3Ob18/24d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Dr. Walter Lenfeld und andere Rechtsanwälte in Landeck, gegen die beklagte Partei I* GmbH, *, Italien, vertreten durch Maggi Kathollnig Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 50.000 EUR sA und Feststellung, aus Anlass des Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 7. Dezember 2023, GZ 2 R 175/23m 39, womit der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Oktober 2023, GZ 67 Cg 96/21h 32, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 13. Juli 2023 zu 1 Ob 73/23a an den EuGH gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Text
Begründung:
[1] Die in Österreich ansässige Klägerin beauftragte die in Italien situierte Beklagte mit der Planung und Durchführung eines Bauprojekts in Bezug auf das von ihr betriebene Wirtshaus . Der mündlich erteilte Auftrag beinhaltete auch die örtliche Bauaufsicht. Eine Vereinbarung über den Erfüllungsort wurde nicht getroffen.
[2] Die von der Klägerin beauftragten Leistungen gliederten sich in die Planungs und die Ausführungsphase. Alle Planungen und Berechnungen in der Planungsphase, die sich über ein halbes Jahr erstreckten, fanden ausschließlich im Büro der Beklagten in Italien statt. In dieser Planungsphase gab es insgesamt drei zweistündige Termine des Bauleiters mit der Klägerin vor Ort. Die örtliche Bauaufsicht begann mit der Bauausführungsphase vor Ort, in der auch begleitend geplant wurde und die einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen umfasste. In Summe entfielen 60 % des Auftrags auf die Planungsphase und 40 % auf die Bauausführungsphase; davon betrafen allerdings wiederum 80 bis 90 % Arbeiten im Büro am Sitz der Beklagten und nur 10 bis 20 % Leistungen vor Ort. In der Bauausführungsphase fanden zwischen den Streitteilen ca 15 Termine und Besprechungen vor Ort statt, die jeweils rund zwei Stunden beanspruchten. Die vor Ort gewonnenen Informationen wurden im Anschluss im Büro der Beklagten in Italien mittels E Mails, Telefonaten etc abgearbeitet.
[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz wegen mangelhaft erbrachter (Planungs )Leistungen sowie die Feststellung ihrer Haftung für alle künftigen Schäden.
[4] Die Beklagte wendete insbesondere die fehlende internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ein.
[5] Das Erstgericht erklärte sich (im zweiten Rechtsgang) für international sowie örtlich und sachlich unzuständig und wies die Klage zurück. Da der Erfüllungsort weder vereinbart worden sei noch sich aus tatsächlichen Kriterien des Vertrags bestimmen lasse, komme es für die nach Art 7 Nr 1 lit b EuGVVO 2012 zu beurteilende internationale Zuständigkeit auf den Ort der überwiegenden tatsächlichen Leistungserbringung an. Dabei komme dem Zeitfaktor eine zu beachtende Rolle zu. Angesichts des se hr deutlichen Überwiegens der in Italien erbrachten Leistungen der Beklagten sei nicht von einem Erfüllungsort in Österreich auszugehen.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Im – hier vorliegenden – Fall der Erbringung von Dienstleistungen in mehreren Mitgliedstaaten sei für die Entscheidung über alle Klagen aus dem Vertrag das Gericht (international) zuständig, in dessen Sprengel sich der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung befinde. Bei der Prüfung des Erfüllungsorts sei auf die charakteristische Leistung abzustellen; dies seien hier einerseits die Planungsarbeit und andererseits auch die vor Ort zu erbringenden Leistungen im Zusammenhang mit der Durchführung des Bauprojekts, den Besprechungen vor Ort, der Baustellenkoordination, der örtlichen Bauaufsicht etc. Für die Beurteilung, ob die Leistungen überwiegend in Österreich oder in Italien erbracht seien, komme auch dem Zeitfaktor eine zu beachtende Rolle zu. Maßgebend sei aber auch, welchen Leistungen in einer Gesamtschau der Schwerpunkt der Tätigkeit zukomme. Nach den Feststellungen ergebe sich ein sehr deutliches zeitliches Überwiegen der von der Beklagten in Italien erbrachten Leistungen. Bei einem derart deutlichen Überwiegen der Leistungserbringung in Italien könne auch in einer Gesamtschau der Schwerpunkt der Tätigkeit der Beklagten schon deshalb nicht zur Feststellung eines einheitlichen Erfüllungsorts in Österreich führen, weil nicht nur die in Österreich erbrachten Leistungen, sondern auch die (zeitlich weit überwiegenden) Planungsleistungen und Berechnungen in Italien für das Bauprojekt von entscheidender Bedeutung gewesen seien.
[7] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob es für die Ermittlung des Erfüllungsorts nach Art 7 EuGVVO 2012 bei Planungsleistungen für ein Bauwerk auf den Ort ankomme, an dem das Bauwerk ausgeführt werde; diese Frage sei in der Entscheidung 4 Ob 140/18v ausdrücklich offen gelassen worden.
[8] Mit ihrem Revisionsrekurs strebt die Klägerin die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin an, dass die Unzuständigkeitseinrede verworfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[10] Das Verfahren ist aus Anlass des Rechtsmittels zu unterbrechen.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Klägerin argumentiert mit Literaturmeinungen, die darauf abstellen, dass für die Bestimmung des Erfüllungsorts bei Dienstleistungen, die sich auf einen bestimmten Ort beziehen, so wie dies bei allen auf ein bestimmtes Bauwerk gerichteten Dienstleistungen eine Architekten bzw Ingenieurbüros der Fall sei, für die Bestimmung des Erfüllungsorts jener Ort maßgebend sei, an dem das Bauwerk ausgeführt werde.
[12] 1. Im vorliegenden Fall ist der sachliche (Art 1 EuGVVO 2012) und zeitliche (Art 66 EuGVVO 2012) Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 eröffnet.
[13] 2. Gemäß Art 7 Nr 1 lit b zweiter Spiegelstrich EuGVVO 2012 können Ansprüche aus einem Dienstleistungsvertrag an dem Ort eingeklagt werden, an dem die Dienstleistung vertragsgemäß erbracht worden ist oder hätte erbracht werden müssen.
[14] 2.1. Der Begriff des Dienstleistungsvertrags ist verordnungsautonom auszulegen (vgl Wittwer in Mayr , Europäisches Zivilverfahrensrecht 2 Rz 3.287; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands und Vollstreckungsrecht 4 Rz 67 mwN). Der Dienstleistungsbegriff des Art 17 EuGVVO 2012 wurde insofern weit ausgelegt, als er alle Verträge erfasst, die die entgeltliche Herbeiführung eines bestimmten faktischen Erfolgs und – in Abgrenzung zum Arbeitsvertrag – nicht nur die schlichte Verrichtung einer Tätigkeit zum Gegenstand haben, also insbesondere alle Werkverträge sowie die freiberufliche Tätigkeit von Architekten (vgl Wittwer in Mayr 2 Rz 3.289 f mwN; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr 4 R z 71 mwN; 9 Ob 6/17y).
[15] 2.2. Der Erfüllungsort ist bei Kauf und Dienstleistungsverträgen autonom anhand tatsächlicher Kriterien zu bestimmen (RS0118507; RS0119733). Die Bestimmung des Erfüllungsorts ist nach Möglichkeit aus dem Vertrag selbst abzuleiten. Bei einem Dienstleistungsvertrag ist auf der Grundlage dieses Vertrags der Ort zu ermitteln, an dem der Dienstleister seine Tätigkeit hauptsächlich vorzunehmen hatte. Dem liegt zugrunde, dass der vertragliche Erfüllungsort auf die räumliche Nähe abzielt und seinen Grund in der engen Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht hat. Entscheidend ist die diesbezügliche Vereinbarung zwischen den Parteien (4 Ob 140/18v Pkt 4.4 mwN). Liegt keine ausdrückliche Erfüllungsortvereinbarung vor und kann der Erfüllungsort auch nicht sonst aus dem Vertrag bestimmt werden, ist der Ort der überwiegenden tatsächlichen Erbringung der charakteristischen Leistung maßgeblich (4 Ob 140/18v Pkt 4.6 mwN).
[16] 2.3. Bei Dienstleistungsverträgen mit mehreren Erfüllungsorten kommt es auf den Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung an (9 Ob 6/17y mwN = RS0118364 [T12]). Es kann nur an diesem Ort geklagt werden, ein Wahlrecht steht dem Kläger nicht zu. Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung ist jener Ort, an dem der Leistende die meiste Zeit tätig ist. Lässt sich dieser Ort nicht bestimmen, gilt der Ort seines Wohnsitzes als Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung (vgl Czernich in Czernich/Kodek/Mayr 4 Art 7 EuGVVO Rz 27 mwN). Es kommt auf den Ort der Tätigkeit des Dienstleisters an und nicht auf jenen, wo die Dienstleistung Erfolge zeitigen soll (vgl 4 Ob 140/18v Pkt 4.6 mwN).
[17] 2.4. A usgehend von den – den Obersten Gerichtshof bindenden – Feststellungen wurden die Dienstleistungen der Beklagten ganz überwiegend an ihrem Sitz in Italien erbracht. Abzustellen ist nämlich auf die Erbringung der Dienstleistung und nicht auf die Lieferung ihres Ergebnisses (2 Ob 179/23x Pkt 3.4).
[18] 2.5. Teile des Schrifttums (so insbesondere Simotta in Fasching/Konecny 3 Art 7 EuGVVO Rz 203 mwN) vertreten demgegenüber die Ansicht, dass es bei Planungsleistungen für ein Bauwerk auf den Ort ankommen soll, an dem das Bauwerk ausgeführt wird. Aus der bisherigen Judikatur des EuGH lässt sich diese Rechtsansicht jedoch nicht ableiten (so schon 4 Ob 140/18v mwN). Es könnte daher grundsätzlich davon auszugehen sein, dass die Vorinstanzen den Erfüllungsort zutreffend als am Sitz der Beklagten und damit in Italien gelegen angenommen und damit die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts zu Recht verneint haben.
[19] 3. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit der Entwicklung von Individualsoftware durch eine in Österreich tätige Klägerin für eine in Deutschland ansässige Beklagte an den EuGH folgendes Vorabentscheidungsersuchen gestellt (1 Ob 73/23a);
„ Ist Art 7 Nr 1 lit b der Verordnung Nr 1215/2012/EU über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012) dahin auszulegen, dass sich bei einer Klage aus Vertrag der Erfüllungsort für die Entwicklung und den laufenden Betrieb einer auf die individuellen Bedürfnissen einer im Mitgliedstaat A (hier: Deutschland) ansässigen Bestellerin ausgerichteten Software an dem Ort befindet
a) an dem die hinter der Software stehende geistige Schöpfung ('Programmierung') durch das im Mitgliedstaat B (hier: Österreich) ansässige Unternehmen erbracht wird, oder
b) an dem die Software die Bestellerin erreicht, also abgerufen und zum Einsatz gebracht wird? “
[20] Der anfragende Senat ging davon aus, dass es bei Fehlen einer ausdrücklichen Erfüllungsortvereinbarung und mangels sonstiger Bestimmbarkeit aus dem Vertrag auf den Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung ankomme, was dafür spreche, den Erfüllungsort bei Software Entwicklungsverträgen am Ort des Erbringens der geistigen Leistung und nicht am Ort des Abrufs und Einsatzes der Software anzunehmen. Allerdings werde in Teilen der Literatur auch die Ansicht vertreten, dass dann, wenn sich eine Dienstleistung auf einen bestimmten Ort beziehe, wie zB Planungsleistungen für ein Bauwerk, der Erfüllungsort jener Ort sei, auf den sich die Dienstleistung beziehe, auch wenn sie an einem anderen Ort (etwa im Büro des Architekten) erbracht werde; dies gelte entsprechend für alle Ausstattungs-, Service-, After-Sales- und Wartungsverpflichtungen, die sich auf ein Bauwerk bezögen. Nicht ortsbezogene Dienstleistungen würden dort erbracht, wo sie den Gläubiger der Dienstleistung erreichten. Man könnte daher – so der anfragende Senat – einwenden, dass die geistige Leistung ausschließlich auf den deutschen Markt und die rechtlichen Vorgaben in Deutschland sowie auf die individuellen Bedürfnisse der dort ansässigen Beklagten ausgerichtet sei und dass die geistige Leistung ohne ihren Abruf und Einsatz keinen eigenständigen Wert habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die letztgenannten Erwägungen zur Annahme eines Erfüllungsorts in Deutschland führen. Dafür spräche auch das Argument, dass im konkreten Fall die Gerichte am Einsatzort der Software aufgrund der Sach und Beweisnähe, die als Ziel dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts zugrunde liege, wohl besser geeignet wären, über inhaltliche Fragen der Vertragserfüllung zu entscheiden.
[21] 4. Auch im hier zu beurteilenden Fall hat die Anknüpfung mangels Erfüllungsortvereinbarung grundsätzlich am Ort der Erbringung der charakteristischen Leistung zu erfolgen. Dies hätte die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte zur Folge. Auch dagegen könnte man einwenden, die Dienstleistungen bezögen sich zur Gänze auf das in Österreich liegende Bauobjekt der Klägerin. Auch die Beweisnähe der Gerichte am Ort des Objekts würde für eine Zuständigkeit österreichischer Gerichte sprechen.
[22] 5. Da somit die dem zu 1 Ob 73/23a gestellten Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Erwägungen auch für den vorliegenden Rechtsfall Bedeutung haben und der Oberste Gerichtshof von der allgemeinen Wirkung von Vorabentscheidungen des EuGH auszugehen und diese auch auf andere Fälle als den unmittelbaren Ausgangsfall anzuwenden hat, war das hier vorliegende Revisionsrekursverfahren aus prozessökonomischen Gründen bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH zu unterbrechen (RS0110583; 2 Ob 179/23x).