JudikaturOGH

15Os84/25d – OGH Entscheidung

Entscheidung
EU-Recht
10. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski und Dr. Sadoghi und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Rechtspraktikantin Schurich LL.M., LL.M. in der Strafsache gegen * L* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach §§ 156 Abs 1 und 2, 161 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 51 Hv 105/24v des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:

Spruch

Die am 11. November 2024 erfolgte Verfügung der Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten * A* im Postweg ohne gleichzeitigen Anschluss einer Übersetzung derselben in die kroatische Sprache verletzt

1./ § 83 Abs 3 StPO sowie

2./ § 56 Abs 1 und 3 StPO und § 75 Abs 3 EU JZG .

Die Zustellung der Anklageschrift wird für unwirksam erklärt und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien aufgetragen, im Rechtshilfeweg deren neuerliche Zustellung an den Angeklagten samt einer Übersetzung derselben in die kroatische Sprache zu veranlassen.

Text

Gründe:

[1] Mit beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingebrachter Anklageschrift vom 5. November 2024, AZ 604 St 10/24p (ON 122 in AZ 51 Hv 105/24v des Landesgerichts für Strafsachen Wien), legt die Staatsanwaltschaft Wien * L* und anderen Angeklagten, dar unter * A*, dort bezeichnetes strafbares Verhalten zur Las t.

[2] Mit Verfügung vom 11. November 2024 ordnete die Vorsitzende des Schöffengerichts die Zustellung der Anklageschrift „mit RMB u. RSa“ an die Angeklagten, darunter auch an den unvertretenen, in Kroatien wohnhaften kroatischen Staatsangehörigen A* (ON 68 S 385 ff, ON 98) an (ON 1 S 85). Datiert mit 12. November 2024 findet sich ein – offenbar von einer anderen Person verfasster – Vermerk am Antrags und Verfügungsbogen, wonach die Zustellung aufgrund des Wohnsitzes in Kroatien mit internationalem Rückschein vorgenommen werde (ON 1 S 85; siehe auch den dort angeschlossenen Rückschein, der – mit unleserlicher Unterschrift – eine Zustellung der Anklageschrift am 19. November 2024 ausweist).

[3] Am 21. November 2023 langte beim Landesgericht per E-Mail ein – dem Inhalt nach von * P*, dem Neffen des A* in dessen Auftrag versendeter – Einspruch des Genannten gegen die Anklageschrift ein (ON 124).

[4] Daraufhin veranlasste die Vorsitzende die Übersetzung der Anklageschrift sowie der B elehrung über die Einspruchsmöglichkeit in die kroatische Sprache (ON 1 S 85; s auch Übersetzung ON 129) und verfügte sodann am 16. Dezember 2024 deren Zustellung an A* mit internationalem Rückschein (ON 1 S 87).

[5] Eine weitere Reaktion des Genannten erfolgte nicht, woraufhin das Landesgericht für Strafsachen Wien am 10. Februar 2025 den Anklageeinspruch dem Oberlandesgericht Wien, AZ 18 Bs 41/25y, zur Entscheidung vorlegte (ON 1 S 89 und ON 131). Dieses hat noch nicht darüber entschieden.

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt, steht die Zustellung der Anklageschrift ohne Anschluss einer Übersetzung in die kroatische Sprache im Postweg mit internationalem Rückschein mit dem Gesetz nicht in Einklang.

[7]1./ Gemäß § 213 Abs 1 und Abs 2 StPO ist die Anklageschrift dem Angeklagten, der das Recht hat, dagegen binnen 14 Tagen Einspruch bei Gericht zu erheben, samt diesbezüglicher Belehrung – vom Vorsitzenden des Schöffengerichts – zuzustellen. Ist der Angeklagte – wie hier – unvertreten, so hat diese Zustellung gemäß § 83 Abs 3 StPO zu dessen eigenen Handen (im Inland nach § 21 ZustG [„RSa“]) – zu erfolgen.

[8] § 75 Abs 1 EU JZG normiert, dass Verfahrensurkunden und andere gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Schriftstücke innerhalb der EU grundsätzlich unmittelbar durch die Post zuzustellen sind (vgl auch Art 5 Abs 1 EU RHÜ, BGBl III 2005/65).

[9]Bei einer direkten postalischen Zustellung mit „internationalem Rückschein“ ist aber die – von § 83 Abs 3 StPO hier verlangte – Zustellung zu eigenen Handennicht gewährleistet. Um § 83 Abs 3 StPO zu genügen, hätte die Zustellung im Rechtshilfeweg erfolgen müssen ( McAllister in WK 2 EU JZG § 75 Rz 14 f und 18; vgl § 75 Abs 2 Z 2 EU JZG, Art 5 Abs 2 lit b EU-RHÜ).

[10]Die vom Gericht am 11. November 2024 angeordnete Zustellung der Anklageschrift im Postweg verletzt daher § 83 Abs 3 StPO.

[11]2./ Gemäß § 56 Abs 1 StPO hat ein Beschuldigter, der die Verfahrenssprache nicht spricht oder versteht, das Recht auf Dolmetschleistungen und darüber hinaus – soweit dies zur Wahrung der Verteidigungsrechte und eines fairen Verfahrens erforderlich ist – auf schriftliche Übersetzung der wesentlichen Aktenstücke. Gemäß § 56 Abs 3 StPO zählt hiezu auch die Anklage, deren schriftliche Übersetzung dem der Verfahrenssprache nicht mächtigen Angeklagten gemeinsam mit einer Ausfertigung der Anklageschrift zuzustellen ist (vgl [zu Urteilen] RISJustiz RS0132694).

[12] Darüber hinaus ergibt sich aus § 75 Abs 3 EU JZG eine Verpflichtung der Justizbehörden, eine Übersetzung des wesentlichen Inhalts eines zuzustellenden Schriftstücks anzuschließen, sobald Anhaltspunkte vorliegen, dass der Empfänger der deutschen Sprache unkundig ist.

[13]Die die Zustellung der Anklageschrift – ohne Übersetzung in die kroatische Sprache – anordnende Verfügung der Vorsitzenden des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. November 2024 verletzt daher das Gesetz (auch) in § 56 Abs 1 und Abs 3 StPO sowie § 75 Abs 3 EU JZG .

[14]Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzungen mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).