9Ob66/23f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des W*, Deutschland, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen, vertreten durch Mag. Michael Edler, Bakk., Rechtsanwalt in Rosental an der Kainach, als Rechtsbeistand, gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom 3. November 2022, GZ 1 R 81/22p 228, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1] Für den Rechtsmittelwerber, der deutscher Staatsbürger ist, in Österreich seinen Wohnsitz hatte und zuletzt gemäß § 21 Abs 2 StGB untergebracht war, wurde mit Beschluss vom 6. 8. 2020 ein Rechtsanwalt zum Rechtsbeistand iSd § 119 AußStrG und zum einstweiligen Erwachsenenvertreter iSd § 120 AußStrG (mit sofortiger Wirksamkeit) bestellt, ua für die Vertretung in einem Verlassenschaftsverfahren nach dem Vater des Betroffenen.
[2] Das Erstgericht bestellte mit Beschluss vom 21. 4. 2022 eine Rechtsanwältin zur Erwachsenenvertreterin für die Vertretung in allen gerichtlichen und behördlichen Verfahren, wobei iSd § 125 AußStrG festgehalten wurde, dass die Bestellung erst mit Rechtskraft wirksam wird.
[3] Gegen diese Entscheidung erhoben sowohl der Betroffene, als auch die Erwachsenenvertreterin Rekurse, die das Rekursgericht zu 1 R 81/22p mit Beschluss vom 3. 11. 2022 jeweils mangels Beschwer zurückwies.
[4] Zwischenzeitig wurde über den Betroffenen ein Aufenthaltsverbot (rechtskräftig) verhängt und er wurde am 23. 6. 2022 zur Übernahme der Strafvollstreckung an die deutschen Behörden übergeben. Derzeit ist er gemäß § 63 deutsches StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus in Deutschland untergebracht, wovon das zuständige Amtsgericht als neues Betreuungsgericht verständigt wurde.
[5] Ein Beschluss des Erstgerichts vom 23. 9. 2022, mit dem es „das Erwachsenenschutzverfahren“ wegen einer dauerhaften Verlegung des Aufenthalts gemäß Art 5 Abs 2 des Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ) einstellte, wurde mit einem Beschluss des Rekursgerichts vom 27. 2. 2023 zu 2 R 76/22k ersatzlos behoben.
[6] Die Rekursentscheidung zu 1 R 81/22p gegen den Beschluss vom 21. 4. 2022 wurde vom Betroffenen laut Rückschein am 9. 12. 2022 in der deutschen Klinik persönlich übernommen, letzter Tag der Rechtsmittelfrist nach § 65 Abs 1 AußStrG war sohin der 23. 12. 2022.
[7] Am 17. 1. 2023 langte beim Erstgericht eine vom Betroffenen verfasste Eingabe ein, die auch einen „ außerordentlichen Revisionsrekurs“ gegen die Rekursentscheidung zu 1 R 81/22p wegen „Form- und Verfahrensfehlern“ enthält sowie einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshelfers. In einem Beiblatt legte der Betroffene dar, dass er die – laut Poststempel am 27. 12. 2022 aufgegebene und ordnungsgemäß an das Erstgericht adressierte – Sendung bereits am 23. 12. 2022 der „Anstaltsleitung“ übergeben habe, sie jedoch von der Post am 10. 1. 2023 an ihn retourniert worden sei, woraufhin er umgehend die neuerliche Postaufgabe veranlasst habe.
[8] Daran schloss sich ein Verbesserungsverfahren an, in dem das Erstgericht zunächst dem Betroffenen die Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt auftrug, sodann die Vorlage eines Vermögensbekenntnisses und schließlich dem Rechtsbeistand die Unterfertigung der ursprünglichen Eingabe. Diese legte es im Original dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor .
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof ist verfrüht :
[10] Es gilt zunächst zu klären, ob die Revisionsrekurserhebung innerhalb der dafür offenstehenden Frist erfolgte, weil die Verbesserungsaufträge eine bereits eingetretene Verspätung nicht sanieren würden (RS0036281, RS0110935).
[11] 1. Die Zustellungswirkungen treten unabhängig vom Anschluss einer Rechtsmittelbelehrung ein ( RS0036701 [T6]). Die Rechtsmittelfrist begann daher am 9. 12. 2022 mit der persönlichen Übernahme zu laufen (die als tatsächliches Zukommen iSd § 7 ZustG auch die vom Betroffenen behaupteten Zustellmängel heilen würde) und endete am 23. 12. 2022.
[12] 2. Zwar sind die Tage des Postlaufs gemäß § 89 GOG nicht in die Rechtsmittelfrist einzurechnen, was auch bei einer Postaufgabe bei einem ausländischen Postamt gilt (vgl RS0041682 , RS0007053 ).
[13] 3.1 In den Fällen des § 14 ZustG ist weiters jene Zeit dem Postlauf zuzurechnen und daher nicht in die Rechtsmittelfrist einzurechnen, die zwischen der Übergabe des Schriftstückes an das dazu berufene Organ der „Anstalt“ (Strafvollzugsanstalt, Justizanstalt, gerichtliches Gefangenenhaus) und der durch dieses veranlassten durch die Überwachung aufgeschobenen Aufgabe zur Post vergeht (vgl RS0059684).
[14] Dies wurde zu 3 Ob 110/85 damit begründet, dass Personen, deren Freiheit durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer Freiheitsstrafe beschränkt ist, nach den daran anknüpfenden gesetzlichen Vorschriften ihre Schriftstücke weder persönlich bei Gericht überreichen noch der Post zur Beförderung übergeben dürften. Ihr Schriftverkehr unterliege vielmehr der Überwachung, und welche Zeit dafür aufgewendet werde, könne der Einschreiter nicht beurteilen. Müsste er diese Verzögerung vor der Postaufgabe berücksichtigen und sein Rechtsmittel so frühzeitig der Anstaltsleitung übergeben, dass die Postaufgabe jedenfalls noch vor Ablauf der Frist stattfinde, würde die Frist ungebührlich abgekürzt.
[15] 3.2 Ob diese Wertungen auch auf die Unterbringung des Betroffenen in eine m psychiatrischen Krankenhaus in Deutschland und die konkrete Postaufgabe übertragen werden können, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Aus dem Akt ergibt sich lediglich, dass Patienten, die dort gemäß § 63 deutsches StGB untergebracht sind, Briefe auf eigene Kosten mittels Erwerb von Briefumschlägen und marken „wegschicken“ dürfen. Weder lässt sich daraus ableiten, inwieweit Anstaltspersonal Sendungen überwacht und in die Postaufgabe involviert ist , noch wurde ein Bescheinigungsverfahren zur Behauptung des Betroffenen durchgeführt, dass er den versandfertigen Brief bereits am 23. 12. 2022 und somit am letzten Tag der Frist dem „Anstaltsleiter“ (bzw „Herrn P*“) übergeben habe.
[16] 4. Dazu sind ebenso Erhebungen erforderlich wie zum Grund für die vom Betroffenen behauptete unterlassene Zustellung der ersten Sendung. Aus den Angaben im Rechtsmittel ergibt sich, dass eine Zustellung der am 27. 12. 2022 aufgegebenen – und ordnungsgemäß adressierten – Sendung an das Erstgericht unterblieb, diese von der Post am 10. 1. 2023 an den Absender retourniert und von ihm am 12. 1. 2023 wieder „abgegeben“ wurde. Aus dem im Akt erliegenden Originalkuvert ist jedoch nicht ersichtlich, ob die Post die Sendung aus Eigenem retournierte und wenn ja, warum. Gegebenenfalls wird auch aufzuklären sein, welche Bedeutung dem Umstand beizumessen ist, dass laut der (elektronischen) Sendungsverfolgung der Deutschen Post zu der auf dem Kuvert aufscheinenden Sendungsnummer („Brief mit Einschreiben“) die Information erfolgt, dass die Sendung am 10. 1. 2023 „zugestellt“ wurde, also an jenem Tag, an dem der Betroffene die Sendung nach eigenen Angaben zurückbekommen hat.
[17] Grundsätzlich hat der Absender alles ihm Zumutbare für ein bei ordnungsgemäßem Postgang unverzügliches Einlangen der Sendung bei Gericht vorzukehren (vgl 6 Ob 644/85), sodass auch die Frage zu klären ist, ob die ursprüngliche Sendung ausreichend frankiert war und wer dafür Sorge zu tragen hatte.
[18] 5. Der Akt war daher für die Durchführung der erforderlichen Erhebungen (vgl § 51 Abs 2 AußStrG) an das Erstgericht zurückzustellen.
[19] Die Ergebnislosigkeit von Erhebungen würde sich grundsätzlich zum Vorteil des Rechtsmittelwerbers auswirken, weil ein Rechtsmittel nach ständiger Rechtsprechung die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich hat ( RS0006965 ).
[20] Wenn der Revisionsrekurs nicht als verspätet zurückzuweisen ist, wäre über den gleichzeitig erhobenen Verfahrenshilfeantrag zu entscheiden.