer aber ohnehin selbst ein. Ebenso wenig lassen deren Schilderungen den Schluss zu, sie habe sich gleichsam ständig vor ihm gefürchtet. Weder mit der Behauptung, das Opfer habe sich auch schon vor den hier abgeurteilten Missbrauchshandlungen geritzt, was erstmals in der NMS aufgefallen sei, noch mit Richtigstellungen zur damaligen konkreten Freizeitgestaltung des Mädchens spricht der Rechtsmittelwerber nova producta an, die in der Zusammenschau mit den wesentlichen, früher erhobenen Beweisergebnissen, also den – von den Tatrichtern nachvollziehbar als konstistent und erlebnisfundiert erachteten – Angaben des Opfers, den vorfallsbezogenen Inhalten der vom Verurteilten hergestellten und besessenen Videos, einschlägigen Nacktbildern von der damals noch unmündigen Zeugin sowie den gutachterlichen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen (ON 45) geeignet sein könnten, die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin auch nur ansatzweise zu erschüttern. Dass just jene überführenden (auch nach § 207a Abs 1 Z 1, Abs 3 StGB tatbestandsmäßigen, demnach konfiszierten [ON 56, 3 f] und mittlerweile vernichteten [vgl ON 70 f]) Bild- und Videodateien allesamt von der Kindesmutter und nicht von ihm selbst angefertigt worden sein sollen, änderte mit Blick auf das Wiederaufnahmeziel nichts daran, dass sämtliche elektronischen Devices im Besitz des Verurteilten aufgegriffen wurden, weshalb die Kritik an insoweit bislang fehlender Auswertung von Metadaten zwecks Entlastung des Beschwerdeführers, gemessen an den Kriterien der Eignungsprüfung nach § 353 StPO, keine erhebliche Tatsache adressiert.

Die angestrebte Wiederaufnahme erweist sich damit als aussichtslos, weshalb auch die Beigebung eines Verfahrenshelfers nicht im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist.

RECHTSMITTELBELEHRUNG:

Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.