JudikaturOGH

2Ob2/23t – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. März 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon. Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Parzmayr, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 11.463 EUR sA sowie Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 19. Mai 2022, GZ 2 R 44/22t 28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 28. Dezember 2021, GZ 12 C 148/21w 21, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 17. Februar 2021 beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C 100/21 des Europäischen Gerichtshofs behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Die Fortsetzung des Revisionsverfahrens erfolgt nur auf Antrag.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin macht aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes gegen die beklagte Herstellerin Ansprüche aufgrund des Erwerbs eines Kraftfahrzeugs geltend, dessen Motor mit einer Vorrichtung zur Manipulation der Abgaswerte ausgestattet war. Die Beklagte habe vorsätzlich und absichtlich Fahrzeuge in Verkehr gebracht, die im Auslieferungszeitpunkt weder typengenehmigungsfähig noch zulassungsfähig gewesen seien. Die Klägerin habe einen Schaden erlitten, weil sie ein überteuertes Fahrzeug erworben habe. Als schädigender Dritter hafte die beklagte Partei für den um 30 % überteuerten Kaufpreis.

Rechtliche Beurteilung

[2] Mit Ihrer Revision bekämpft die Klägerin die Abweisung des Leistungsbegehrens.

[3] Vor dem Europäischen Gerichtshof ist zur Zahl C 100/21 (QB gegen Mercedes-Benz Group AG ) ein Verfahren über ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (Deutschland) anhängig, das deliktische Schadenersatzansprüche von Fahrzeugkäufern gegen die Fahrzeugherstellerin wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zum Gegenstand hat. Das Landgericht Ravensburg legte dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Fragen vor:

1. Haben Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 auch die Zielrichtung, die Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen zu schützen? Wenn ja:

2. Zählt dazu auch das Interesse eines individuellen Fahrzeugerwerbers, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht konform ist, insbesondere kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist?

Wenn die Vorlagefrage 1 verneint wird:

3. Ist es unvereinbar mit Unionsrecht, wenn ein Erwerber, der ungewollt ein vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verkehr gebrachtes Fahrzeug gekauft hat, zivilrechtliche deliktische Ansprüche gegenüber dem Fahrzeughersteller auf Ersatz seines Schadens, insbesondere auch einen Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, nur ausnahmsweise dann geltend machen kann, wenn der Fahrzeughersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat? Wenn ja:

4. Ist es unionsrechtlich geboten, dass ein zivilrechtlicher deliktischer Ersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller bei jeglichem schuldhaften (fahrlässigen oder vorsätzlichen) Handeln des Fahrzeugherstellers in Bezug auf das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist, gegeben ist?

[…]

[4] Diese Fragestellungen sind auch für die Beurteilung des im vorliegenden Fall geltend gemachten Schadenersatzanspruchs relevant.

[5] Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Es ist daher zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das bereits gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Revisionsverfahren zu unterbrechen (RS0110583).

[6] Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren nur auf Antrag einer Partei fortgesetzt werden. Eine amtswegige Fortsetzung ist nicht erforderlich, weil diese der Disposition der Parteien unterliegt. Diese können daher zum gegebenen Zeitpunkt zunächst selbst ihre Schlüsse aus der dann vorliegenden Vorabentscheidung ziehen (4 Ob 211/08w; 4 Ob 217/17s).

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