5R207/24m – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat als Rekursgericht durch die Richter Dr. Waldner (Vorsitz), Mag. Stadlmann und Mag. Schellnegger in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* , geboren **, Angestellter, C*, D*, vertreten durch Mag. Dieter Reßler, Rechtsanwalt in Hartberg, gegen die beklagte Partei E* B*, geboren **, Pensionistin, C*, D*, vertreten durch Mag. Bertram Schneeberger, Rechtsanwalt in Hartberg, wegen EUR 15.972,45 samt Anhang, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 21. November 2024, F*-12, (nunmehr G*) in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs, dessen Kosten die klagende Partei selbst zu tragen hat, wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird als nichtig aufgehoben und die Verfahrenshilfesache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen .
Text
BEGRÜNDUNG:
Mit seiner am 3. September 2024 zu F* beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz eingebrachten Mahnklage zu nunmehr G* begehrt der Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm EUR 15.972,45 samt Anhang (Hälftekosten einer Dachsanierung) zu bezahlen (ON 1). Mit Beschluss vom 6. September 2024 erließ das Erstgericht antragsgemäß einen Zahlungsbefehl (ON 2), der der Beklagten am 10. September 2024 zugestellt wurde. Diese erhob fristgerecht Einspruch, bestritt das Klagsvorbringen und begehrte Klagsabweisung (ON 3).
Mit ihrer Eingabe vom 5. November 2024 (ON 7) – verbessert durch ihr Schreiben vom 12. November 2024 (ON 10) - beantragt die Beklagte, ihr die Verfahrenshilfe im Umfang der einstweiligen Befreiung von den Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer sowie von den Kosten für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt zu bewilligen. In dem unter einem vorgelegten Vermögensbekenntnis führt die Beklagte an, dass sie als Pensionistin eine Pension von EUR 1.063,93 monatlich (14 x jährlich) beziehe und zusätzlich monatliche Unterhaltszahlungen von EUR 50,00 von ihrem ehemaligen Ehemann H* B* erhalte. Sie verfüge über ein Wohnungsgebrauchsrecht im gesamten Erdgeschoß des Hauses C*, D* und über Bargeld von EUR 7.300,00; dieses benötige sie, um ihren ehemaligen Ehegatten aufgrund eines Aufteilungsverfahrens „auszuzahlen“. Der Kontostand ihres Girokontos betrage EUR 846,23 und sie verfüge über zwei Sparbücher mit einem Stand von EUR 2.058,53 und von EUR 581,25. Zudem besitze sie ein Kraftfahrzeug der Marke **, Baujahr 2018. Es bestünden weder Schulden noch Unterhaltspflichten. Ihre monatlichen Ausgaben betragen EUR 1.103,22 (ON 7 und 10).
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss (ON 12) bewilligt das Erstgericht der Beklagten die Verfahrenshilfe „im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit. c und Z 3 ZPO “. Dies – auf das Wesentlichste zusammengefasst – mit der Begründung, dass der bloße Umstand, dass bisher ein aufrechtes Vollmachtverhältnis zu einem frei gewählten Vertreter bestanden habe, bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe die Beigebung eines Verfahrenshelfers nicht hindere. Die Beklagte sei aufgrund ihrer derzeitigen Einkommenssituation außer Stande, die Kosten der weiteren Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, zumal sie ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen zuzüglich Unterhaltszahlungen von nur rund EUR 1.290,00 habe und der unpfändbare Freibetrag für sie derzeit bei rund EUR 1.236,00 liege. Das vorhandene geringfügige und zum Teil für eine Ausgleichszahlung zweckgebundene Sparvermögen schade dabei nicht. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung darüber hinaus weder aussichtslos noch mutwillig erscheine, sei der Beklagten die Verfahrenshilfe antragsgemäß zu bewilligen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers (ON 15) aus den Anfechtungsgründen der Nichtigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Er beantragt, den angefochtenen Beschluss als nichtig aufzuheben, in eventu dahingehend abzuändern, dass der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe zurück- bzw. abgewiesen werde, in eventu den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen und der Beklagten den Ersatz der Kosten dieses Rekurses an den Kläger aufzuerlegen.
Die Beklagte und der Revisor erstatten keine Rekursbeantwortungen .
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt .
1.1. Nach § 72 Abs 2a ZPO idF BGBl I 2004/128 wird das Rekursverfahren zweiseitig ausgestaltet, wobei diese Novellierung mit der Notwendigkeit der Wahrung des rechtlichen Gehörs gemäß Art 6 EMRK des Prozessgegners begründet wurde. Dieses Erfordernis besteht aber auch schon im erstinstanzlichen Verfahrenshilfeverfahren. Die Möglichkeit des Prozessgegners, gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe Rekurs zu erheben, schafft angesichts des geltenden Neuerungsverbotes in vielen Fällen keine ausreichende Abhilfe. Gleiches gilt für die Rechte nach § 68 Abs 1 Z 3 ZPO (Anträge auf Erlöschung und/oder Entziehung der Verfahrenshilfe), zumal nach der Bewilligung der Verfahrenshilfe oft sofort Prozesshandlungen des Begünstigten erfolgen, welche mit Kosten verbundene Reaktionen des Prozessgegners erfordern können. Dem Prozessgegner muss daher bei sonstiger Nichtigkeitssanktion die Möglichkeit eingeräumt werden, sich zu einem nach Prozessbeginn eingebrachten Verfahrenshilfeantrag zu äußern (RIS-Justiz RW0000895; OLG Wien 13 R 27/19i, OLG Wien 2 R 71/21g, 11 R 135/21k, 16 R 32/22a; LG St. Pölten 7 R 38/22a, OLG Graz 5 R 37/23k und 39/23d).
1.2. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht dem Kläger – wie er in seinem Rechtsmittel zutreffend festhält - keine Äußerungsmöglichkeit zum Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe der Beklagten eingeräumt. Auch der Verbesserungsschriftsatz der Beklagten (ON 10) wurde dem Klagsvertreter bis zur Erlassung des angefochtenen Beschlusses nicht zugestellt.
1.3. Folge hiervon muss die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses als nichtig sein.
2.1. Das Erstgericht wird somit dem Kläger vor der neuerlichen Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe eine Äußerungsmöglichkeit zu den Behauptungen der Beklagten einzuräumen und damit dessen rechtliches Gehör zu wahren haben.
2.2. In welcher Art und Weise diese Verfahrensschritte erfolgen, bleibt dem pflichtgemäßen Ermessen des Erstgerichtes vorbehalten. Eine Befragung der Beklagten zu ihren Vermögensverhältnissen und den vom Kläger dazu erstatteten Einwendungen im Rahmen ihrer Einvernahme in der Sache selbst bietet sich dabei jedenfalls an.
3. Nach § 72 Abs 3 ZPO findet ein Kostenersatz in Verfahrenshilfesachen nicht statt ( Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 72 Rz 4).
Oberlandesgericht Graz, Abteilung 5
Graz, am 8. Jänner 2025
Dr. Rupert Waldner, Senatspräsident
Elektronische Ausfertigunggemäß § 79 GOG