JudikaturOLG Innsbruck

6Bs63/25b – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
10. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Friedrich als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Klammer und den Richter Mag. Melichar als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 27.02.2025, ** (GZ B* 23 der Staatsanwaltschaft Feldkirch), in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Beschwerde wird n i c h t Folge gegeben.

Die über A* verhängte Untersuchungshaft hat aus dem Haftgrund der Tatbegehungs- undausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und d StPO fortzudauern.

Dieser Beschluss ist bis längstens 12.5.2025 wirksam.

Vor einer allfälligen Fortsetzung der Untersuchungshaft wird eine weitere Haftverhandlung stattfinden, soweit nicht einer der in § 175 Abs 3, 4 oder 5 StPO genannten Fälle eintritt.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nichtzu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

Begründung:

Gegen den am ** geborenen A* führt die Staatsanwaltschaft Feldkirch zu B* ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB, des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB, des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (ON 1.1).

Der Beschuldigte wurde am 13.01.2025 von Beamten der Polizeiinspektion C* aus eigenem festgenommen und noch am selben Tag in die Justizanstalt Feldkirch eingeliefert (Anhalteprotokoll ON 3.2). Aufgrund des Antrages der Staatsanwaltschaft Feldkirch (ON 1.1) und nach Vernehmung des Beschuldigten gemäß § 173 Abs 1 StPO (ON 8) verhängte der Haft- und Rechtsschutzrichter des Landesgerichtes Feldkirch über A* die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungs- undausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und d StPO (ON 5). Dieser Beschluss erwuchs ebenso unbekämpft in Rechtskraft wie der auf Fortdauer der Untersuchungshaft aus den bisherigen Haftgründen vom 28.01.2025 (ON 15).

Nach Durchführung einer Haftverhandlung am 27.02.2025 (ON 22) verkündete der Haft- und Rechtsschutzrichter den nunmehr angefochtenen Beschluss auf Fortdauer der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungs- undausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und d StPO mit einer Wirksamkeit bis 28.04.2025. Dabei ging er (ersichtlich) von einem dringenden Tatverdacht im Hinblick auf das Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (§§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1; 84 Abs 4; 125, 126 Abs 1 Z 5 und 107 Abs 1 und 2 StGB) aus und sah den Haftgrund der Tatbegehungs- und ausführungsgefahr für gegeben, weil eine vorliegend notwendige, suchtspezifische Therapie für die langjährige, behandlungsbedürftige Abhängigkeitserkrankung des Beschuldigten aktuell nicht organisiert sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die durch den Verteidiger rechtzeitig eingebrachte Beschwerde des Beschuldigten mit dem Antrag auf Aufhebung der Untersuchungshaft allenfalls unter einer entsprechenden Weisung. Vorgebracht wird im Wesentlichen zusammengefasst, die Fortdauer der Untersuchungshaft sei im Vergleich zu dem zu erwartenden Strafübel unverhältnismäßig, weil eine allenfalls mögliche Sanktion durch den Strafrahmen des § 287 Abs 1 StGB begrenzt sei und der Beschuldigte keine relevanten Vorstrafen aufweise. Der Haftgrund könne im Übrigen durch gelindere Mittel ausgeschlossen werden, wobei gegenständlich die Weisung, sich des Konsums von Alkohol und Drogen zu enthalten, dies allenfalls in Verbindung mit regelmäßigen medizinischen Untersuchungen oder die Weisung zu einer ambulanten oder stationären Entwöhnungsbehandlung in Frage kämen. Dem stimme der Beschuldigte zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthielt, dringt nicht durch.

Das Oberlandesgericht erachtet den hafttragenden Verdacht für dringend, A* habe sich am 13.01.2025 und allenfalls auch schon am Tag davor in C*, wenn auch nur fahrlässig, durch den Gebrauch eines berauschenden Mittels, nämlich von Kokain, in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch gegen 04:45 Uhr seinen Mitbewohner D*

somit Handlungen begangen, die ihm außer diesem Zustand als das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (zu Pkt 1.) und das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (zu Pkt 2.) zugerechnet würden.

Der Beschuldigte wurde erstmals noch am Morgen des 13.1.2025 in der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses E* von einem Beamten des Landeskriminalamtes befragt und gab dabei an, seit November 2024 in der Wohnung seines Arbeitskollegen D* zu wohnen. Er konsumiere täglich zwei bis drei Gramm Kokain. In der Nacht zum 13.1.2025 habe er zuletzt gegen 02.00 Uhr Kokain genommen. Er habe auf seinem Mobiltelefon festgestellt, dass seine Daten gehackt worden seien und ihm nachspioniert werde. Auch hätte sich herausgestellt, dass er von sechs bis sieben Personen verfolgt worden sei. Dadurch habe er sich bedroht gefühlt und ein Küchenmesser an sich genommen, um sich bei Bedarf wehren zu können. Sein Arbeitgeber sei auch ein Spion und würde mit den anderen unter einer Decke stecken. Auch D* sei einer von ihnen. Er habe beim Innenministerium angerufen und um Hilfe gebeten. Zu seinem eigenen Schutz habe er auch Stühle und andere Gegenstände aus der Wohnung ins Freie geworfen (ON 2.9).

Auch anlässlich seiner gerichtlichen Einvernahme gemäß § 173 Abs 1 StPO am 14.1.2025 im Landeskrankenhaus E* in einem laut Auskunft des Stationsarztes noch psychotischen und paranoiden Zustand räumte er ein, Kokain konsumiert zu haben, jedoch nicht am betreffenden Abend. Wegen des Kokainkonsums sei er schon einmal für vier Monate in einer stationären Einrichtung in ** gewesen. „Der andere“ (D*) sei gesprungen, als jemand aus einem anderen Stockwerk mit einer Waffe samt Schalldämpfer gekommen sei. Er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun und nichts Schlechtes getan (ON 8).

Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den polizeilichen Erhebungsergebnissen samt mehreren Aufzeichnungen von Videos und Notrufen (ON 2, 6, 12, 13 und 16), der Krankengeschichte des Landeskrankenhauses E* betreffend den Beschuldigten (ON 11), den Behandlungsunterlagen betreffend D* (ON 12.5 und 12.6) und dem Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. F* vom 25.02.2025 (ON 20).

Der Zeuge D* wurde am 16.01.2025 von den erhebenden Polizeibeamten im Landeskrankenhaus G* zum verfahrensgegenständlichen Vorfall befragt (Amtsvermerk in ON 12.22). Dabei schilderte er im Wesentlichen zusammengefasst, der Beschuldigte habe ihm zunächst auf dem Balkon mit einem Stuhl auf den Kopf geschlagen. Danach sei er mit einem Messer in der Hand auf ihn zugegangen, habe ihm mit dem Umbringen gedroht und ihn wiederholt zum Springen aufgefordert. Er sei dann gesprungen, weil er sich gedacht habe, er würde es sonst nicht überleben.

Die Zeugin H* konnte einen lauten Streit auf dem Balkon wahrnehmen. Es habe sich für sie so angehört, als ob eine männliche Person auf eine andere männliche Person sowie auf Gegenstände einschlagen würde. Einer der Männer habe die ganze Zeit „ich stich dich ab“, „ich bring dich um“, „spring runter“ und Ähnliches gerufen (ON 2.4). Deren Lebensgefährte I* bestätigte als Zeuge vernommen, der Täter habe das Opfer angeschrien, dass er ihn umbringe und absteche und dass er springen solle. Der Täter habe die andere Person auch massiv körperlich misshandelt. Er habe mit Gegenständen auf ihn eingeschlagen. Das Opfer sei in die Ecke gedrängt und immer wieder mit den Gegenständen geschlagen worden. Das Opfer sei dann mit einem Bein über das Geländer gestiegen, habe sich zuerst noch festgehalten und sei anschließend zu Boden gestürzt. Dazu habe ihn definitiv der Täter genötigt, dies mit den Aussagen, dass er ihn umbringe/absteche und dass er springen solle (ON 2.5). Die Zeugin J* nahm in der Nacht einen Streit wahr und konnte ihre Nachbarn (A* und D*) auf deren Balkon wahrnehmen. Der Beschuldigte habe das Opfer angeschrien, dies mit den Worten „Ich bring dich um, ich mach die platt! Ich schmeiß dich vom Balkon! Renn, du kommst eh nicht an mir vorbei! Spring!“, und habe dies immer und immer wieder wiederholt. Als wieder etwas nach unten geflogen sei und sie das Opfer nicht mehr am Balkon stehen gesehen habe, sei sie sich sicher gewesen, dass dieser nun am Boden liege, von wo sie ein Winseln gehört habe (ON 12.4).

Die von den Zeugen geschilderten Drohungen sowie die wiederholte Aufforderung zum Springen sind auch auf einer der Videoaufzeichnungen zu hören (ON 12.24 und ON 6). Das Messer in der Hand des Beschuldigten wurde vom Zeugen K* beschrieben (ON 2.6) und ist auch auf dem Ausschnitt der Videoaufzeichnung des Objekts ** deutlich zu sehen (ON 2.7). Es konnte später in der Nähe jenes Ortes sichergestellt werden, an dem der Beschuldigte festgenommen wurde (ON 13.2 und Lichtbilder 2 4 in ON 12.13).

Die von D* bei seinem Sturz vom Balkon des zweiten Stockes erlittenen schweren Verletzungen sind dem Arztbrief des Landeskrankenhauses G* (ON 12.6) zu entnehmen. Diese erforderten einen operativen Eingriff noch am 13.01.2025.

Auf diesen Ermittlungsergebnissen beruht der dringende Verdacht in Bezug auf die objektive Tatseite der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB. Der dringende Verdacht in Bezug auf das Vorliegen auch der subjektiven Tatseite ergibt sich jeweils schon aus einer lebensnahen Betrachtung des objektiven Tatgeschehens. Allerdings ist aufgrund der den Beschuldigten betreffenden Krankengeschichte des Landeskrankenhauses E* (ON 11) und des Gutachtens des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. F* vom 25.02.2025 (ON 20) im Sinne eines dringenden Verdachts auch davon auszugehen, dass der Beschuldigte diese Taten unter dem Einfluss einer damals vorliegenden, durch Kokain-Übergenuss induzierten drogenpsychotischen Störung verübt hat, welcher einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch im Sinne des § 287 Abs 1 StGB entspricht, er jedoch aufgrund früherer Erfahrungen, insbesondere wiederholten drogenpsychotischen Störungen in der Vergangenheit bei Aufwendung der ihm wie jedermann gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, dass der Konsum von Kokain einen solchen Rauschzustand herbeizuführen geeignet ist.

Auch der Haftgrund der Tatbegehungs- undausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und d StPO liegt vor. Dieser Haftgrund ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ungeachtet des wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete Straftat mit schweren Folgen (lit a) und die ihm angelastete versuchte oder angedrohte Tat ausführen (lit d). Die vom Beschuldigten nach der dringenden Verdachtslage im Rausch begangenen Verbrechen sind schon nach ihrer Definition Taten mit schweren Folgen ( Nimmervoll Haftrecht³ Z 657).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen weist der Beschuldigte sehr wohl eine zählbare relevante Vorstrafen auf. Der aus der Bundesrepublik Deutschland eingeholten ECRIS-Auskunft (ON 10.2) sind mehrere Verurteilungen durch das Amtsgericht Köln zu entnehmen, und zwar am 15.02.2022 wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung und versuchter Körperverletzung, am 11.07.2022 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung und am 16.01.2023 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung, vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung sowie schwerer Brandstiftung, wobei diese Verurteilungen im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB zueinander stehen. Zuletzt wurde eine durch Beschluss nachträglich gebildete Gesamtstrafe in der Dauer von zwei Jahren über den Beschuldigten verhängt, welche bis 23.01.2026 zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dieses einschlägig (RIS-Justiz RS0091423) getrübte Vorleben im Zusammenhalt mit der beim Beschuldigten vorliegenden Abhängigkeitserkrankung einschließlich in der Vergangenheit bereits mehrfach aufgetretener drogenpsychotischer Störungen sowie der beim gegenständlichen Vorfall mutmaßlich an den Tag gelegten Gewalt begründet die Gefahr, er werde auf freiem Fuß wiederum strafbare Handlungen mit schweren Folgen gegen die Freiheit und körperliche Unversehrtheit anderer begehen und die D* durch die wiederholte Äußerung, er werde ihn umbringen, angedrohte Tat tatsächlich ausführen.

Der Sachverständige bejaht in seinem Gutachten das Vorliegen der Voraussetzungen zur Unterbringung des Beschuldigten in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher nach § 22 Abs 1 StGB. Nach seiner von der Sucht geprägten Person, seinem Zustand und nach der Art der nach der dringenden Verdachtslage begangenen Taten sei davon auszugehen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Hinkunft bzw. in absehbarer Zeit Taten mit nicht nur leichten Folgen begehen werde (ON 20). Angesichts der hier in Rede stehenden Grunddelikte umfasst diese Prognose nach der Überzeugung des Beschwerdegerichts und den weiteren Ausführungen des Sachverständigen (Seiten 22 und 23 des Gutachtens in ON 20) auch Taten mit schweren Folgen, beispielsweise schwere Körperverletzungen (wie sie D* erlitten hat), die auch letalen Ausgang nehmen könnten.

Der angezogene Haftgrund liegt in einer Intensität vor, der mit gelinderen Mitteln, und zwar auch den in der Beschwerde angesprochenen, nicht beruhigend entgegengewirkt werden kann. Anhaltspunkte für eine Änderung der Verhältnisse, unter denen der Beschuldigte die ihm nach der dringenden Verdachtslage zur Last gelegte Tat begangen hat, sind nicht ersichtlich.

Im Falle seiner verdachtskonformen Verurteilung wird die über den Beschuldigten zu verhängende Strafe innerhalb des bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmens des § 287 Abs 1 StGB auszumessen sein. Die Fortdauer der Untersuchungshaft steht damit weder zur Bedeutung der Sache noch zu der ihn – auch unter Berücksichtigung seiner einschlägigen Vorstrafe – zu erwartenden Strafe außer Verhältnis.

Der Beschwerde war daher nicht Folge zu geben.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts löst eine neue Haftfrist von zwei Monaten aus (§ 176 Abs 5 zweiter Satzteil iVm § 174 Abs 4 zweiter Satz StPO).