JudikaturOLG Innsbruck

7Bs104/25i – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
14. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Knapp, LL.M., als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Offer und Mag. Preßlaber als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen 1. A* B* , 2. C* B* , 3. D* und 4. E*wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt Innsbruck nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 8.4.2025, GZ ** 26, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Beschwerde wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluss a u f g e h o b e n und dem Erstgericht die Fortsetzung des Strafverfahrens aufgetragen.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug n i c h tzu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

Begründung:

Mit Strafantrag vom 16.1.2025, **, legt die Staatsanwaltschaft Innsbruck dem ** geborenen Erstangeklagten A* B*, den ** geborenen Zweit- und Drittangeklagten C* B* und D* sowie dem ** geborenen Viertangeklagten E* ein jeweils als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB subsumiertes Verhalten zur Last. Demnach haben sie am 4.12.2024 in ** die Polizeibeamten RI F* und Insp G* mit Gewalt, indem A* B*, C* B* und E* an den Uniformen sowie den Armen der genannten Polizeibeamten zogen und rissen sowie die genannten Beamten rempelten und schubsten, wodurch es D* gelang, sich aus der polizeilichen Anhaltung loszureißen und zu fliehen, an einer Amtshandlung, nämlich der Identitätsfeststellung des D* gehindert (ON 2.7 bzw ON 7).

In der Hauptverhandlung vom 13.3.2025 bekannten sich die Angeklagten – in Abkehr ihrer polizeilichen Angaben (vgl ON 2.2.10 bis ON 2.2.13) - schuldig, bedauerten ihr Verhalten und entschuldigten sich nach den Einvernahmen der beiden Beamten bei diesen. Mit Blick auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens, die übernommene Verantwortung, das Fehlen spezialpräventiver Hinderungsgründe und das Vorliegen „gerade noch auch der übrigen Voraussetzungen“ erörterte die Erstrichterin sodann ein diversionelles Vorgehen nach §§ 199, 200 StPO gegen das sich der öffentliche Ankläger ausdrücklich aussprach (ON 20, 21). Die Angeklagten wurden nach § 207 StPO belehrt und stimmten dem angebotenen diversionellen Vorgehen (Entrichtung von Geldbeträgen und zwar beim Erstangeklagten in Höhe von EUR 1.400,--, beim Zweitangeklagten in Höhe von EUR 1.400,--, beim Drittangeklagten in Höhe von EUR 900,-- und beim Viertangeklagten in Höhe von EUR 700,-- zuzüglich eines Kostenbeitrags von je EUR 100,-- bei allen Angeklagten) zu, worauf die Hauptverhandlung vertagt wurde (ON 20, 22).

Nach Entrichtung der Geldbeträge (ON 21 - 25) stellte das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss das Verfahren gegen die vier Angeklagten nach §§ 199, 200 Abs 5 StPO ein (ON 26).

Dazu führte es aus wie folgt:

Die aktuelle Strafregisterauskunft des Erstangeklagten A* B* weist keine Eintragungen auf (ON 13), wobei im Juni 2021 ein Strafverfahren gegen den Erstangeklagten wegen § 146 StGB mit einer Probezeit in der Dauer von einem Jahr diversionell erledigt wurde.

Die aktuelle Strafregisterauskunft des im Jahr ** geborenen Zweitangeklagten C* B* weist ebenso keine Eintragungen auf (ON 14); C* B* erhielt im Jahr 2019 eine Diversion in Form einer Probezeit (2 Jahre) für das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB, begangen im Dezember 2018, wobei die endgültige Einstellung des Verfahrens im Jänner 2021 erfolgte. Wäre der Zweitangeklagte für diese Körperverletzung als Junger Erwachsener verurteilt worden, so wäre – bei anzunehmender, tat- und schuldangemessener teilbedingter Geldstrafe und Begleichung derselben zumindest zeitnah – während des Jahres 2024 die Tilgung eingetreten (§ 3 Abs 1 Z 2 TilgG).

D* und E* führten bislang einen ordentlichen Lebenswandel (ON 15 und ON 16).

Die Angeklagten übernahmen in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Innsbruck die Verantwortung für ihr Verhalten; alle vier hörten den einvernommenen Polizeibeamten Insp G* und RI F* zu, als diese die Ereignisse aus ihrer Sicht schilderten, und alle vier entschuldigten sich bei beiden Polizeibeamten für ihr Verhalten in der Nacht des 4. Dezember 2024.

Die Hauptverhandlung fand im Schwurgerichtssaal des Landesgerichtes Innsbruck statt; dem persönlichen Eindruck des Gerichts zufolge haben alle vier Angeklagten (auch) durch die Hauptverhandlung am Landesgericht Innsbruck an Einsicht gewonnen.

Der Vorwurf selbst relativierte sich durch die Aussagen der beiden betreffenden Polizeibeamten, da hervorkam, dass nicht durchgehend über den Zeitraum von 20 bis 30 Minuten die Beamten eingekesselt und Gewalt ausgesetzt waren (ON 20 S 15 ff). Zur Gewalt ist darüber hinaus bereits auf den Strafantrag zu verweisen – aktive Schläge oder Tritte gegen die Beamten gab es nicht.

Da das Gericht die Voraussetzungen für eine diversionelle Erledigung bei allen vier Angeklagten als gegeben erachtete wurde – bei ablehnender Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Innsbruck – allen vier Angeklagten ein Diversionsanbot erstattet, dies in Form einer Geldbuße, um den generalpräventiven Hinderungsgründen Rechnung zu tragen.

Zwischenzeitlich haben alle vier Angeklagten die ihnen auferlegten Geldbußen und (symbolischen) Kostenbeiträge beglichen (ON 21 bis 25).

…..

Im vorliegenden Fall ist mit Blick auf die Umstände dieses Falls und den persönlichen Eindruck, den sich das Gericht von den Angeklagten verschaffen konnte davon auszugehen, dass es eines kondemnierenden Erkenntnisses nicht bedarf, um die Angeklagten von der Begehung strafbarer Handlungen in Zukunft abzuhalten, spezialpräventive Hindernisse liegen nicht vor, auch nicht beim Zweitangeklagten C* B*: Dass eine Diversion im Register (Verfahrensautomation Justiz) für 10 Jahre gespeichert ist, darf Angeklagte nicht schlechter stellen als bei Verurteilung und Beginn der Tilgungsfrist derselben Tat realistischer Weise erwartbar. Auch die übrigen Voraussetzungen liegen vor, und wird den – bei Delikten wie den hier gegenständlichen verstärkt zu beachtenden – generalpräventiven Erwägungen durch die intervenierende Form der Diversion, nämlich der zu begleichenden Geldbuße Genüge getan, zumal das den Angeklagten zur Last gelegte Verhalten den typischer Weise verwirklichten Unrechts- und Schuldgehalt (bezogen auf den Tatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt) doch unterschreitet.

Im konkreten Einzelfall ist daher die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens eine adäquate staatliche Reaktion auf das Verhalten der Angeklagten und befriedigt auch generalpräventive Bedürfnisse.

Gegen diesen Beschuss richtet sich eine rechtzeitige, schriftlich ausgeführte Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen. Argumentativ bringt die Beschwerde vor, dass der Erst- und der Zweitangeklagte bereits in den Genuss diversioneller Erledigungen gekommen seien, sodass bei diesen Angeklagten schon spezialpräventive Hindernisse einem erneuten Vorgehen nach dem 11. Hauptstück entgegenstünden. Bei allen Angeklagten liege zudem schweres Verschulden vor, da diese in alkoholisiertem Zustand über einen relativ langen Zeitraum und unter dem Schutz der Anonymität (in Form von Krampusmasken) zusammengewirkt hätten und - nach den Angaben der Zeugen - die Beamten wiederholt und mit entsprechender Intensität weggeschubst und weggerempelt hätten, schließlich der Angeklagte D* mehrfach versucht habe, sich von der Zeugin G* wegzureißen, die dadurch auch einmal fast zu Sturz gekommen sei. Schließlich sprächen auch generalpräventive Gründe gegen ein diversionelles Vorgehen, da es in besagter Nacht zu mehrfachen Sachbeschädigungen gekommen sei und durch das unangemeldete Krampustreffen chaotische Zustände in ** verursacht worden seien. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass es in der Gemeinde ** in den letzten Jahren zu auffallend vielen Vergehen und Widerständen gekommen sei, Beamte der PI ** fast jedes Jahr mit Anflegelungen, Beschimpfungen, Sachbeschädigungen etc konfrontiert seien und präventive Gespräche bisher keine Besserung gebracht hätten. Gerade im zeitlichen Nahbereich zu Krampusläufen sei es in den letzten Jahren vermehrt zu Sachbeschädigungen, Körperverletzungen und Beleidigungen gekommen, weshalb es generalpräventiv angezeigt sei, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass „Brauchtum“ in Verbindung mit gruppendynamischen Prozessen unter Alkoholeinfluss keine Straftaten gegenüber Organen der Polizei rechtfertige (ON 28).

Eine Gegenäußerung der Angeklagten wurde mit Blick auf die Einseitigkeit der Beschwerde nach § 209 Abs 2 StPO nicht eingeholt ( Schroll/Kert in Fuchs/Ratz, WK StPO § 209 Rz 12 mwN).

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthalten hat, kommt Berechtigung zu.

Ein diversionelles Vorgehen nach dem hier allein in Betracht kommenden 11. Hauptstück der StPO nach § 198 Abs 1 StPO ist nur dann möglich, wenn eine Bestrafung – im Sinn einer gerichtlichen Verurteilung – im Hinblick auf die zu ergreifenden diversionellen Maßnahmen nicht notwendig ist, um den Angeklagten von strafbaren Handlungen abzuhalten (spezialpräventive Hindernisse) oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (generalpräventive Hindernisse). Derartige allfällige Diversionshindernisse sind anhand einer umfassenden Fallbewertung unter Einbeziehung der Wirkung einer vom Angeklagten erst zu erfüllenden Verpflichtung zu prüfen ( Schroll/Kert aaO § 198 Rz 33 mwN). Unter dem Aspekt der Generalprävention schließt die genannte Bestimmung eine Diversion nur aus, wenn den generalpräventiven Bedürfnissen auch unter Berücksichtigung der Diversionsmaßnahme nicht ausreichend Rechnung getragen wird (RISJustiz RS0123346).

Zutreffend zeigt die Staatsanwaltschaft dazu im Anlassfall auf, dass die gegen zwei Beamte von den gemeinschaftlich handelnden Angeklagten gesetzten Widerstandshandlungen in einer augenscheinlich durch übermäßigen Alkoholkonsum enthemmten Ansammlung mehrerer Krampusgruppen - sohin im Rahmen erhöhter Publizitätswirkung - gesetzt wurden, wobei gerade die Gruppe der Angeklagten (sog „I*“) im Schutz der durch das Tragen von Masken bedingten Anonymität aufgebracht und zunehmend aggressiv agierte (vgl Abschlussbericht ON 2.3.2, 5 und 9). In Zusammenschau der Angaben des Zeugen F*, wonach es bereits im Verlauf der letzten Jahre im Zuge des Krampuslaufens in ** vermehrt zu Sachbeschädigungen und Körperverletzung gekommen ist (ON 20, 20), der anlassbezogenen Widerstandshandlungen der Angeklagten gegenüber zwei, mit der Aufklärung von Sachbeschädigungen beauftragten Beamten sowie dem schließlich erforderlichen Einschreiten weiterer Polizeistreifen (der PI **, **, **, **, **, **) zur Deeskalierung der Situation, vermittelt aber nach Ansicht dieses Beschwerdegerichts selbst die Durchführung der gegenständlichen Hauptverhandlung samt einer intervenierenden Diversion in der Öffentlichkeit kein ausreichendes Signal der Rechtsbewährung. Mit der Entrichtung eines Geldbetrags wird in casu Aspekten der positiven wie auch negativen Generalprävention nicht hinreichend Rechnung getragen.

Da die Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen kumulativ vorliegen müssen, erübrigt sich ein Eingehen auf die von der Staatsanwaltschaft zudem ins Treffen geführten Erwägungen zum Vorliegen einer schweren Schuld und allfälligen spezialpräventiven Hindernissen.

Damit war in Stattgebung der Beschwerde der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Strafverfahrens gegen die Angeklagten aufzutragen.