8ObA28/25p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Malesich als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Johanne Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Susanne Haslinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei W*, vertreten durch Mag. Roland Schwab, Rechtsanwalt in Linz, wegen 4.387,29 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 16. April 2025, GZ 12 Ra 13/25f 46.3, womit das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. Dezember 2024, GZ 45 Cga 6/25d 37, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 602,54 EUR (darin 100,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist seit 1. 2. 2001 bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Die Beklagte betreibt als gemeinnützige Vereinigung Studentenheime mit dem Ziel, Studierenden durch wirtschaftliche Förderung das Studium zu erleichtern und ihre wirtschaftlichen Interessen zu vertreten. Insbesondere Studierende aus Familien mit niedrigem Einkommen sollen ohne Unterschied ihrer konfessionellen und nationalen Zugehörigkeiten durch das Angebot von Studentenheimplätzen zu günstigen Preisen gefördert werden.
[2] Die Klägerin begehrt unter Berufung auf den Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ-KV) 4.387,29 EUR sA an zusätzlichen Entgelten für den Zeitraum von November 2020 bis März 2024.
[3] Die Beklagte wendete ein, dass der SWÖ-KV nicht anwendbar sei.
[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Da die Beklagte kein Mitglied des Vereines Sozialwirtschaft Österreich sei, unterliege sie nicht dem Geltungsbereich des SWÖ-KV.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch wenn die Beklagte nicht in den unmittelbaren Anwendungsbereich des SWÖ-KV falle, sei dieser Kollektivvertrag doch für Anbieter „ sozialer oder gesundheitlicher Dienste präventiver, betreuender oder rehabilitativer Art “ zur Satzung erklärt worden. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeute der Begriff „ betreuen “ soviel wie „ in seine Obhut nehmen “ oder „ für jemanden sorgen “, was auf die Tätigkeit der Beklagten – auch wenn sie den Studierenden direkte Unterstützungen gewähre – nicht zutreffe. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil der Auslegung der Erklärung des SWÖ-KV zur Satzung über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
[6] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit welcher sie eine Abänderung der Entscheidung dahin anstrebt, dass ihrem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[7] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
[9] 1. Da die Beklagte nicht Mitglied des Vereins Sozialwirtschaft Österreich ist, kommt eine unmittelbare Anwendung des SWÖKV nicht in Betracht. Wohl aber kann das Bundeseinigungsamt nach § 18 ArbVG einem Kollektivvertrag durch Erklärung zur Satzung auch außerhalb seines räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereiches rechtsverbindliche Wirkung zuerkennen, wenn die von der Satzung zu erfassenden Arbeitsverhältnisse im Verhältnis zu jenen, die dem Kollektivvertrag unterliegen, im Wesentlichen gleichartig sind. Dementsprechend wurde der SWÖ-KV mit den Verordnungen BGBl II 2020/271, 2021/92, 2022/68, 2023/8 und 2024/25 zur Satzung erklärt, wobei der jeweilige § 1 dieser Verordnungen unter der Überschrift „ Geltungsbereich der Satzung “ lautet:
„ a) Fachlich: für Anbieter sozialer oder gesundheitlicher Dienste präventiver, betreuender oder rehabilitativer Art für Personen, die entsprechender Hilfe oder Betreuung bedürfen, mit folgenden Ausnahmen:
- öffentlich-rechtliche Einrichtungen
- Heilbade-, Kur- und Krankenanstalten
- Rettungs- und Sanitätsdienste
- Privatkindergärten, -kinderkrippen und -horte (Privatkindertagesheime)
- selbst organisierte bzw. elternverwaltete Kindergruppen
- Einrichtungen der Kinderbetreuung durch Tagesmütter(-väter). “
[10] 2. Die Klägerin macht in ihrer Revision geltend, dass die Beklagte in den fachlichen Anwendungsbereich der Satzung falle, weil sie „ soziale Dienste betreuender Art “ anbiete. Die Beklagte „ betreue “ Studierende, weil sie den Studierenden nicht nur Wohnraum zur Verfügung stelle, sondern nach ihren Stauten auch „ direkte Unterstützungen “ gewähre.
[11]3. Die Auslegung der Satzungserklärung als Verordnung erfolgt nach §§ 6, 7 ABGB (9 ObA 35/15k). Ausgangspunkt ist daher die Wortinterpretation. Dabei ist nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung zu fragen (RS0008896 [T4]). So hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Begriff „ betreuen “ im Sinne von „ in seine Obhut nehmen “ oder „ für jemanden sorgen “ verstanden wird. Da der Begriff „ betreuen “ damit stets die Übernahme einer Verantwortung impliziert, fallen nach dem allgemeinem Sprachgebrauch weder das bloße Zurverfügungstellen von Wohnraum noch sonstige – rein finanzielle – Unterstützungen unter diesen Begriff.
[12] 4. Der Klägerin ist zuzugestehen, dass sich Rz 73 der Vereinsrichtlinien des Bundesministeriums für Finanzen auf „ die Betreuung von Studenten zB im Wege des Unterhaltens von Studentenheimen“ bezieht, doch ist für sie damit nichts gewonnen, weil es sich um eine vom allgemeinem Sprachgebrauch abweichende Formulierung handelt. So besteht nach § 3 Abs 1 Studentenheimgesetz die Verpflichtung eines Studentenheimbetreibers auch nur darin, dass er Heimplätze für Studierende zur Verfügung stellt. Eine hinzutretende Betreuung der Studierenden ist – anders als beispielsweise in den in § 27b KSchG genannten Heimverträgen – nicht vorgesehen. Soweit der Gesetzgeber überhaupt von der Betreuung Studierender spricht (§ 155 Abs 1 BDG; § 49b Abs 1 VBG), betrifft dies ihre hier nicht interessierende fachliche Betreuung durch Universitätslehrer.
[13] 5. Dass die Beklagte als gemeinnütziger Studentenheimbetreiber iSd § 3 Abs 2 Studentenheimgesetz „ soziale Dienste “ erbringt, bedeutet noch nicht, dass die Beklagte auch dem SWÖ-KV unterliegen würde, weil für die Anwendung dieses Kollektivvertrags darüber hinaus erforderlich ist, dass es sich um Dienste „ betreuender Art“ handelt, was auf die von der Beklagten angebotenen Leistungen nicht zutrifft. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass Mietgegenstände in Studentenheimen nach § 1 Abs 2 Z 1 MRG vom Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes ausgenommen sind, ist nicht ersichtlich, welche Bedeutung dies für die Frage haben könnte, welchem Kollektivvertrag die vom Betreiber eines Studentenheims abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse unterliegen.
[14] 6. Der Betrieb eines Studentenheims ist damit kein „ sozialer Dienst präventiver, betreuender oder rehabilitativer Art “, sodass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht dem SWÖ-KV unterliegt. Es war daher die Entscheidung der Vorinstanzen zu bestätigen.
[15]7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.