JudikaturOGH

4Ob30/25b – OGH Entscheidung

Entscheidung
Gewährleistungsrecht
06. März 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekurs und Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * KG, *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH, gegen die beklagten Parteien 1. * GmbH Co KG, *, 2. * AG, *, Deutschland, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 13.500 EUR, infolge des Rekurses der klagenden Partei sowie der Revisionen beider Parteien gegen den Beschluss bzw das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. November 2024, GZ 35 R 187/24w 54, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 28. März 2024, GZ 1 C 712/22z 43, als Teilurteil teilweise bestätigt und teilweise abgeändert sowie zum Teil aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die vom Obersten Gerichtshof am 19. Februar 2025 zu 7 Ob 163/24g und am 27. Februar 2025 zu 8 Ob 99/24b gestellten Anträge auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Die Fortsetzung des Verfahrens erfolgt nur auf Antrag.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin kaufte am 26. 11. 2018 um 45.000 EUR von der Erstbeklagten einen von der Zweitbeklagten hergestellten Pkw der Marke Audi A4 Avant 3.0 TDI quattro Sport mit Dieselmotor. Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007. Es ist mit einem Dieselmotor des Typs EA897 der Abgasklasse EU 6 ausgestattet. Beim Fahrzeug ist eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung und ein SCR System eingebaut.

[2] Die Klägerin begehrt 13.500 EUR, also 30 % des Kaufpreises. Im Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut, wodurch die EG Typengenehmigung erschlichen worden sei. Gegenüber der Erstbeklagten stützte die klagende Partei ihr Klagebegehren auf List, Irrtum und Gewährleistung und gegenüber der Zweitbeklagten auf Schadenersatz.

[3] Die Beklagten wandten zusammengefasst ein, dass der Motor EA897 keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte und es dafür auch keinen behördlichen Rückruf gebe. Die klagende Partei habe das Fahrzeug seit dem Kauf im Straßenverkehr uneingeschränkt genutzt.

[4] Das Erstgericht gab der Klage gegen die Erstbeklagte zur Gänze statt, hinsichtlich der Zweitbeklagten nur im Ausmaß von 4.500 EUR (= 10 % des Kaufpreises).

[5] Das Berufungsgericht hob das Urteil hinsichtlich der Erstbeklagten (mangels ausreichender Feststellungen zum Umfang der zugesprochenen Preisminderung) mit Beschluss auf und trug dem Erstgericht diesbezüglich eine neuerliche Entscheidung auf. Hinsichtlich der Zweitbeklagten wurde das Ersturteil (abgesehen von der Kostenentscheidung) mit Teilurteil bestätigt.

[6] Das Berufungsgericht sprach aus, dass sowohl der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss als auch die ordentliche Revision gegen das Teilurteil zulässig ist.

[7] Die Klägerin bekämpft den Aufhebungsbeschluss mit Rekurs und die Abweisung des Mehrbegehrens hinsichtlich der Zweitbeklagten mit Revision . Sie strebt die vollumfängliche Stattgabe der Klage an. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Mit ihrer Revision bekämpft die Zweitbeklagte das Berufungsurteil und begehrt die Abweisung der Klage. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Beide Streitteile begehren, die Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Im Verfahren zu 7 Ob 163/24g hat der Oberste Gerichtshof dem EuGH gemäß Art 267 AEUV in einer vergleichbaren Konstellation folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Sind Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 3 Durchführungs VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass bei einem unter die VO 715/2007/EG fallenden Dieselfahrzeug, in dem Systeme der Abgasrückführung (AGR System) und Abgasnachbehandlung (SCR System) verbaut sind, für die Qualifikation als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist, ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandener Systeme der Abgasrückführung und nachbehandlung) verringert wird, oder darauf, ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktionsteile (zB „Thermofenster“, SCR Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird?

b) Sind Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteils, sei es der Gesamtheit des Systems (siehe Frage 1. a) – allein entscheidend ist, oder ist zusätzlich erforderlich, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird?

2. Für den Fall, dass auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit abzustellen ist:

a) Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Behauptungslast dahin auszulegen, dass der Erwerber eines Dieselfahrzeugs seiner Behauptungslast zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspricht, wenn er vorbringt, dass ein Konstruktionsteil (zB „Thermofenster“) vorliegt, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, und trifft dann den Hersteller die Behauptungslast dafür, dass das Gesamtsystem insgesamt zu keiner Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, oder muss der Käufer auch vorbringen, dass keine anderen Konstruktionsteile vorliegen, die den nachteiligen Effekt ausgleichen?

b) Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG im Fall der Behauptungslast des Käufers für das Gesamtsystem und der daraus im nationalen Recht resultierenden Beweislast dahin auszulegen, dass selbst eine nationale Regelung, die den Hersteller in diesem Fall zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet, dennoch nicht dem Unionsrecht, insbesondere dem Effektivitätsgrundsatz, entspricht, sodass deshalb insoweit unionsrechtlich der Hersteller die Beweislast zu tragen hat?

3. Sind Art 3 Nr 10, Art 4 Abs 2, Art 5 Abs 1 und Abs 2 VO 715/2007/EG (iVm Art 3 Durchführungs VO 692/2008/EG) dahin auszulegen, dass die Bauteile eines Dieselfahrzeugs, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein müssen, dass die Einhaltung der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte nicht nur bei den vorgeschriebenen Tests im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens (hier: Neuer Europäischer Fahrzyklus Test), sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeugs (im Realbetrieb) gewährleistet ist?

In einem weiteren Verfahren zu 8 Ob 99/24b wurden dem EuGH wiederum folgende Fragen vorgelegt:

1.a. Sind Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 3 Durchführungs VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass bei einem unter die VO 715/2007/EG fallenden Fahrzeug mit Dieselmotor, in dem

ein Stickoxidspeicherkatalysator samt Dieselpartikelfilter und weiters

nur ein (in seiner Steuerung und Wirksamkeit von verschiedenen Faktoren wie Umgebungstemperatur, Leistungsanforderung, Gaspedalstellung, Drehmoment, Seehöhe, Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft, Fahrverhalten des Fahrers sowie Temperatur am und im Triebwerk und im Abgasrückführungssystem selbst abhängiges) System der Abgasreduktion (AGR System) verbaut ist, welches

ein „Thermofenster“ (eine temperaturabhängige Reduktion der AGR Rate), bezüglich dessen zwar feststeht, dass die AGR Rate bei Temperaturen unter 24°C und über +70°C reduziert wird, allerdings nicht feststellbar ist, ob eine Reduktion der AGR Rate auch innerhalb des Temperaturbereiches von 24°C bis +70°C stattfindet,

eine „Höhenschaltung“ (eine Reduktion der AGR Rate in einer Betriebshöhe von über 1.000 Metern über dem Meeresspiegel), und

eine „Taxischaltung“ (eine Reduktion der AGR Rate bei einem Betrieb im Leerlauf über einen Zeitraum von mehr als 15 Minuten)

aufweist, für die Qualifikation als Abschalteinrichtung im Sinne von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist,

i. ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandenen Systeme der Abgasrückführung und nachbehandlung) verringert wird,

oder darauf,

ii. ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktions-teile (zB „Thermofenster“, SCR Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird?

1.b. Sind Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass

i. es sich bei der Wendung in Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG „... unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind …“

um einen Teil der Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung, oder

um eine diesbezügliche Ausnahmeregelung vom Bestehen einer Abschalteinrichtung oder Verbotsausnahme, welche erst beim Nachweis des Nichtvorliegens solcher Bedingungen die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung bewirkt,

handelt?

ii. für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eines Dieselfahrzeuges unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteiles, sei es der Gesamtheit des Systems (siehe Frage 1.a.) – allein entscheidend ist, oder ist zusätzlich erforderlich, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird?

iii. eine Abschalteinrichtung jedenfalls dann zulässig im Sinne des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ist, wenn unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeuges die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eines Dieselfahrzeuges zwar verringert wird, jedoch die in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden?

2. Für den Fall, dass im Sinne der zu Punkt 1. gestellten Fragen auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit abzustellen ist:

2.a. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Behauptungslast dahin auszulegen, dass der Erwerber eines Dieselfahrzeuges seiner Behauptungslast zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspricht, wenn er vorbringt, dass ein Konstruktionsteil (zB „Thermofenster“) vorliegt, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, und trifft dann den Fahrzeughersteller die Behauptungslast dafür, dass das Gesamtsystem insgesamt zu keiner Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, oder muss der Käufer auch vorbringen, dass keine anderen Konstruktionsteile vorliegen, die den nachteiligen Effekt ausgleichen?

2.b. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Beweislast dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der den klagenden Käufer die Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung und somit nicht nur dafür trifft, dass ein Konstruktionsteil im Fahrzeug verbaut ist, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, sondern auch dafür, dass keine anderen Konstruktionsteile verbaut sind, die diesen nachteiligen Effekt ausgleichen, aber der beklagte Fahrzeughersteller zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhaltes verpflichtet ist – wobei die Konsequenz einer Nicht-Mitwirkung nur darin liegt, dass das Gericht diesen Umstand in seine freie Beweiswürdigung einfließen lässt –, gegen Unionsrecht verstößt, sodass bei der Feststellung des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit eine Zuweisung der Beweislast hierfür an den beklagten Fahrzeughersteller unionsrechtlich geboten ist?

2.c. Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass die Behauptungs und Beweislast für den konkreten Temperaturbereich, in dem eine im Fahrzeugmotor vorhandene Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters nicht aktiv ist, den Fahrzeughersteller trifft?

3.a. Sind Art 3 Nr 10, Art 4 Abs 2, Art 5 Abs 1 und Abs 2 VO 715/2007/EG in Verbindung mit Art 3 Durchführungs VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass die Bauteile eines Dieselfahrzeuges, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein müssen, dass die Einhaltung der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte nicht nur bei den vorgeschriebenen Tests im Rahmen des jeweils anzuwendenden Typgenehmigungsverfahrens (hier: Neuer Europäischer Fahrzyklus-Test), sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeuges (im Realbetrieb) gewährleistet ist?

3.b. Falls die Frage 3.a. zu bejahen ist:

Ist Art 5 Abs 2 in Verbindung mit Art 5 Abs 1 und Art 4 Abs 3 VO 715/2007/EG dahin auszulegen, dass nicht der klagende Käufer, sondern der beklagte Fahrzeughersteller die Beweislast für die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb trägt?

[11] Die Beantwortung dieser Fragen ist auch im vorliegenden Fall relevant.

[12] Das Berufungsgericht ist bereits mit Blick auf die zur temperaturgesteuerten Abgasrückführung (Thermofenster) getroffenen Feststellungen (bzw Negativfeststellungen) von einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen.

[13] Dem treten die Beklagten ua mit Hinweis auf die jüngere Rechtsprechung entgegen, dass das Gesamtsystem relevant sei. Es sei der Kompensationseffekt des SCR Katalysators bzw des NOx Speicherkatalysators (NSK) in Fahrzeugen mit aktiver Abgasnachbehandlung zu beachten. Aus einer Reduktion im Rahmen des AGR Systems allein könne nicht auf eine Minderung der Funktion des Emissionskontrollsystems als Ganzes geschlossen werden. Darüber hinaus werfen die Beklagten Fragen zur Verteilung der Beweislast auf.

[14] Die im gegenständlichen Verfahren zu klärenden Fragen sind auch Thema der oben zitierten Vorabentscheidungsersuchen. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Es ist daher zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung über die gegen die Beklagten geltend gemachten Ansprüche bis zur Entscheidung des EuGH über die bereits gestellten Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Verfahren zu unterbrechen ( RS0110583 ).

[15] Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren nur auf Antrag einer Partei fortgesetzt werden. Eine amtswegige Fortsetzung ist nicht erforderlich, weil diese der Disposition der Parteien unterliegt. Diese können daher zum gegebenen Zeitpunkt zunächst selbst ihre Schlüsse aus der dann vorliegenden Vorabentscheidung ziehen (4 Ob 211/08w; 4 Ob 217/17s; 2 Ob 2/23t ).