JudikaturOGH

10ObS85/25k – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Rohregger Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und andere, Rechtsanwälte in Wien, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 21. Mai 2025, GZ 11 Rs 26/25k 15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom 13. Jänner 2025, GZ 20 Cgs 273/24f 6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]Der Kläger war zuletzt bis 31. 8. 2021 als Systementwickler beschäftigt, wobei er in den letzten Monaten des Arbeitsverhältnisses wegen einer Augenerkrankung nicht mehr in der Lage war, seine bisherige Tätigkeit weiter auszuüben. Ungeachtet des Umstands, dass ihm vom Dienstgeber eine Verwendungsänderung vorgeschlagen wurde, vereinbarte der Kläger im Juni 2021 auf seine Initiative mit seinem Dienstgeber die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses zum 31. 8. 2021. Der Kläger bezog vom 30. 9. 2021 bis 29. 2. 2024 Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe. Der Kläger vollendete im Februar 2024 das 62. Lebensjahr und erfüllte aufgrund der vorliegenden Anzahl von Versicherungsmonaten die Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension nach § 4 Abs 2 Z 1 APG zum 1. 3. 2024.

[2] Mit Bescheid vom 13. 8. 2024 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf eine Korridorpension gemäß § 4 Abs 2 und 5 APG ab 1. 3. 2024 in einer Höhe von 3.814 EUR brutto (inkl Frühstarterbonus und Höherversicherung, aber ohneErhöhungsbetrags nach § 34 APG).

[3]In dritter Instanz ist nur noch strittig, ob sich der Kläger auf § 34 Abs 1 Z 3 APG berufen kann.

[4] Der Klägerbegehrt die Gewährung des Erhöhungsbetrags nach § 34 APG. Mit Erfüllung der Voraussetzungen für die Korridorpension zum 1. 3. 2024 habe er nach § 22 AlVG keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr gehabt, weshalb ihm der Erhöhungsbetrag zustehe.

[5] Die Beklagtewandte ein, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 Z 3 APG nicht erfüllt seien. Unter Verweis auf § 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG hielt die Beklagte fest, dass nicht ersichtlich sei, aus welchem zwingenden Grund die einvernehmliche Auflösung erfolgt sei.

[6] Das Erstgerichterkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger ab 1. 3. 2024 die Korridorpension in Höhe von 3.814 EUR brutto monatlich unter Berücksichtigung seither erfolgter Anpassungen und unter Anrechnung bereits erhaltener Zahlungen zu gewähren. Das Mehrbegehren, auch den Erhöhungsbetrag nach § 34 APG zu leisten, wurde abgewiesen. Der Kläger habe gemäß einer Bestätigung des AMS Salzburg vom 4. 6. 2024 nach § 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG auch über den 1. 3. 2024 hinaus Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Damit habe der Kläger per 1. 3. 2024 seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld freiwillig beendet, was die Gewährung der Schutzklausel des § 34 Abs 1 Z 3 APG ausschließe.

[7] Das Berufungsgerichthob das Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Dass § 22 Abs 1 letzter Satz Z 6 lit b AlVG hier erfüllt sei, sei von der Beklagten nicht behauptet worden; vielmehr habe diese das Gegenteil vorgebracht. Bei der an die Beklagte gerichtete Bestätigung des AMS handelt es sich nicht um einen Bescheid im Sinn eines Verwaltungsakts mit der Äußerung eines hoheitlichen Willens zur bindenden Gestaltung oder Feststellung eines Rechtsverhältnisses, sondern lediglich um eine bloße Auskunft des AMS, mit der dieses seine Einschätzung über die Beurteilung einer Rechtsfrage mitgeteilt habe. Zudem sei aus dem Sachverhalt nicht abzuleiten, dass dem Kläger die Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses bzw die Abstandnahme von der von ihm selbst angestrebten einvernehmlichen Auflösung unzumutbar gewesen sein solle. Die Schutzklausel des § 34 APG sei damit durch § 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG nicht ausgeschlossen worden.

[8]Dem Erstgericht sei eine neuerliche Entscheidung aufzutragen, weil der dem Kläger gebührende Erhöhungsbetrag sich nicht aus den Feststellungen ergebe. Die Erlassung eines Grundurteils nach § 89 Abs 2 ASGG sei nicht zulässig, weil der Anspruch des Klägers auf Korridorpension ab 1. 3. 2024 unstrittig sei.

[9]Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zu, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Auslegung des § 34 Abs 1 Z 3 APG im Zusammenhang mit den §§ 22, 38 AlVG vorliege.

[10] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Der Kläger hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[12] Das Rechtsmittel ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[13]1.1 Gemäß § 34 Abs 1 Z 3 APG ist das Ausmaß von Korridorpensionen nach § 4 Abs 2 APG, die (ua) infolge der Beendigung des Arbeitslosengeldoder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG im Kalenderjahr 2024 angetreten werden , zu erhöhen, wenn ihr Stichtag in das Kalenderjahr 2024 fällt. Es ist unstrittig, dass der Kläger erst im März 2024 Anspruch auf Korridorpension hatte.

[14]1.2 Die mit BGBl I Nr 2023/133 eingeführte sogenannte „Schutzklausel“ (vgl Parlamentskorrespondenz NR 1075 vom 18. 10. 2023) des § 34 Abs 1 APG bezieht sich auf die hohe Inflation der Jahre 2021 bis 2023 und den Umstand, dass nach der bisherigen Rechtslage die Inflation (nach der Valorisierungsbestimmung des § 12 Abs 3 Z 2 APG iVm § 108a ASVG) erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren Eingang in die Aufwertungszahl findet, „ sodass sich Nachteile für Versicherte ergeben, deren Stichtag in das Kalenderjahr 2024 fällt“ (AB 2241 BlgNR XXVII. GP 2). Daher sollen mit § 34 APG Pensionen „ zum Ausgleich des erwähnten inflationsbedingten Nachteils erhöht werden, wenn ihr Stichtag in das Jahr 2024 fällt “ (AB 2241 BlgNR XXVII. GP 2; dazu ausführlich, Pasz/Zhang, Wen schützt die Schutzklausel? Hintergrund und Wirkung des neuen § 34 APG, DRdA infas 2024, 63).

[15]1.3 Die hier maßgebliche Textpassage des § 34 Abs 1 Z 3 APG wird von den Gesetzesmaterialien (AB 2241 BlgNR XXVII. GP 2; idS auch 11313 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates) wie folgt erklärt:

Gleiches (Anm: nämlich die Erhöhung der Pension) gilt für Korridorpensionen, die aufgrund des Erlöschens des Arbeitslosengeldoder Notstandshilfeanspruchs nach § 22 AlVG (und § 38 AlVG) mit Stichtag im Jahr 2024 angetreten werden. Zu sonstigen Korridorpensionen mit Stichtag im Jahr 2024 gebührt der Erhöhungsbetrag hingegen nur dann, wenn die Anspruchsvoraussetzungen (mit Ausnahme der Aufgabe der Erwerbstätigkeit bzw des Fehlens eines die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Erwerbseinkommens) bereits am 31. Dezember 2023 vorliegen. Nicht umfasst sind somit Korridorpensionen des Zugangsjahres 2024 ohne vorangehende Arbeitslosigkeit (und ohne Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen schon 2023), da in diesen Fällen der Zeitpunkt des Pensionsantritts durchaus in der Disposition der Versicherten liegt.

[16]2.1 § 34 APG knüpft an § 22 AlVG an. § 22 AlVG schließt Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe (§ 38 AlVG) bei einem (sozialversicherungsrechtlichen) Anspruch auf eine Alterspension aus. Ziel dieser Bestimmung ist es, eine Doppelversorgung aus dem öffentlichen System der sozialen Sicherheit zu vermeiden, wobei die Pension als Dauerleistung hier vorrangig gegenüber der kurzfristigen Absicherung durch Arbeitslosengeld gesehen wird (vgl Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz [23. Lfg 2024] § 22 AlVG Rz 483).

[17] 2.2 Von dem Grundsatz, dass bei Anspruch auf eine Pensionsleistung kein Arbeitslosengeld (bzw Notstandshilfe) mehr bezogen werden kann, gibt es hinsichtlich der Korridorpension eine Ausnahme ( Pasz/Zhang , DRdAinfas 2024, 63). Abhängig von der Beendigung des Dienstverhältnisses steht die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension gemäß § 4 Abs 2 APG dem Anspruch auf Leistungen nach dem AlVG für den Zeitraum von einem Jahr (längstens bis zur Erreichung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer) nicht entgegen.

[18]2.3 Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, dass hier keiner der in § 22 Abs 1 AlVG genannten „privilegierten“ Beendigungsgründe in Betracht kommt.

[19]2.3.1 Dem tritt die Beklagte argumentativ nicht näher entgegen. In ihrem Rekurs zeigt sie insbesondere nicht auf, dass und warum sich der Kläger im Anlassfall auf § 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG hätte berufen können. Der Rekurs bezieht sich hier lediglich auf ein Schreiben des AMS Salzburg, in dem dieses der Beklagten gegenüber (ohne weitere Begründung) die Frage bejahte, dass die Voraussetzungen des § 22 Abs 1 letzter Satz AlVG am 1. 3. 2024 erfüllt würden, wenn der Kläger keine Korridorpension beantrage.

[20]Diese Auskunft – von der Revisionswerberin als „rechtliche Einschätzung“ bezeichnet – ist (vgl RS0085681 [T7]) für das sozialgerichtliche Verfahren nicht bindend. Es müssen daher entsprechende Behauptungen und Feststellungen vorliegen, um die Erfüllung des Tatbestands des § 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG prüfen zu können. Das ist hier nicht der Fall.

[21]2.3.2 Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht aus den Feststellungen nicht ableiten konnte, dass die einvernehmliche Auflösung hier unter Umständen erfolgt ist, die dem Kläger eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung unzumutbar machten (§ 22 Abs 1 Z 6 lit b AlVG). Zudem brachte die Beklagte sogar ausdrücklich vor, es sei nicht ersichtlich, aus welchem zwingenden Grund die einvernehmliche Auflösung erfolgt sei. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Kläger (mangels „privilegierter“ Beendigungsgründe) wegen des sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs auf eine Alterspension (in casu: Korridorpension) keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe hatte, bedarf daher keiner Korrektur.

[22]3. Damit ist davon auszugehen, dass der Kläger wegen § 22 AlVG jedenfalls ab 1. 3. 2024 nicht (mehr) berechtigt war, Ansprüche nach dem AlVG zu beziehen. Der Kläger wechselte nahtlos von der Arbeitslosigkeit in die Korridorpension; im Zeitpunkt der Beendigung seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe befand sich der Kläger damit genau in jener Situation, die § 34 Abs 1 Z 3 APG vor Augen hat: Er trat die Korridorpension im März 2024 „infolge der Beendigung des Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfenanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG“ an (vgl auch AB 2241 BlgNR XXVII. GP 2: „ Nicht umfasst sind somit Korridorpensionen des Zugangsjahres 2024 ohne vorangehende Arbeitslosigkeit“). Damit ist hier § 34 Abs 1 Z 3 APG erfüllt.

[23] 4. Zusammengefasst steht dem Kläger damit der in § 34  PG vorgesehene Erhöhungsbetrag zu, der bei der Berechnung der ihm ab 1. 3. 2024 gebührenden Pension zu berücksichtigen ist.

[24] 5. Dem Rekurs der Beklagten ist daher ein Erfolg zu versagen.

[25]6. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50, 52 ZPO iVm § 2 ASGG.