JudikaturOLG Graz

10Bs48/25x – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
06. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag a . Tröster und Mag a . Haas in der Maßnahmenvollzugssache des A*wegen bedingter Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach § 47 StGB über die Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 4. Februar 2025, GZ **-9, in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

BEGRÜNDUNG:

Der am ** geborene A* wurde im Verfahren AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Graz – so weit hier von Bedeutung – wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB zur Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Weiters wurde gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat A*, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluss einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, einer pädophilen Triebstörung sowie einer leicht- bis mittelgradigen Intelligenzminderung, jeweils in ** außer dem Fall des § 206 StGB nachstehende geschlechtliche Handlungen an nachangeführten, zum Tatzeitpunkt jeweils unmündigen Personen vorgenommen, und zwar:

1. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach dem 1. November 2013 an B*, geboren am **, indem er ihm von vorne zwischen die Beine auf den bekleideten Genitalbereich griff,

2. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach dem Sommer 2014 an C*, geboren am **, in zumindest zwei Angriffen, indem er ihm von vorne zwischen die Beine auf den bekleideten Genitalbereich griff und in dessen Penis zwickte,

3. am 27. August 2016 an dem am ** geborenen, sohin zum Tatzeitpunkt sechsjährigen D*, indem er

a) ihm einmal in die Hose auf den sohin durch keine Kleidung mehr geschützten Genitalbereich griff und kurze Zeit danach

b) D* aufforderte, seinen entblößten erigierten Penis anzugreifen, was dieser auch tat, ihm anschließend die Hose und Unterhose bis zu den Knien hinunterzog und sich, nachdem D* sich über dessen Aufforderung bäuchlings auf das Bett lag, auf ihn legte und seinen entblößten nach wie vor erigierten Penis zwischen dessen Gesäßbacken steckte und sich hin und her bewegte.

Der Einweisungsanordnung nach § 21 Abs 2 StGB (aF) lagen die auf dem (in der Hauptverhandlung aktualisierten) Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. E* basierenden Feststellungen zu Grunde, dass bei A* eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, eine leicht- bis mittelgradige Intelligenzminderung, eine pathologische Neigung zur Brandstiftung sowie eine pädophile Triebstörung vorliegt, wobei es sich um eine seelische und geistige Abartigkeit höheren Grades handelt. Der Genannte beging die oben angeführten Tathandlungen, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluss dieser geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades. Weiters war konkret zu befürchten, dass er ohne Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades weitere mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen wie die dem Urteil zu Grunde liegenden, insbesondere sexuelle Übergriffe gegen minderjährige Kinder, begehen wird (US 5).

Die Strafzeit ist am 28. Februar 2019 abgelaufen (ON 2.3, 2). Seitdem stellt die Maßnahme, die seit 13. Februar 2018 in der Justizanstalt Graz-Karlau vollzogen wird, den alleinigen Grund der Freiheitsentziehung dar.

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 9) sprach das Vollzugsgericht als Senat von drei Richtern aus Anlass der alljährlichen amtswegigen Prüfung (§ 25 Abs 3 StGB) aus, dass die Unterbringung des Betroffenen in einem (nunmehr) forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB weiterhin notwendig ist.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Untergebrachten (ON 11), die im Wesentlichen die mangelnde Einholung eines (gemeint: psychiatrischen) Sachverständigengutachtens kritisiert und die Aufhebung des Beschlusses und die Verweisung an das Erstgericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung anstrebt.

Die Oberstaatsanwaltschaft Graz äußerte sich dazu inhaltlich nicht.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Zum bisherigen Verfahrensgang, zu den Stellungnahmen des Leiters der Justizanstalt Graz-Karlau (ON 2. 2, 2 f samt forensischer Stellungnahme des Departments Maßnahmenvollzug [ON 2.5]), der Staatsanwaltschaft Graz (ON 1.2), des Betroffenen (ON 2.6) und seines Erwachsenenvertreters (ON 5), zur Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) vom 2. Jänner 2025 (ON 6.1), zu dem (im Vor-Verfahren AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Graz erstatteten) psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. F* vom 22. März 2024 und zum Inhalt der Strafregisterauskunft (ON 4) sowie zur maßgeblichen Bestimmung des § 47 Abs 2 StGB wird auf deren jeweils zutreffende Darstellung im angefochtenen Beschluss (BS 2 ff) verwiesen.

Die freiheitsentziehende Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB (idgF) darf nur aufrecht erhalten werden, wenn die einen maßgeblichen Einfluss auf die Anlasstat(en) habende schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung sowie die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene nach seiner Aufführung und Entwicklung in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner schwerwiegenden und psychischen Störung weiterhin Prognosetaten mit schweren Folgen begehen wird, noch bestehen und es keine Möglichkeit gibt, die unterbringungsrelevante Gefährlichkeit extra muros hintanzuhalten (§ 47 Abs 2 StGB; Haslwanter in WK 2StGB § 47 Rz 12 bis 14).

Ausgehend vom Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. F* vom 22. März 2024, der forensischen Stellungnahme des Departments Maßnahmenvollzug der Justizanstalt Graz-Karlau (ON 2.5) und der Äußerung der BEST (ON 6) ist die erstgerichtliche Annahme der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung des Betroffenen nicht zu kritisieren.

Nach dem unverändert aktuellen, schlüssigen Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. F* iVm der forensischen Stellungnahme des Departments Maßnahmenvollzug besteht bei A* weiterhin die unterbringungsrelevante schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung, nämlich – so weit hier von Bedeutung – eine Störung der Sexualpräferenz iS einer homosexuellen Pädophilie (in Verbindung mit einer kombinierten Persönlichkeitsstörung und einer leichten Intelligenzminderung).

Nach wie vor ist nach der Aufführung und Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit (RIS-Justiz RS0090401) zu befürchten, dass er sonst innerhalb von Wochen oder Monaten unter dem maßgeblichen Einfluss dieser Störung neuerlich mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, und zwar den Anlassdelikten ähnliche Sexualdelikte (sexueller Missbrauch von Unmündigen), begehen wird. Maßgebend ist insoweit vor allem, dass trotz jahrelanger Psychotherapie bisher kein ausreichender therapeutischer Behandlungserfolg erzielt werden konnte. Aufgrund einer Stagnation des Therapiefortschritts wurde die seit Mai 2018 durchgeführte Psychotherapie im April 2023 zunächst beendet und erst ab Jänner 2024 versuchsweise wieder aufgenommen, um die den Delikten zugrunde liegenden Risikofaktoren unter Berücksichtigung der intellektuellen Minderbegabung des Untergebrachten zu bearbeiten. Jedoch trachtet der Untergebrachte (wie bereits bisher) auch weiterhin danach, der notwendigen Bearbeitung deliktsrelevanter Faktoren (wie u.a. auch die hinter seiner Delinquenz liegenden sexuellen Bedürfnisse und die Reflexion aktueller sexueller Wünsche und Präferenzen) etwa durch die Verweigerung oder den Abbruch von Gesprächen oder durch Umschwenken auf andere Themen (etwa Beschwerden über den Vollzug) auszuweichen. Risikorelevante Veränderungen sind nach all dem bisher nicht eingetreten.

Aufgrund dieser Umstände kann die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, trotz Besserung der verbalen Impulsivität, regelmäßiger Psychotherapie sowie guter Arbeitsleistung in anstaltseigenen Betrieben und (grundsätzlich) ruhiger Führung mangels hinreichenden Therapieerfolgs und Erprobung des Untergebrachten im Rahmen von Vollzugslockerungen durch Maßnahmen im Sinne der §§ 50 bis 52 StGB außerhalb der Unterbringung derzeit noch nicht hintangehalten werden (vgl. Haslwanter in WK 2StGB § 47 Rz 6, 8 und 10 aE).

Umstände, die auf den Entfall oder eine maßgebliche Reduktion der Gefährlichkeit des Untergebrachten hinweisen, sind weder aktenkundig noch wird Derartiges vom Rechtsmittelwerber substantiiert behauptet. Die (mangelnden) Auswirkungen des beim Betroffenen erst nach dessen Einweisung in den Maßnahmenvollzug diagnostizierten Klinefelter-Syndroms auf die Gefährlichkeitsprognose wurden entgegen der Beschwerde sowohl im Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. F* vom 22. März 2024 (S. 18 f) als auch in der forensischen Stellungnahme des Departments Maßnahmenvollzug der Justizanstalt Graz-Karlau (ON 2.5, 6, 21) bereits überzeugend behandelt. Demnach ist nicht auszuschließen, dass das Klinefelter-Syndrom in die Grunderkrankung der sexuellen Deviation mit eingebunden war, es kann aber nicht als deren Auslöser gesehen werden. Eine kausale Therapie dieser angeborenen Chromosomen-Anomalie bei Männern gibt es nicht, eine allenfalls mögliche Hormon-Substitutionstherapie zur Anhebung des krankheitsbedingt äußerst niedrigen Testosteronspiegels wird in Hinblick auf die (dessen ungeachtet verübte) Sexualdelinquenz des Betroffenen im Maßnahmenvollzug nicht durchgeführt. Für die Verabreichung einer psychotropen Medikation gibt es aktuell keine Indikation (ON 2.5, 21).

Einer vom Beschwerdeführer angestrebten Erweiterung der Tatsachengrundlage durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens bedarf es daher mangels Anhaltspunkten für bedeutsame positive Veränderungen hinsichtlich risikorelevanter Faktoren fallbezogen nicht.

Der Ausschluss eines weiteren Rechtszugs ergibt sich aus §§ 163, 17 Abs 1 Z 3 erster Satz StVG iVm § 89 Abs 6 StPO.