JudikaturOGH

2Ob50/25d – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
29. April 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2023 verstorbenen J* zuletzt *, wegen Akteneinsicht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin Y*, vertreten durch GIBEL ZIRM Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Jänner 2025, GZ 45 R 642/24f 46, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Nachlass nach dem 2023 verstorbenen Erblasser wurde seiner Nichte mit rechtskräftigem Beschluss vom 6. 9. 2023 aufgrund des Gesetzes zur Gänze eingeantwortet.

[2] Die Vorinstanzen wiesen einen Antrag der Einschreiterin, ihr Akteneinsicht in den Verlassenschaftsakt zu gewähren, weil sie der Erblasser testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzt habe und sie daher Erbschaftsklage erheben wolle, mangels rechtlichen Interesses ab.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerinzeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[4]1. Die Akteneinsicht im Verlassenschaftsverfahren richtet sich nach § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO. Nach dieser Bestimmung steht den Parteien und dritten Personen mit Zustimmung aller Parteien die volle Akteneinsicht zu. Ohne diese Zustimmung steht dritten Personen das Recht auf Akteneinsicht grundsätzlich nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 219 Abs 2 ZPO zu (2 Ob 21/22k Rz 6 mwN).

[5] 2. Dass die Antragstellerin mangels Abgabe einer Erbantrittserklärung nicht Partei, sondern Dritte ist, zieht der Revisionsrekurs nicht (mehr) in Zweifel.

[6]3. Einem Dritten kann Einsichtnahme und Abschriftnahme von Prozessakten gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, wobei ein allgemeines öffentliches Interesse an Information sowie ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden selbst nicht ausreicht. Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (RS0079198). Liegt die Zustimmung der Parteien – wie hier – nicht vor, ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein rechtliches Interesse des Dritten, der Einsicht begehrt, besteht. Erst wenn dieses bejaht wird, ist die Abwägung vorzunehmen, ob das Recht des Dritten dasjenige der Verfahrensparteien überwiegt (RS0079198 [T6]). Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht muss konkret gegeben sein. Die Einsichtnahme und Abschriftnahme muss Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben und die Kenntnis des betreffenden Akteninhalts muss sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, dass er instandgesetzt wird, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten. Das rechtliche Interesse kann unter den angeführten Voraussetzungen allerdings nur dann anerkannt werden, wenn der Dritte aus dem Akt etwas erfahren will, was er nicht weiß, aber zur Wahrung seiner Interessen wissen muss (RS0037263).

[7]4. Im Rahmen der Prüfung des rechtlichen Interesses hat keine abschließende Beurteilung der Tat- und Rechtsfragen in Bezug auf jenes Verfahren oder jene Rechtslage, das oder die zur Begründung des rechtlichen Interesses angeführt wird, stattzufinden (2 Ob 41/17v Pkt 2.2.).

[8]5. Ob die Voraussetzungen für eine Akteneinsicht Dritter erfüllt sind, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und begründet daher – abgesehen von Fällen grober Fehlbeurteilung – keine erhebliche Rechtsfrage (2 Ob 106/24p Rz 11 mwN).

[9]6. Zwar kann – worauf der Revisionsrekurs auch hinweist – das Fehlen eines rechtlichen Interesses der Antragstellerin an der Akteneinsicht zur Vermeidung einer Vorwegnahme des dafür vorgesehenen Verfahrens über die Erbschaftsklage nicht mit der Unwirksamkeit des sie begünstigenden Testaments begründet werden. Dennoch erweist sich die Verneinung der Akteneinsicht im Ergebnis schon deshalb als nicht korrekturbedürftig, weil die Antragstellerin sowohl über das sie begünstigende Testament als auch den Testamentswiderruf verfügt, sodass sie sich selbst ein Urteil über deren Gültigkeit bilden kann und insoweit die Akteneinsicht zur Erhebung einer Erbschaftsklage nicht benötigt. Auch die mit der Klage zu belangende Person ist ihr bekannt. Der (potentielle) Erbschaftskläger muss zur Wahrung seiner mit der beabsichtigten Klagsführung verbundenen rechtlichen Interessen weder die Höhe des Reinnachlasses (2 Ob 21/22k Rz 14) noch wissen, weshalb er nicht schon im Nachlassverfahren verständigt wurde.