Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. J*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagte Partei M* AG, *, Deutschland, vertreten durch CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 9.600 EUR sA, im Verfahren über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Oktober 2024, GZ 6 R 57/24b 31, womit das Urteil des Bezirksgerichts Traun vom 16. Februar 2024, GZ 2 C 198/23z 22, teilweise abgeändert wurde in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (Deutschland) vom 27. Oktober 2023 (EuGH C 666/23, C 667/23 und C 668/23) und des Obersten Gerichtshofs vom 19. Februar 2025 zu 7 Ob 163/24g (EuGH C 175/25) sowie vom 27. Februar 2025 zu 8 Ob 99/24b (EuGH C 182/25) unterbrochen.
Nach Vorliegen der Vorabentscheidungen wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb im März 2018 ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug. Dieses ist mit einem der Schadstoffklasse Euro 5 unterliegendem Motor des Typs OM642 ausgestattet. Um den Emissionsausstoß zu verringern, verfügt das Fahrzeug über ein System der Abgasrückführung (AGR). Die AGR ist temperatur und höhengesteuert. Würde ein bereits entwickeltes Software Update durchgeführt, erfolgte die AGR innerhalb eines Temperaturbereichs von 10°C bis +40°C. Über diesen Temperaturbereich hinaus käme es zu einer Reduktion der „Öffnung des AGR“. Zum nach wie vor bestehenden Thermofenster (im Auslieferungszustand des Fahrzeugs) steht (nur) fest, dass es – im Vergleich zum fiktiven Zustand nach Durchführung des Updates – einen „weniger weiten“ Temperaturbereich abdeckt. Durch die im Fahrzeug verbaute „Höhenabschaltung“ oder „Höhenerkennung“ wird die AGR Rate auch im Zusammenhang mit der Höhe über dem Meeresspiegel „schrittweise reduziert bzw angepasst“. Ab welcher Seehöhe diese Abnahme beginnt, steht nicht fest.
[2] Der Kläger begehrt 9.600 EUR sA als Minderwert des behauptetermaßen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG versehenen Fahrzeugs.
[3] Die Beklagte bestreitet das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Fahrzeug. Sollte eine solche gegeben sein, träfe sie kein Verschulden.
[4] Während das Erstgericht das Klagebegehren abwies, sprach das Berufungsgericht dem Kläger 4.800 EUR zu.
[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten. Im Revisionsverfahren werden Fragen zum Nachweis des Vorliegens einer Abschalteinrichtung, zum Einwand des Rechtsirrtums insbesondere auch in Bezug auf eine über Nachfragen erteilte hypothetische Genehmigung durch die zuständige Behörde und zur Erheblichkeit der Einhaltung der Grenzwerte im Realbetrieb angesprochen.
[6] Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen.
[7] 1. Das Landgericht Ravensburg (Deutschland) hat in den Verfahren 2 O 331/19 (ua), 2 O 229/20 (ua) und 2 O 232/20 (ua) am 27. 10. 2023 dem EuGH (von diesem behandelt zu C 666/23, C 667/23 und C 668/23) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Kann der Schadenersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 mit der Begründung verneint werden,
a) dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers vorliege?
wenn ja:
b) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die für die EG Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständige Behörde die eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich genehmigt hat?
wenn ja:
c) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die Rechtsauffassung des Fahrzeugherstellers von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung)? “
[8] 2. Im Verfahren 7 Ob 163/24g hat der Oberste Gerichtshof am 19. 2. 2025 dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. a) Sind Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass bei einem unter die VO 715/2007/EG fallenden Dieselfahrzeug, in dem Systeme der Abgasrückführung (AGR System) und Abgasnachbehandlung (SCR System) verbaut sind, für die Qualifikation als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist, ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandener Systeme der Abgasrückführung und nachbehandlung) verringert wird, oder darauf, ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktionsteile (zB 'Thermofenster', SCR Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird?
b) Sind Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteils, sei es der Gesamtheit des Systems (siehe Frage 1. a) – allein entscheidend ist, oder ist zusätzlich erforderlich, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird?
2. Für den Fall, dass auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit abzustellen ist:
a) Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Behauptungslast dahin auszulegen, dass der Erwerber eines Dieselfahrzeugs seiner Behauptungslast zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspricht, wenn er vorbringt, dass ein Konstruktionsteil (zB 'Thermofenster') vorliegt, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, und trifft dann den Hersteller die Behauptungslast dafür, dass das Gesamtsystem insgesamt zu keiner Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, oder muss der Käufer auch vorbringen, dass keine anderen Konstruktionsteile vorliegen, die den nachteiligen Effekt ausgleichen?
b) Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG im Fall der Behauptungslast des Käufers für das Gesamtsystem und der daraus im nationalen Recht resultierenden Beweislast dahin auszulegen, dass selbst eine nationale Regelung, die den Hersteller in diesem Fall zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet, dennoch nicht dem Unionsrecht, insbesondere dem Effektivitätsgrundsatz, entspricht, sodass deshalb insoweit unionsrechtlich der Hersteller die Beweislast zu tragen hat?
3. Sind Art 3 Nr 10, Art 4 Abs 2, Art 5 Abs 1 und Abs 2 VO 715/2007/EG (iVm Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG) dahin auszulegen, dass die Bauteile eines Dieselfahrzeugs, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein müssen, dass die Einhaltung der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte nicht nur bei den vorgeschriebenen Tests im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens (hier: Neuer Europäischer Fahrzyklus Test), sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeugs (im Realbetrieb) gewährleistet ist?“
[9] 3 . Im Verfahren 8 Ob 99/24b hat der Oberste Gerichtshof am 27. 3. 2025 dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1.a. Sind Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 3 Durchführungs VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass bei einem unter die VO 715/2007/EG fallenden Fahrzeug mit Dieselmotor, in dem
- ein Stickoxidspeicherkatalysator samt Dieselpartikelfilter und weiters
- nur ein (in seiner Steuerung und Wirksamkeit von verschiedenen Faktoren wie Umgebungstemperatur, Leistungsanforderung, Gaspedalstellung, Drehmoment, Seehöhe, Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft, Fahrverhalten des Fahrers sowie Temperatur am und im Triebwerk und im Abgasrückführungssystem selbst abhängiges) System der Abgasreduktion (AGR System) verbaut ist, welches
- ein 'Thermofenster' (eine temperaturabhängige Reduktion der AGR Rate), bezüglich dessen zwar feststeht, dass die AGR Rate bei Temperaturen unter 24°C und über +70°C reduziert wird, allerdings nicht feststellbar ist, ob eine Reduktion der AGR Rate auch innerhalb des Temperaturbereiches von 24°C bis +70°C stattfindet,
- eine 'Höhenschaltung' (eine Reduktion der AGR Rate in einer Betriebshöhe von über 1.000 Metern über dem Meeresspiegel), und
- eine 'Taxischaltung' (eine Reduktion der AGR Rate bei einem Betrieb im Leerlauf über einen Zeitraum von mehr als 15 Minuten)
aufweist, für die Qualifikation als Abschalteinrichtung im Sinne von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist,
i. ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandenen Systeme der Abgasrückführung und nachbehandlung) verringert wird,
oder darauf,
ii. ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktionsteile (zB 'Thermofenster', SCR Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird?
1.b. Sind Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass
i. es sich bei der Wendung in Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG '... unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind ...'
- um einen Teil der Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung, oder
- um eine diesbezügliche Ausnahmeregelung vom Bestehen einer Abschalteinrichtung oder Verbotsausnahme, welche erst beim Nachweis des Nichtvorliegens solcher Bedingungen die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung bewirkt,
handelt?
ii. für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eines Dieselfahrzeuges unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteiles, sei es der Gesamtheit des Systems (siehe Frage 1.a.) – allein entscheidend ist, oder ist zusätzlich erforderlich, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird?
iii. eine Abschalteinrichtung jedenfalls dann zulässig im Sinne des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ist, wenn unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeuges die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eines Dieselfahrzeuges zwar verringert wird, jedoch die in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden?
2. Für den Fall, dass im Sinne der zu Punkt 1. gestellten Fragen auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit abzustellen ist:
2.a. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Behauptungslast dahin auszulegen, dass der Erwerber eines Dieselfahrzeuges seiner Behauptungslast zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspricht, wenn er vorbringt, dass ein Konstruktionsteil (zB 'Thermofenster') vorliegt, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, und trifft dann den Fahrzeughersteller die Behauptungslast dafür, dass das Gesamtsystem insgesamt zu keiner Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, oder muss der Käufer auch vorbringen, dass keine anderen Konstruktionsteile vorliegen, die den nachteiligen Effekt ausgleichen?
2.b. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Beweislast dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der den klagenden Käufer die Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung und somit nicht nur dafür trifft, dass ein Konstruktionsteil im Fahrzeug verbaut ist, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, sondern auch dafür, dass keine anderen Konstruktionsteile verbaut sind, die diesen nachteiligen Effekt ausgleichen, aber der beklagte Fahrzeughersteller zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhaltes verpflichtet ist – wobei die Konsequenz einer Nicht-Mitwirkung nur darin liegt, dass das Gericht diesen Umstand in seine freie Beweiswürdigung einfließen lässt –, gegen Unionsrecht verstößt, sodass bei der Feststellung des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit eine Zuweisung der Beweislast hierfür an den beklagten Fahrzeughersteller unionsrechtlich geboten ist?
2.c. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass die Behauptungs und Beweislast für den konkreten Temperaturbereich, in dem eine im Fahrzeugmotor vorhandene Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters nicht aktiv ist, den Fahrzeughersteller trifft?
3.a. Sind Art 3 Nr 10, Art 4 Abs 2, Art 5 Abs 1 und Abs 2 VO 715/2007/EG in Verbindung mit Art 3 Durchführungs VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass die Bauteile eines Dieselfahrzeuges, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein müssen, dass die Einhaltung der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte nicht nur bei den vorgeschriebenen Tests im Rahmen des jeweils anzuwendenden Typgenehmigungsverfahrens (hier: Neuer Europäischer Fahrzyklus Test), sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeuges (im Realbetrieb) gewährleistet ist?
3.b. Falls die Frage 3.a. zu bejahen ist:
Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 5 Abs 1 und Art 4 Abs 3 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass nicht der klagende Käufer, sondern der beklagte Fahrzeughersteller die Beweislast für die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb trägt?“
[10] 4. Auch wenn der vorliegende Rechtsstreit einen anderen Motortyp betrifft, ist die Beantwortung der Fragen für die Entscheidung von Relevanz.
[11] 5. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).