12Os51/25d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juni 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Setz Hummel LL.M., Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Artner in der Strafsache gegen * D* wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und 2 StGB, AZ 27 Hv 146/23s des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 19. September 2024 (ON 28) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Roitner, zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. September 2024 verletzt im Ausspruch der Anrechnung der erbrachten gemeinnützigen Leistungen § 205 Abs 5 vierter und fünfter Satz StPO.
Text
Gründe:
[1] Die Staatsanwaltschaft Innsbruck legte * D*im Verfahren AZ 27 Hv 146/23s des Landesgerichts Innsbruck mit Strafantrag vom 28. Dezember 2023 (ON 13) ein als das Vergehen des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und 2 StGB beurteiltes Verhalten zur Last, nachdem ein dem Genannten zuvor angebotenes (ON 8) Vorgehen nach (richtig: § 7 Abs 1 Z 2 JGG iVm) § 201 Abs 1 und 4 StPO gescheitert war, weil dieser, obwohl er sich zur Erbringung von 40 Stunden gemeinnütziger Leistungen bereit erklärt hatte (ON 10), nur acht Stunden davon erbrachte (ON 11).
[2]In der Folge scheiterte auch im Hauptverfahren ein diversionelles Vorgehen „in Form der Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 50 Stunden (= 42 Stunden nach Abzug der bereits geleisteten acht Stunden) innerhalb von höchstens sechs Monaten“ (ON 19 S 5 f), weil D* davon nur viereinhalb Stunden erbrachte (ON 24). Letztlich sprach ihn das Landesgericht Innsbruck mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem, gekürzt ausgefertigtem Urteil vom 19. September 2024 (ON 28) des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und 2 StGB schuldig. Der Ausspruch einer Strafe wurde gemäß § 13 Abs 1 JGG unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren vorbehalten; zugleich wurden die erbrachten gemeinnützigen Leistungen „im Umfang von 15 Stunden“ (ON 28 S 2; richtig: 12,5 Stunden [ON 27 S 4]; vgl RIS-Justiz RS0098860 [zur Urteilsangleichung]) auf die Strafe angerechnet.
Rechtliche Beurteilung
[3] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzt dieses Urteil im Ausspruch der Anrechnung das Gesetz:
[4]Gemäß (§ 7 Abs 3 JGG iVm) § 205 Abs 5 vierter Satz StPO sind im Rahmen eines Diversionsverfahrens erbrachte, nicht in Geld bestehende Leistungen bei einer nachträglichen Fortsetzung des Strafverfahrens nicht zu ersetzen, im Fall einer Verurteilung jedoch angemessen auf die Strafe anzurechnen. Nach dem fünften Satz leg cit sind dabei Art und Dauer der Leistung zu berücksichtigen. Die Anrechnung hat förmlich im Strafausspruch (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) zu erfolgen (RIS-Justiz RS0130516; Schroll/Kert , WKStPO § 205 Rz 12/3; Kirchbacher, StPO 15§ 205 Rz 7), der erkennen lassen muss, in welchem Ausmaß die erbrachten gemeinnützigen Leistungen auf die verhängte Strafe anzurechnen sind und damit, welcher konkret verbleibende Strafrest einem allfälligen Vollzug unterliegt (dazu 12 Os 133/15y [mwN]).
[5] Ein auf§ 205 Abs 5 vierter und fünfter Satz StPO gestützter, den genannten Kriterien entsprechender Ausspruch über die Anrechnung erbrachter gemeinnütziger Leistungen auf die Strafe kann daher nur dann erfolgen, wenn eine solche überhaupt bemessen wurde. Dies ist bei einem Urteil, das den Strafausspruch gemäß § 13 Abs 1 JGG vorbehält, gerade nicht der Fall (vgl RIS-Justiz RS0088812, RS0086987 [zu §§ 31 Abs 1, 40 StGB iZm § 13 Abs 1 JGG]), weil der Vorbehalt der Strafe vielmehr den in § 260 Abs 1 Z 3 StPO vorgesehenen Ausspruch über die Strafe vertritt (§ 13 Abs 2 zweiter Satz JGG; Schroll/Oshidariin WK² JGG § 13 Rz 13; Lendl , WKStPO § 260 Rz 41).
[6]Eine solche Anrechnung kommt daher erst bei einem allfälligen nachträglichen Strafausspruch (§§ 15, 16 JGG) in Betracht, wobei diesem – wie dargelegt – nicht nur die Anrechnung dem Grunde nach, sondern auch zu entnehmen sein muss, wie vielen Tagen oder Wochen (Ersatz-)Freiheitsstrafe die erbrachten gemeinnützigen Leistungen entsprechen(vgl 15 Os 53/22s = RZ 2022/21 [ Danek ]).
[7]Indem das Landesgericht Innsbruck mit dem in Rede stehenden Urteil vom 19. September 2024 die erbrachten gemeinnützigen Leistungen „auf die Strafe“ anrechnete, ohne eine solche überhaupt bemessen zu haben, verletzt es § 205 Abs 5 vierter und fünfter Satz StPO (vgl erneut 12 Os 133/15y).
[8]Diese Gesetzesverletzung wirkt nicht zum Nachteil des D*, sodass es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 fünfter und sechster Satz StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 44). Bleibt anzumerken, dass die Anrechnung auf eine gar nicht ausgesprochene Strafe der (deshalb erstmaligen) Anrechnung nach § 205 Abs 5 vierter und fünfter Satz StPO auf eine Strafe im Fall eines nachträglichen Strafausspruchs (§§ 15, 16 JGG) nicht entgegensteht.