Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. H* GesmbH, *, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, 2. M* AG, *, vertreten durch durch die CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 44.826,53 EUR sA, aus Anlass der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2024, GZ 3 R 135/24d 73, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 28. August 2024, GZ 36 Cg 40/20i 67, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die vom Obersten Gerichtshof am 19. Februar 2025 zu 7 Ob 163/24g (C175/25), am 27. Februar 2025 zu 8 Ob 99/24b (C182/25) und am 18. März 2025 zu 10 Ob 71/24z (C 251/25) gestellten Anträge auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Vorliegen der Vorabentscheidungen wird das Verfahren über Antrag fortgesetzt.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte von der Erstbeklagten 2017 ein von der Zweitbeklagten hergestelltes Fahrzeug der Marke M* „BlueTEC“ (Erstzulassung 2014) mit einem Kilometerstand von 53.200 um 52.900 EUR. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs OM 642 der Abgasklasse Euro 6b verbaut. Der Kläger wurde mit Schreiben des Generalimporteurs vom 16. 1. 2020 darüber informiert, dass „… auf Anordnung des Kraftfahrt Bundesamtes … im Rahmen eines verpflichtenden Rückrufs die Software des Motorsteuergerätes von mehreren Dieselfahrzeugen der Abgasnorm Euro 6“, unter anderem bei seinem Fahrzeug, durch kostenlose Einspielung eines Software Updates aktualisiert werden würde, weil der offizielle Bescheid zu diesem Rückruf vorsehe, „dass D* [die Zweitbeklagte] damit spezifische Kalibrierungen der Motorsteuerung verändert, die das Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässig einstuft“.
[2] Hintergrund dieses Rückrufs war die Funktionalität des im Fahrzeug implementierten SCR Systems, in dem es zwei Modi gibt, und zwar den Online- und den Speichermodus, wobei letzterer der effizientere ist. Die Umschaltung war in diesem Fahrzeug so gewählt worden, dass prinzipiell vor allem vor dem Durchfahren des Prüfzyklus der effektivere Modus, also der Speichermodus gewählt wurde. Bei Erreichen einer bestimmten emittierten Stickoxidmasse nach Ablauf des Prüfzyklus wurde jedoch wieder in den weniger effektiven Modus geschaltet. Dies wurde vom Kraftfahrt Bundesamt (KBA) als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet. Weiters verfügt das Fahrzeug über eine temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung (Thermofenster), wobei der derzeitige Umfang, außerhalb dessen die Abgasrückführung reduziert oder gänzlich abgeschaltet wird, nicht festgestellt werden konnte; im Bereich von +10 Grad Celsius erfolgte jedenfalls noch keine Absenkung. Die Zweitbeklagte entwickelte ein Software Update, das vom KBA akkreditiert wurde und mit der nach dessen Ansicht die als unzulässig eingestufte Kalibrierung beseitigt würde. Dieses Software Update hat der Kläger bislang nicht durchführen lassen; er befürchtet negative Auswirkungen auf das Fahrzeugsystem. Nach Durchführung des Software Updates erfolgt im unteren Temperaturbereich keine und im oberen Temperaturbereich erst ab + 40 Grad Celsius (bei betriebswarmem Motor) eine Korrektur der AGR Rate in Abhängigkeit vom Parameter Umgebungstemperatur.
[3] Der Kläger macht Ansprüche aus Schadenersatz, Gewährleistung und Vertragsanfechtung wegen Willensmangels gegenüber der Erstbeklagten und Schadenersatz gegenüber der Zweitbeklagten geltend. Er begehrt primär die Aufhebung des Kaufvertrags gegenüber der Erstbeklagten und gegenüber beiden Beklagten die Zahlung von 44.826,53 EUR (Kaufpreis von 52.900 EUR abzüglich 8.073,47 EUR Benützungsentgelt) samt Zinsen zur ungeteilten Hand Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Hilfsweise begehrt er aus dem Titel der Preisminderung die Zahlung von 15.000 EUR, in eventu die Feststellung, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand für jeden Schaden haften, der ihm aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug entstehe. Das Fahrzeug sei mangelhaft, weil darin mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut worden seien, ohne die die gesetzlichen Grenzwerte beim NEFZ Test nicht eingehalten worden wären und es keine Typisierung gegeben hätte.
[4] Die Beklagten bestreiten. Im Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Nach Einspielen des angebotenen Software Updates funktioniere die Abgasrückführung des Fahrzeugs dergestalt, dass im unteren Temperaturbereich keine und im oberen Temperaturbereich erst ab +40 Grad Celsius in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur (bei betriebswarmem Motor) eine Korrektur der AGR Rate stattfinde. Es erfolge somit keine Verminderung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter normalen Betriebsbedingungen. Die Durchführung eines Software Updates sei möglich und zumutbar. Die Zweitbeklagte wandte aufrechnungsweise ein Benutzungsentgelt von zuletzt 22.347 EUR ein.
[5] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag auf und verpflichtete die Beklagten zur ungeteilten Hand, dem Kläger 30.553 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu zahlen. Ein Mehrbegehren auf Zahlung von 14.273,53 EUR sA wies es (rechtskräftig) ab.
[6] Könne – wie hier – nicht festgestellt werden, in welchem Temperaturbereich die Abschalteinrichtung wirksam sei, könne nicht beurteilt werden, ob sie den überwiegenden Teil des Jahres (nicht) wirksam sei. Auch ein „Abstellen auf das gesamte Emissionskontrollsystem“ helfe angesichts der getroffenen Feststellungen nicht, sei diesen doch eine Temperaturabhängigkeit des Wirkungsgrades auch des SCR Katalysators durchaus zu entnehmen. Damit lasse sich aus den Feststellungen nicht gesichert ableiten, dass das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit im überwiegenden Teil des Jahres wirksam wäre.
[7] Die Beklagten hätten daher nicht nachweisen können, dass die konkrete – hier festgestellte – Abschalteinrichtung unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG falle.
[8] Es sei damit von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Damit sei der Kaufvertrag (auch gegenüber der Zweitbeklagten) rückabzuwickeln.
[9] Gegenüber der Erstbeklagten seien zwar Gewährleistungsansprüche verjährt; auch für listiges Vorgehen der Erstbeklagten würden Anhaltspunkte fehlen. Allerdings berechtige ein gemeinsamer wesentlicher Irrtum zur Vertragsanfechtung bzw bei Unwesentlichkeit zur Vertragsanpassung. Ein solcher gemeinsamer Irrtum würde vorliegen, weil sowohl der Kläger als auch die Erstbeklagte keine Kenntnis vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt hätten. Hier stehe auch fest, dass der Kläger das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wäre eine latente Gefahr des Entzugs der Typengenehmigung (als Folge der unzulässigen Abschalteinrichtung) im Raum gestanden. Damit stehe die Wesentlichkeit des Irrtums fest, die grundsätzlich zur Vertragsaufhebung berechtige.
[10] Vom Rückzahlungsbegehren des Klägers sei ein (linear berechnetes) Nutzungsentgelt von 22.347 EUR in Abzug zu bringen.
[11] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab und ließ die ordentliche Revision zu.
[12] Nach den Feststellungen würde nach Aufspielen des von der Zweitbeklagten angebotenen Software Updates im unteren Temperaturbereich keine und im oberen Bereich (erst) ab +40 Grad Celsius (bei betriebswarmem Motor) eine Korrektur der AGR Rate in Abhängigkeit vom Parameter Umgebungstemperatur erfolgen. Diese Korrektur der AGR Rate sei aus Gründen des Motorschutzes (in technischer Hinsicht) notwendig. Ebenso sei es zur Vermeidung von Motorschäden notwendig, ab bestimmten Seehöhen die AGR Rate abzusenken.
[13] Mit dem angebotenen Software Update würde der Sachmangel einer unzulässigen Abschalteinrichtung beseitigt. Der Kläger lehne zu Unrecht eine Verbesserung ab, weil an Hand der getroffenen Feststellungen von negativen Auswirkungen auf das „Fahrzeugsystem“ durch das Aufspielen des Software Updates keine Rede sein könne.
[14] Die Klagestattgabe gegenüber der Erstbeklagten sei ausschließlich mit einem gemeinsamen Irrtum begründet worden. Da der Kläger durch das Software Update klaglos gestellt wäre und er dieses aus nicht nachvollziehbaren Gründen ablehne, sei seine Klage auf Rückabwicklung des Vertrags auch aus dem Grund des Irrtums abzuweisen.
[15] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof – soweit überblickbar – mit einem thermischen Motormanagement, bei dem die AGR Rate bei Umgebungstemperaturen nach unten hin nicht begrenzt werde und nach oben hin eine Reduktion erst bei +40 Grad Celsius erfolge, noch nicht beschäftigt habe.
[16] Die Revision des Klägers strebt die Klagsstattgebung, hilfsweise die Aufhebung an.
[17] Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[18]1. In den im Spruch angeführten Verfahren hat der Oberste Gerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art 267 AEUV mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese befassen sich unter anderem damit, ob
- für die Qualifikation als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist, ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandener Systeme der Abgasrückführung und nachbehandlung) verringert wird, oder darauf, ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktionsteile (zB „Thermofenster“, SCR Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird;
- für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung allein die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteils, sei es der Gesamtheit des Systems – entscheidend ist oder zusätzlich erforderlich ist, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird.
[19] Weiters betreffen die Anträge auf Vorabentscheidung in diesem Zusammenhang maßgebliche Fragen der Behauptungs- und Beweislast.
[20] 2. Im vorliegenden Verfahren ist ein Sachverhalt zu beurteilen, der die Beantwortung vergleichbarer Rechtsfragen erfordert. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (vgl RS0110583 ; insbesondere 6 Ob 231/24z ). Die Fortsetzung erfolgt nur über Antrag einer Partei ( 2 Ob 20/25t ; 2 Ob 85/25a ua).
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