15Os56/25m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juli 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski und Dr. Sadoghi und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Artner in der Strafsache gegen * S* wegen des Vergehens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1 und 2 zweiter Fall, Abs 3 StGB, AZ 36 Hv 131/24z des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 36 Hv 131/24z des Landesgerichts Wiener Neustadt verletzt das Unterbleiben der gemeinsamen Zustellung der Ausfertigung des noch nicht rechtskräftigen Urteils vom 6. Dezember 2024 mit einer schriftlichen Übersetzung desselben in die türkische Sprache an den Angeklagten § 56 Abs 1 zweiter Satz und Abs 3 StPO.
D ie Zustellung der Urteilsausfertigung wird für unwirksam erklärt und es wird de m Landesgericht Wiener Neustadt aufgetragen, deren neuerliche Zustellung an den Angeklagten samt einer Übersetzung in die türkische Sprache zu veranlassen.
Text
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 6. Dezember 2024, GZ 36 Hv 131/24z23.4, wurde * S* des Vergehens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1 und 2 zweiter Fall und Abs 3 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwölf Monaten sowie zur Zahlung von 44.000 Euro an die Privatbeteiligte M* GmbH verurteilt.
[2] Da der Angeklagte erklärt hatte, der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig zu sein (ON 1.9; ON 15.1), wurde die Hauptverhandlung unter Beziehung einer Dolmetscherin für die türkische Sprache durchgeführt (ON 23.3, 1).
[3] Nach mündlicher Verkündung des Urteils und erteilter Rechtsmittelbelehrung erklärte der nicht durch einen Verteidiger vertretene Angeklagte, „Rechtsmittel“ anzumelden (ON 23.3, 28), womit er einen umfassenden Anfechtungswillen (vgl RISJustiz RS0099951, RS0101920) im Sinn einer Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche zum Ausdruck brachte.
[4] Dem Angeklagten wurde die Urteilsausfertigung nur in deutscher Sprache zugestellt (ON 1.17 samt Zustellnachweis).
[5] Über die vom Angeklagten unausgeführt gebliebene Berufung (ON 1.21) hat das Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
[6] Das Vorgehen des Landesgerichts Wiener Neustadt im Verfahren AZ 36 Hv 131/24z steht – wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht in Einklang.
[7]Gemäß § 56 Abs 1 zweiter Satz und Abs 3 StPO hat ein Angeklagter, der die Verfahrenssprache nicht spricht oder versteht, das Recht auf schriftliche Übersetzung der wesentlichen Aktenstücke, soweit dies zur Wahrung der Verteidigungsrechte und eines fairen Verfahrens erforderlich ist. Die Ausfertigung des noch nicht rechtskräftigen Urteils ist nach § 56 Abs 3 StPO ein solches wesentliches Aktenstück. Ein Angeklagter, der (wie hier) die Verfahrenssprache nicht versteht, hat solcherart das Recht auf schriftliche Übersetzung des noch nicht rechtskräftigen Urteils und auf Zustellung derselben gemeinsam mit der Urteilsausfertigung (RISJustiz RS0132694).
[8] D a s Landesgericht Wiener Neustadt hätte daher – zumal ein Vorgehen nach § 56 Abs 5 und 6 StPO hier nicht in Rede steht – die schriftliche Übersetzung der Urteilsausfertigung in die türkische Sprache und deren Zustellung an den unvertretenen und der Verfahrenssprache nicht mächtigen Angeklagten zu veranlassen gehabt, was unterblieben ist.
[9] Weil bereits die Zustellung der in deutscher Sprache abgefassten Urteilsausfertigung die Frist zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels auslöste (RISJustiz RS0132694 [T1]), wurde eine rechtzeitige Geltendmachung deutlich und bestimmt zu bezeichnender Nichtigkeitsgründe versäumt (§ 489 Abs 1 iVm § 467 Abs 2 StPO).
[10] Da einaus der Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für den Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann, war deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.