9Ob64/25i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Oliver Peschel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch Mag. Simon Wallner Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen 106.590,34 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. April 2025, GZ 14 R 22/25w 36, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Der Antrag auf Unterbrechung des Revisionsverfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C-440/23, European Lotto and Betting und Deutsche Lotto- und Sportwetten , wird abgewiesen.
2. Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte ist ein Unternehmen mit Sitz auf Curaçao und bietet ua auch in Österreich Online-Glücksspiele unter der Domain www.l*.com an. Sie verfügt über keine österreichische Glücksspiellizenz.
[2] Der in Österreich wohnhafte Kläger legte auf dem Spielportal der Beklagten zum Zweck der Spielteilnahme ein dafür erforderliches Nutzerkonto mit Spielguthaben an und spielte dort in seiner Freizeit Black Jack, Roulette und Slot-Spiele. Auf diesem Nutzerkonto wurden sämtliche Zahlungsflüsse, insbesondere die Transferierung der eingelösten Einsätze abgewickelt und Verluste abgezogen. Der Kläger erlitt dabei im Zeitraum 12. 10. 2023 bis 4. 12. 2023 unter Berücksichtigung von Auszahlungen, die er wieder verspielte, einen Verlust von insgesamt 106.590,34 Euro.
[3] Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagte zur Begleichung dieses Verlusts.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[5] 1. Ein vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmangel kann in dritter Instanz nicht mehr erfolgversprechend geltend gemacht werden. Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0042963 [T58]).
[6] 2. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz. Die Beweiswürdigung und die darauf beruhenden Feststellungen der Vorinstanzen sind im Revisionsverfahren nicht mehr anfechtbar (RS0043371).
[7] 3. Feststellungsmängel, bilden nicht den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO, sondern können nur mit dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO geltend gemacht werden (RS0043304). Das Erstgericht hat ausreichende Feststellungen zur Beurteilung des Falls getroffen. Insbesondere fehlen auch keine Feststellungen „zum Thema“ Unionsrechtswidrigkeit.
[8] 4. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung eingehend begründet, warum die vorliegende Zahlungsklage eines Spielers nicht am Bestimmtheitsgebot des § 226 ZPO scheitert. Dabei vertrat es die Ansicht, im Hinblick auf die Vielzahl der Transaktionen des Klägers überspannte es das Gebot der Präzisierung des Vorbringens, forderte man für jeden einzelnen der zahlreichen Glücksspielverträge ein gesondertes, detailliertes Vorbringen.
[9] Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Klagebegehrens zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RS0037874 [T39]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen der Rechtsprechung (vgl 3 Ob 210/24i Rz 3 und 8 Ob 54/25m Rz 8).
[10] 5. Der Argumentation der Revisionswerberin, die Verweigerung eines Rückforderungsanspruchs würde dem Spielerschutz besser gerecht werden, weil ansonsten die Möglichkeit eines „risikolosen Spiels“ bestehe, ist der Oberste Gerichtshof bereits in mehreren Entscheidungen nicht gefolgt (2 Ob 187/24z Rz 7; 7 Ob 16/25s Rz 7 f; 1 Ob 22/25d Rz 6; 8 Ob 54/25m Rz 10). Sie lässt die mit dem Glücksspielgesetz verfolgten ordnungspolitischen und fiskalischen Zwecke außer Acht, die eine absolute Nichtigkeit und beiderseitige Rückforderbarkeit erfordern. Daran ist festzuhalten.
[11] 6. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern, widerspräche dem Zweck der Glücksspielverbote. Bereits mehrmals wurde vom Obersten Gerichtshof festgehalten, dass der Verbotszweck die Rückabwicklung erfordert, wenn sich das Verbot – wie hier – gegen den Leistungsaustausch an sich wendet und es den Schutz der Spieler bewirken soll (3 Ob 17/25h Rz 7 mwN). Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung, dass Spieler ihre verlorenen Einsätze aus verbotenen Glücksspielen zurückverlangen können (RS0134152). Dies gilt im Hinblick auf die Zielsetzung des Glücksspielgesetzes nach gefestigter Rechtsprechung auch dann, wenn der Leistende in Kenntnis der Nichtschuld ist und ihm die Ungültigkeit seiner Verpflichtung bekannt war (7 Ob 16/25s Rz 7 mwN; 3 Ob 17/25h Rz 7), sodass das Argument der Revision, die Forderung erfolge wider Treu und Glauben, keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO begründet.
[12] 7. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (zuletzt ua 8 Ob 54/25m Rz 11 mwN). Die Beurteilung des Berufungsgerichts steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang.
[13] 8. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (vgl 6 Ob 19/25z Rz 9 mwN; 8 Ob 54/25m Rz 12 mwN). Entgegen der Argumentation der Revisionswerberin ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH, C-920/19, Fluctus s.r.o. ua , kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs) zu berufen. Vielmehr sprach der EuGH darin (vgl Rn 58) bloß aus, dass eine gegen Art 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts auch dann nicht angewendet werden dürfe, wenn ein „höheres“ nationales Gericht diese als mit dem Unionsrecht vereinbar ansah, dessen Erwägungen aber offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprachen. Dass und bei welcher nationalen Norm dies hier der Fall gewesen wäre, vermag das Rechtsmittel nicht aufzuzeigen.
[14] 9. Einer Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen zu C-440/23, European Lotto and Betting und Deutsche Lotto- und Sportwetten , bedarf es nicht, weil die dort zu klärenden unionsrechtlichen Fragen – soweit sie nicht ohnehin die spezifisch deutsche Situation betreffen – bereits geklärt erscheinen (vgl 6 Ob 19/25z Rz 10; 2 Ob 187/24z Rz 4, je mwN; 1 Ob 22/25d Rz 9; 6 Ob 70/25z Rz 14; 8 Ob 80/25k Rz 1). Auch der Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war nicht näher zu treten.
[15] Mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.