3Ob18/24d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Dr. Walter Lenfeld und andere Rechtsanwälte in Landeck, gegen die beklagte Partei I* GmbH, *, vertreten durch Maggi Kathollnig Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 50.000 EUR sA und Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 7. Dezember 2023, GZ 2 R 175/23m 39, womit der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Oktober 2023, GZ 67 Cg 96/21h 32, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Das mit Beschluss vom 28. Februar 2024, 3 Ob 18/24d, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.
II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:
„Die Einrede der internationalen Unzuständigkeit des Erstgerichts wird verworfen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 12.794 EUR (hierin enthalten 2.132,33 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits über die Einrede der internationalen Unzuständigkeit binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die in Österreich ansässige Klägerin beauftragte die in Italien situierte Beklagte mit der Planung und Durchführung eines Bauprojekts in Bezug auf das von ihr (im Sprengel des Erstgerichts) betriebene Wirtshaus. Der mündlich erteilte Auftrag beinhaltete auch die örtliche Bauaufsicht. Eine Vereinbarung über den Erfüllungsort wurde nicht getroffen.
[2] Die von der Klägerin beauftragten Leistungen gliederten sich in die Planungs- und die Ausführungsphase. Alle Planungen und Berechnungen in der Planungsphase, die sich über ein halbes Jahr erstreckte, fanden ausschließlich im Büro der Beklagten in Italien statt. In dieser Planungsphase gab es insgesamt drei zweistündige Termine des Bauleiters mit der Klägerin vor Ort. Die örtliche Bauaufsicht begann mit der Bauausführungsphase vor Ort, in der auch begleitend geplant wurde und die einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen umfasste. In Summe entfielen 60 % des Auftrags auf die Planungsphase und 40 % auf die Bauausführungsphase; davon betrafen allerdings wiederum 80 bis 90 % Arbeiten im Büro am Sitz der Beklagten und nur 10 bis 20 % Leistungen vor Ort. In der Bauausführungsphase fanden zwischen den Streitteilen ca 15 Termine und Besprechungen vor Ort statt, die jeweils rund zwei Stunden beanspruchten. Die vor Ort gewonnenen Informationen wurden im Anschluss im Büro der Beklagten in Italien mittels E-Mails, Telefonaten etc abgearbeitet.
[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz wegen mangelhaft erbrachter (Planungs )Leistungen sowie die Feststellung ihrer Haftung für alle künftigen Schäden.
[4] Die Beklagte wendete insbesondere die fehlende internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ein.
[5] Das Erstgericht erklärte sich (im zweiten Rechtsgang) für international sowie örtlich und sachlich unzuständig und wies die Klage zurück. Da der Erfüllungsort weder vereinbart worden sei noch sich aus tatsächlichen Kriterien des Vertrags bestimmen lasse, komme es für die nach Art 7 Nr 1 lit b EuGVVO 2012 zu beurteilende internationale Zuständigkeit auf den Ort der überwiegenden tatsächlichen Leistungserbringung an. Dabei komme dem Zeitfaktor eine zu beachtende Rolle zu. Angesichts des sehr deutlichen Überwiegens der in Italien erbrachten Leistungen der Beklagten sei nicht von einem Erfüllungsort in Österreich auszugehen.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Im – hier vorliegenden – Fall der Erbringung von Dienstleistungen in mehreren Mitgliedstaaten sei für die Entscheidung über alle Klagen aus dem Vertrag das Gericht (international) zuständig, in dessen Sprengel sich der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung befinde. Bei der Prüfung des Erfüllungsorts sei auf die charakteristische Leistung abzustellen; dies seien hier einerseits die Planungsarbeit und andererseits auch die vor Ort zu erbringenden Leistungen im Zusammenhang mit der Durchführung des Bauprojekts, den Besprechungen vor Ort, der Baustellenkoordination, der örtlichen Bauaufsicht etc. Für die Beurteilung, ob die Leistungen überwiegend in Österreich oder in Italien erbracht worden seien, komme auch dem Zeitfaktor eine zu beachtende Rolle zu. Maßgebend sei aber auch, welchen Leistungen in einer Gesamtschau der Schwerpunkt der Tätigkeit zukomme. Nach den Feststellungen ergebe sich ein sehr deutliches zeitliches Überwiegen der von der Beklagten in Italien erbrachten Leistungen. Bei einem derart deutlichen Überwiegen der Leistungserbringung in Italien könne auch in einer Gesamtschau der Schwerpunkt der Tätigkeit der Beklagten schon deshalb nicht zur Feststellung eines einheitlichen Erfüllungsorts in Österreich führen, weil nicht nur die in Österreich erbrachten Leistungen, sondern auch die (zeitlich weit überwiegenden) Planungsleistungen und Berechnungen in Italien für das Bauprojekt von entscheidender Bedeutung gewesen seien.
[7] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob es für die Ermittlung des Erfüllungsorts nach Art 7 EuGVVO 2012 bei Planungsleistungen für ein Bauwerk auf den Ort ankomme, an dem das Bauwerk ausgeführt werde; diese Frage sei in der Entscheidung 4 Ob 140/18v ausdrücklich offen gelassen worden.
[8] Mit ihrem Revisionsrekurs strebt die Klägerin die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin an, dass die Unzuständigkeitseinrede verworfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Zu I. :
[10] 1. Der Senat hat das vorliegende Revisionsrekursverfahren mit Beschluss vom 28. Februar 2024, 3 Ob 18/24d, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof zu 1 Ob 73/23a gestellten Antrag nach Art 267 AEUV unterbrochen und angeordnet, dass das Verfahren nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt werden wird.
[11] 2. Die Entscheidung des EuGH vom 28. Februar 2024, C 526/23, VariusSystems digital solutions GmbH gegen GR, Inhaberin des Unternehmens B G , liegt vor. Das Revisionsrekursverfahren ist daher fortzusetzen.
Zu II.:
[12] 1. Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und nach dem Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens auch berechtigt .
[13] 2. Der erste Senat ersuchte den EuGH mit Beschluss vom 13. Juli 2023 zu 1 Ob 73/23a um Vorabentscheidung zur Frage: „Ist Art 7 Nr 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass sich bei einer Klage aus Vertrag der Erfüllungsort für die Entwicklung und den laufenden Betrieb eines auf die individuellen Bedürfnisse einer im Mitgliedstaat A (hier: Deutschland) ansässigen Bestellerin ausgerichteten Software an dem Ort befindet
a) an dem die hinter der Software stehende geistige Schöpfung ('Programmierung' durch das im Mitgliedstaat B (hier: Österreich) ansässige Unternehmen erbracht wird, oder
b) an dem die Software die Bestellerin erreicht, also abgerufen und zum Einsatz gebracht wird? “
[14] 3. Der EuGH hat diese Frage mit Urteil vom 28. Februar 2024, C 526/23, VariusSystems digital solutions GmbH gegen GR, Inhaberin des Unternehmens B G , wie folgt beantwortet:
„Art 7 Nr 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass 'Erfüllungsort' eines Vertrags über die Entwicklung und den anschließenden Betrieb einer Software, die auf die Bedürfnisse eines Bestellers ausgerichtet ist, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als das für die Schöpfung, Erstellung und Programmierung dieser Software verantwortliche Unternehmen der Ort ist, an dem die Software den Besteller erreicht, also abgerufen und eingesetzt wird.“
4. Für den hier zu beurteilenden Fall ist aus dieser Vorabentscheidung Folgendes abzuleiten:
[15] 4.1. Auch wenn die Beklagte den überwiegenden Teil ihrer (geistigen) Leistungen (Planungen und Berechnungen) an ihrem Sitz in Italien erbracht hat, war diese Tätigkeit doch auf das konkrete Bauprojekt (Wirtshaus) der Klägerin ausgerichtet, weil die beauftragten Planungsleistungen vereinbarungsgemäß bei Umsetzung dieses Bauprojekts samt der geschuldeten örtlichen Bauaufsicht eingesetzt (verwendet) werden sollten, wie dies auch tatsächlich geschehen ist.
[16] 4.2. Als Erfüllungsort des Vertrags zwischen den Streitteilen ist daher jener Ort anzusehen, an dem sich das Bauwerk der Klägerin befindet, auf das sich die (Planungs )Leistungen der Beklagten bezogen.
[17] 5. Da somit die internationale (wie auch die sachliche und örtliche) Zuständigkeit des Erstgerichts zu bejahen ist, ist die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten zu verwerfen.
[18] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat im Zwischenstreit über die internationale Unzuständigkeit obsiegt, weshalb die Beklagte ihr die dem Zuständigkeitsstreit zuzuordnenden Kosten (konkret die Kosten der – nach Einschränkung des Verfahrens auf den Zuständigkeitsstreit abgehaltenen – Tagsatzungen vom 19. Oktober 2022 und vom 2. August 2023, der Rekursbeantwortung im ersten Rechtsgang, des Rekurses im zweiten Rechtsgang und des Revisionsrekurses) zu ersetzen hat.