JudikaturOGH

8Ob156/24k – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann-Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch Dr. Peter Hauser, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. R*, und 2. J*, beide vertreten durch Dr. Stefan Rieder, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 23.785,27 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. Oktober 2024, GZ 1 R 110/24p-24, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. Juli 2024, GZ 5 Cg 140/23v-17, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

D er Revision wird nicht Folge gegeben .

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 2.071,34 EUR (darin 345,24 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Erstbeklagte bezieht eine Ausgleichszulagenpension von 1.087,56 EUR, der Zweitbeklagte eine solche von 1.155,84 EUR, dies jeweils vierzehn Mal j ährlich . Die Beklagten sind Lebensgefährten und bewohnen eine Mietwohnung, für die sie inklusive Betriebskosten 840,65 EUR monatlich bezahlen. Ihre Ausgaben für Lebensmittel, Kleidung, Versicherungsprämien und Strom betragen 544,64 EUR monatlich.

[2] Die Beklagten hatten bei der Klägerin bereits offene Kreditverbindlichkeiten von 18.774,52 EUR, als sie sich an ihren Bankberater wandten, um einen weiteren Kredit zu erhalten. Das Computerprogramm der Klägerin, in welches die Daten der Beklagten eingetragen wurden, errechnete für die Erstbeklagte ein frei verfügbares Einkommen von 218 EUR monatlich und für den Zweitbeklagten eines von 231 EUR monatlich. Den Beklagten wurde nicht mitgeteilt, dass die dieser Berechnung zugrunde liegenden Lebenshaltungskosten von 665 EUR für beide Kreditnehmer nicht der Realität entsprechen müssen. Darüber hinaus führte die Klägerin Abfragen bei Kreditschutzverbänden durch, die keine Negativeintragungen ergaben.

[3] Die Klägerin gewährte den Beklagten daraufhin am 30. 8. 2022 einen Kredit über 23.274,52 EUR, wobei eine Laufzeit von 84 Monaten und monatliche Rückzahlungen von 379 EUR vereinbart wurden. Ein Teilbetrag von 4.500 EUR wurde ausbezahlt und von den Beklagten im Casino und für Lokalbesuche ausgegeben, während der Restbetrag zur Abdeckung der bestehenden Kreditverbindlichkeiten diente. Schon im Jänner 2023 gerieten die Beklagten mit den Rückzahlungen in Verzug. Ab März 2023 leisteten sie keine Zahlungen mehr.

[4] Die Klägerin begehrt 23.785,37 EUR sA an aushaftenden Kreditverbindlichkeiten zuzüglich 2.226,14 EUR an Inkassospesen.

[5] Die Beklagtenhielten dem Klagebegehren eine Schadenersatzforderung in der Höhe des Klagsbetrags entgegen. Die Klägerin habe gegen § 7 Abs 1 VKrG verstoßen, weil sie die Kreditwürdigkeit der Beklagten nicht überprüft und die Beklagten nicht auf ihre mangelnde Kreditwürdigkeit hingewiesen habe, woraufhin die Beklagten den Kreditvertrag nicht abgeschlossen hätten.

[6] Das Erstgerichtsprach aus, dass die Klagsforderung zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, und gab der Klage statt. Die Klägerin habe die Kreditwürdigkeit der Beklagten hinreichend geprüft und keine erheblichen Zweifel daran haben müssen, dass die Beklagten aufgrund ihres Einkommens in der Lage sein würden, ihre Pflichten aus dem Kreditvertrag zu erfüllen. Es habe daher keine Veranlassung für eine Warnung nach § 7 Abs 2 VKrG bestanden. Die Beauftragung eines Inkassobüros sei notwendig und zweckmäßig gewesen.

[7] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dassdie Nebenforderung von 2.226,14 EUR abgewiesen, die klagsstattgebende Entscheidung des Erstgerichts über die Hauptforderung aber bestätigt wurde. Selbst wenn das Einkommen des Kreditnehmers nicht über das Existenzminimum hinausgehe, sei ein Kreditgeber nach § 7 Abs 2 VKrG nur dann zur Warnung verpflichtet, wenn Zahlungsunfähigkeit drohe. Da die Beklagten nach dem Kreditvertrag solidarisch hafteten, komme es nicht darauf an, ob jeder Einzelne von ihnen in der Lage wäre, den Kredit auch alleine zurückzuzahlen. Die Klägerin habe aber keinen Anspruch auf Ersatz der Inkassokosten, weil sie die Zweckmäßigkeit der Beauftragung eines Inkassobüros nicht ausreichend dargelegt habe.

[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die Frage zulässig sei, ob eine Warnpflicht besteht, wenn ein solidarisch haftender Kreditnehmer den Kreditbetrag nicht alleine zurückzahlen kann.

[9] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit welcher sie die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens anstreben ; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin beantragt die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11]Die Revision ist im Hinblick auf die Frage der Voraussetzungen der Warnpflicht des Kreditgebers nach § 7 Abs 2 VKrG zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[12]1. Nach § 7 Abs 1 VKrG hat der Kreditgeber vor Abschluss des Kreditvertrags die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers anhand ausreichender Informationen zu prüfen. Wenn diese Prüfung erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Verbrauchers ergibt, seine Pflichten aus dem Kreditvertrag vollständig zu erfüllen, hat der Kreditgeber den Verbraucher nach § 7 Abs 2VKrG auf diese Bedenken gegen seine Kreditwürdigkeit hinzuweisen. Diese vorvertragliche Verpflichtung des Kreditgebers wurde in Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge geschaffen und soll den Verbraucher vor der Gefahr der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit schützen ( EuGH C 565/12, LCL Le Crédit Lyonnais SA , Rz 42; C 679/18, OPR-Finance s.r.o. , Rz 2 1 ).

[13]2. Nach den Materialien zum Verbraucherkreditgesetz ist „Kreditwürdigkeit“ iSd § 7 VKrG dahin zu verstehen, dass der Verbraucher bei einer ex-ante-Betrachtung voraussichtlich in der Lage sein wird, seine Zahlungspflichten aus dem Kreditvertrag vollständig zu erfüllen, ohne dadurch an den Rand seiner wirtschaftlichen Existenz gedrängt zu werden (ErlRV 650 BlgNR 24. GP 17). Es wurde deshalb die Auffassung vertreten, dass eine Warnpflicht des Kreditgebers bereits dann zu bejahen sei, wenn dem Verbraucher – etwa wegen des Verzichts auf soziale Aktivitäten – der Verlust seines „sozial adäquaten Mindeststandards“ droh t, der signifikant über dem Existenzminimum liege und durch die Kreditaufnahme nicht beeinträchtigt werden dürfe ( Wendehorst, Was ist Bonität? Zum Begriff der „Kreditwürdigkeit“ in § 7 VKrG, in Blaschek / Habersberger , Eines Kredites würdig? [2011] 19 [25]). Die Bonitätsprüfung soll deshalb auch n egativ ausfallen können , wenn keine Zahlungsunfähigkeit droht ( Zöchling-Jud in Wendehorst / Zöchling-Jud, Verbraucherkreditrecht [2010] § 7 VKrG Rz 7). Eine derart weit reichendeWarnpflicht lässt sich allerdings mit dem Wortlaut des § 7 VKrG nicht vereinbaren und wird deshal b von der herrschenden Ansicht abgelehnt ( Pesek , Der Verbraucherkreditvertrag [2012] 116 ff; ders in Fenyves / Kerschner / Vonkilch , Klang 3 § 7 V K rG Rz 8 f; St. Foglar-Deinhardstein , Die Bonitätsprüfung beim Verbraucherkredit [2013] Rz 222 ff; Heinrich , Anforderungen an die Kreditwürdigkeitsprüfung im Verbraucherrecht, JBl 2014 , 363 [367], Kellner, Die Kreditwürdigkeitsprüfungen nach § 7 VKrG und § 9 HIKrG im Vergleich, ÖBA 2017, 307 [309] ).

[14]3. Nach einer anderen Auffassung soll der Kreditgeber im Hinblick auf den Schutzzweck des § 7 VKrG immer dann zur Warnung verpflichtet sein, wenn d em Verbraucher durch den Abschluss des Kreditvertrags das Herabsinken unter das exekutionsfreie Vermögen droht ( Heinrich in Schwimann / Kodek 5§ 7 VKrG Rz 7 , dies , Bonitätsprüfung im Verbraucherkreditrecht [2014] 91 ff; dies , Anforderungen an die Kreditwürdigkeitsprüfung im Verbraucherrecht, JBl 2014, 363 [367 f]). Dass ein K reditnehmer mit einem Einkommen im Bereich desnach § 291a EO unpfändbaren Existenzminimums auskommen m uss , rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, dass er von vornherein nicht in der Lage wäre, einen ih m gewährten Kredit zurückzuzahlen ( Leupold / Ramharter , Die Verletzung der Pflicht zur Warnung vor mangelnder Kreditwürdigkeit nach dem Verbraucherkreditgesetz – Europarechtliche Grundlagen und zivilrechtliche Konsequenzen, ÖBA 2011, 476). Besonders wenn der Kredit der Lebenshaltung, also etwa dem Ankauf einer Eigentumsw ohnung dient, scheint es unproblematisch, wenn das frei verfügbare Einkommen unter das Existenzminimum sinkt, das j a gerade auch solche Ausgabenabdecken soll (zur Anschaffung eines Fahrzeugs 6 Ob 80/21i) . Der bloße Umstand, dass das Einkommen de s Kreditnehmers im Bereich des Existenzminimums gelegen ist, begründet deshalb für sich genommen noch keine Warnpflicht des Kreditgebers nach § 7 Abs 2 VKrG.

4. Mitunter wird die Auffassung vertreten, dass für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit und die daran anknüpfende Warnpflicht auf den Zweck des Kredits abzustellen sei. So wäre bei der Finanzierung einer Urlaubsreise ein strengerer Maßstab anzulegen als bei der Kreditaufnahme zum Ankauf einer Eigentumswohnung ( Zöchling-Jud in Wendehorst / Zöchling-Jud, Verbraucherkreditrecht [2010] § 7 VKrG Rz 10; dies, Die neue Bonitätsprüfung nach § 7 VKrG, in Dullinger / Kaindl , Bank- und Kapitalmarktrecht aktuell, Jahrbuch 2010/2011, 46 [49]; Dehn in Apathy / Iro / Koziol , Bankvertragsrecht 2IV [2012] Rz 2/55). Dass sich die Warnpflicht auch auf die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit einer Kreditaufnahme erstrecken würde, ergibt sich aber weder aus den Vorgaben der Richtlinie 2008/48/EG noch aus § 7 VKrG, wonach nur die Zahlungsfähigkeit des Verbrauchers zu überprüfen ist ( Heinrich , Bonitätsprüfung im Verbraucherkreditrecht [2014] 92 f; dies , Anforderungen an die Kreditwürdigkeitsprüfung im Verbraucherrecht, JBl 2014 , 363 [367]). Auch ist dem Kreditgeber der Zweck der Kreditaufnahme oftmals gar nicht bekannt und es trifft ihn auch keine Pflicht, den Verbraucher darüber zu befragen ( Pesek in Fenyves / Kerschner / Vonkilch , Klang 3§ 7 VKrG Rz 12; St. Foglar-Deinhardstein , Die Bonitätsprüfung beim Verbraucherkredit [2013] Rz 236). Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass die Warnpflicht des Kreditgebers nach Art 7 VKrG nicht darauf abzielt, den Verbraucher zu bevormunden ( 8 Ob 76/16h ; 6 Ob 80/21i ). Letztlich muss die Frage, wie ein Verbraucher sein frei verfügbares Einkommen verwendet, seiner eigenverantwortlichen Entscheidung im Rahmen seiner individuellen Lebensgestaltung überlassen bleiben, ohne dass er hier einer Warnung des Kreditgebers bedarf. Dies gilt auch, wenn die Kreditsumme – wie im vorliegenden Fall – im Casino und für Lokalbesuche ausgegeben wird.

[15]5. Um die Fähigkeit des Verbrauchers, seine Pflichten aus dem Kreditvertrag vollständig zu erfüllen, beurteilen zu können, sind die laufenden Einkünfte und sonstigen liquiden Mittel des Verbrauchers heranzuziehen und mit den Kosten des Kredits und der laufenden Rückzahlungsverpflichtung in Relation zu setzen (6 Ob 80/21i). Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 6 Ob 80/21i ausgesprochen, dass es bei solidarisch haftenden Kreditnehmern im Hinblick auf die Regelung in § 9 Abs 5 HIKrG auch bei der Prüfung nach § 7 VKrG bloß darauf ankommt, ob die Kreditnehmer den Kredit gemeinsam zurückzahlen können, weil sie sich gerade nicht zur alleinigen Rückzahlung verpflichtet haben (RS0133697; zustimmend St. Foglar-Deinhardstein, Anm zu 6 Ob 80/21i, ÖBA 2021/2780 , 802 ff; Tamerl , Zur Kreditwürdigkeit von Solidarschuldnern, ZFR 2021, 590 [592 ff] und Hofer , Bonitätsprüfung bei gemeinsamen Kreditnehmern, VbR 2022, 38 [39]). Die Revisionswerber nennen keine Gründe, die ein Abgehen von dieser Rechtsprechung rechtfertigen würden.

[16] 6. Nach den Feststellungen des Erstgerichts verfügen die Beklagten – selbst ohne Berücksichtigung der Sonderzahlungen – gemeinsam über ein regelmäßiges monatliches Einkommen von 2.243,40 EUR, dem Ausgaben für Wohnung und Lebensunterhalt von lediglich 1.385,29 EUR gegenüberstehen, sodass im Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags kein Grund zur Annahme bestand, dass sie die monatlichen Raten von 379 EUR nicht aufbringen können. Der Klägerin kann demnach keine Verletzung ihrer Warnpflicht vorgeworfen werden.

[17] 7 . Die Kostenentscheidungberuht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.