6Bs205/25k – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Friedrich als Vorsitzenden und den Richter Mag. Melichar sowie die Richterin Mag. Obwieser als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB über den Einspruch des Angeklagten gegen das Abwesenheitsurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 17.06.2025, GZ **-24, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
1. Dem Einspruch wird stattgegeben , das angefochtene Abwesenheitsurteil aufgehoben und dem Landesgericht Innsbruck die Anordnung der neuen Hauptverhandlung aufgetragen.
2. Die vom Verfahrenshelfer am 01.08.2025 eingebrachte Berufung und Beschwerde (ON 30.2.) wird als unzulässig zurückgewiesen .
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Text
Begründung:
Mit Abwesenheitsurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 17.06.2025 (ON 24) wurde A* der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 107 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten und zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Die Privatbeteiligten wurden gemäß § 366 Abs 2 zweiter Satz StPO mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Unter einem wurde die dem Angeklagten mit Urteil des Bezirksgerichtes Telfs vom 17.10.2024 zu ** gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.
Die Hauptverhandlung war für 17.06.2025, 13.30 bis 14.30 anberaumt und fand am 17.06.2025 von 13.50 bis 14.16 Uhr statt.
Das Abwesenheitsurteil wurde dem Verfahrenshilfeverteidiger am 07.07.2025, dem Angeklagten durch Hinterlegung zur Abholung ab 10.07.2025 zugestellt.
Gegen dieses Abwesenheitsurteil erhob der Angeklagte durch den Verfahrenshilfeverteidiger am 18.07.2025 Einspruch mit dem Antrag, das Abwesenheitsurteil aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Verhandlung aufzutragen, und meldete gleichzeitig Berufung wegen Nichtigkeit und der Aussprüche über die Schuld und die Strafe an (ON 26.1). Als Einspruchsgrund machte der Angeklagte geltend, er sei am Tag der Hauptverhandlung vom 17.06.2025 derart erkrankt, dass er sich zur weiteren Behandlung in das B* C* begeben habe müssen. Dieser Umstand habe es dem Angeklagten unmöglich gemacht, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Der Angeklagte legte eine Bestätigung des D* C* vor, wonach er am 17.06.2025 von 10:55 bis 15:00 Uhr ärztliche Hilfe in der dortigen Ambulanz in Anspruch genommen habe (ON 26.2). Am 18.07.2025 legte der nunmehrige Verteidiger Vollmacht (ON 25.2) und führte mit Schriftsatz vom 23.07.2025 Einspruch und Berufung gegen das Abwesenheitsurteil aus (ON 28.2). Am 01.08.2025 langte die Berufungs- und Beschwerdeausführung durch den vormaligen Verfahrenshilfeverteidiger bei Gericht ein (ON 30.2).
Die Oberstaatsanwaltschaft nahm von einer Stellungnahme zum Einspruch des Angeklagten Abstand.
Rechtliche Beurteilung
Mit Äußerung vom 20.08.2025 legte der Einspruchswerber durch seinen Verteidiger den Notaufnahme-Bericht vom 17.06.2025 vor und brachte zusammengefasst vor, er leide seit 2013 an einer chronischen Dickdarmentzündung (Morbus Crohn), welche in Schüben auftrete. Bezeichnend bei derartigen Schüben seien Bauchschmerzen und Krämpfe sowie Durchfall mit Blut im Stuhl, allgemeines Krankheitsgefühl und unter Umständen Fieber. Ein derartiger Schub sei am Tag der Hauptverhandlung, am 17.06.2025, aufgetreten, weshalb er sich schnellstmöglich in ärztliche Behandlung begeben habe und nicht im Stande gewesen sei, das Gericht von seiner Verhinderung zu informieren.
Gemäß § 427 Abs 3 dritter Satz StPO ist dem Einspruch stattzugeben, wenn nachgewiesen wird, dass der Angeklagte durch ein unabweisbares Hindernis abgehalten wurde, in der Hauptverhandlung zu erscheinen. Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung eines unabweisbaren Hindernisses ist, dass der Angeklagte die Hauptverhandlung wegen eines Umstandes versäumt hat, der auch gewissenhafte Menschen in seiner Lage vom Erscheinen abgehalten hätte. Als unabweisbares Hindernis kommen beispielsweise ein Naturereignis, ein Unfall oder eine Erkrankung des Angeklagten selbst in Betracht (RIS-Justiz RS0101605). Zudem ist das Vorliegen des Hindernisses an sich maßgeblich, nicht aber, ob es dem Angeklagten angesichts der ihm schon vorher bekannten Hinderung möglich gewesen wäre, rechtzeitig die Vertagung der Hauptverhandlung zu erwirken ( Bauer, WK-StPO § 427 Rz 21; RIS-Justiz RS0101584). Das Vorliegen eines unabweisbaren Hindernisses muss vom Einspruchswerber nachgewiesen werden (RIS-Justiz RS0101596; Bauer aaO).
Aus dem vom Einspruchswerber am 20.08.2025 vorgelegten Notaufnahmebericht ergibt sich, dass er tatsächlich am 17.06.2025 in der Notaufnahme des D* C* E* F* untersucht wurde und aufgrund eines neuerlichen Schubes der chronischen Dickdarmentzündung/störung (Morbus Crohn) ambulante Behandlung in Anspruch nahm. Aus den erhobenen Laborwerten ergaben sich zudem in zahlreichen Parametern teils deutliche Abweichungen von den Normwerten. Zudem ergibt sich aus den ärztlichen Unterlagen, dass die Behandlung des Einspruchswerbers mehrere Stunden (von 10:55 bis 15:00 Uhr) andauerte, weshalb ihm eine rechtzeitige Anreise zur Hauptverhandlung – vor allem unter Berücksichtigung der Anreise von F* nach ** – nicht möglich war. Ausgehend davon ist ihm der Nachweis gelungen, dass er durch ein unabweisbares Hindernis im Sinne des § 427 Abs 3 dritter Satz StPO am Erscheinen in der Hauptverhandlung gehindert war.
Seinem Einspruch war somit stattzugeben, das Abwesenheitsurteil aufzuheben und dem Erstgericht die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung aufzutragen.
Wegen des erfolgreichen Einspruches ist die vom Verteidiger eingebrachte Berufung des Angeklagten gegenstandslos ( Bauer aaO Rz 22).
Hingegen war die vom Verfahrenshelfer eingebrachte Berufung unabhängig von der Einspruchsentscheidung unzulässig, weil die Verfahrenshilfe aufgrund des Einschreitens eines gewählten Verteidigers zwischenzeitlich erloschen ist.