JudikaturOGH

7Ob15/76 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. März 1975

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reithofer, Dr. Flick, Dr. Petrasch und Dr. Schubert als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, ÖBB Bediensteter in *, vertreten durch Dr. Kurt Strizik und Dr. Ferdinand Weber, Rechtsanwälte in Krems a.d. Donau, wider die beklagte Partei W*, vertreten durch Dr. Peter Fiegl und Dr. Frank Riel, Rechtsanwälte in Krems a.d. Donau, wegen restlicher 8.003,21 S samt Anhang, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11. November 1975, GZ. 1 R 284/75-32, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Kreis- als Handelsgerichtes Krems a.d. Donau vom 17. Juli 1975, GZ 13 Cg 88/74 23, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird unter Einbeziehung seines unbekämpften abweisenden Teiles dahin abgeändert, daß es wie folgt zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 8.003,21 S samt 4 % Zinsen aus 4.853,50 S vom 4.3. bis 9. 6. 1975 und aus 8.003,21 S seit 10. 6. 1975 binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen .

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei an Prozeßkosten 8.268,85 S (darin Barauslagen 1.610 S, Umsatzsteuer 493,25 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.”

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 812,28 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Barauslagen 128,- S, Umsatzsteuer 50,68 S) und die mit 1.239,74 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen 120 S, Umsatzsteuer 82,94 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger verschuldete am 13. Dezember 1973 mit seinem bei der Beklagten vollkaskoversicherten PKW. VW 1303 S , Kennzeichen *, einen Verkehrsunfall, als er mit seinem Fahrzeug auf die linke Fahrbahnseite der Kremser Landesstraße geriet und dort mit dem entgegenkommenden Wagen des A* zusammenstieß. Am klägerischen PKW entstand hiedurch Totalschaden. Die Beklagte lehnte ihre Leistungspflicht mit Schreiben vom 6. Feber 1974 unter Hinweis auf § 61 VersVG ab, weil der Kläger übermüdet gewesen sei und daher den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Bei Ankauf eines Ersatzfahrzeuges im Dezember 1973 mußte der Kläger einen Wechsel akzeptieren und bis August 1974 an Wechselspesen 3.147 S bezahlen. Zur Bezahlung dieses PKWs mußte schließlich der Kläger im August 1974 einen Kredit in der Höhe von 51.000 S aufnehmen und für Auskunftsspesen 300 S entrichten. An Darlehenszinsen bezahlte der Kläger am 30. September 1974 1.131 S, am 31. Dezember 1974 1.972 S und für die Zeit vom 1. Jänner 1975 bis Rückzahlung des Darlehens am 20. März 1975 1.447,71 S. Erst im Zuge dieses Verfahrens bezahlte die Beklagte dem Kläger am 3. März 1975 49.437 S (Fahrzeugschaden) und die bis 3. März 1975 auf gelaufenen Zinsen.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger schließlich von der Beklagten nach Klagseinschränkung nur noch aus dem Titel des Schadenersatzes die ihm durch die Kreditaufnahme erwachsenen Kosten in der Höhe von 8.003,21 S samt Stufenzinsen. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, daß sie an der Zahlungsverzögerung kein Verschulden treffe, weil der Kläger bei seiner Einvernahme durch die Polizei selbst angegeben habe, die Ursache des Unfalls sei seine Übermüdung gewesen.

Das Erstgericht sprach die Beklagte schuldig, dem Kläger 1.907,02 S samt 4 % Zinsen seit 10. Juni 1975 zu bezahlen und wies das weitere Begehren von 6.096,19 S und das Zinsenmehrbegehren ab, Nach seinen Feststellungen zeigte der Kläger vor Eintritt der Unfallsfahrt keinerlei Ermüdungserscheinungen oder sonstige Beschwerden. Bei seiner Einvernahme im Krankenhaus durch den Polizeibeamten F* machte der Kläger einen verwirrten Eindruck. Er machte sprunghafte Angaben und war zeitlich nicht orientiert, weil er behauptete, daß sein Dienst bereits um 22 Uhr geendet hätte. Dem Polizeibeamten gab der Kläger auch an, er habe länger Dienst gehabt und sei infolge Übermüdung eingeschlafen. In der im Strafakt 6 U 1604/73 des Bezirksgerichtes St. Pölten erliegenden Verkehrsunfallsanzeige werden die Angaben des Klägers wie folgt festgehalten: „Ich hatte tagsüber als Zugsbegleiter auf der Westbahn Dienst. Nach Dienstschluß wollte ich mit meinem PKW nach Hause fahren. Zum Unfall selbst kann ich eigentlich nichts angeben. Durch den Dienst war ich etwas übermüdet und dürfte kurz vor dem Unfall eingeschlafen sein…“. Der Zustand des Klägers und seine Erinnerungslücke sind auf seine bei dem Unfall erlittene schwere Gehirnerschütterung zurückzuführen. Obwohl der Kläger nach Ablehnung seiner Ansprüche den Sachverhalt in seinem Schreiben vom 19. Februar 1974 (Beilage E) der Beklagten genau geschildert hatte, beharrte diese auf ihrer ablehnenden Haltung.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Kläger im Hinblick auf das Vorliegen eines Handelsgeschäftes auf Seite der Beklagten nach Art. 8 Nr. 2 der 4. handelsrechtlichen EV berechtigt sei, den Ersatz seines über die Verzugszinsen hinausgehenden Schadens zu verlangen, sofern die Beklagte nicht beweise, daß sie an ihrem Zahlungsverzug kein Verschulden treffe. Dieser Beweis sei aber der Beklagten gelungen, weil sie sich im Hinblick auf die Angaben des Klägers vor der Polizei für leistungsfrei im Sinne des § 61 VersVG halten konnte. In der vorerst erfolgten Ablehnung ihrer Leistungspflicht könne somit ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten nicht erblickt werden. Als jedoch die Vernehmung der beantragten Zeugen und des Klägers in der Tagsatzung am 25. November 1973 (richtig wohl 1974) abgeschlossen gewesen sei, mußte sich die Beklagte über die Unhaltbarkeit der von ihr behaupteten Leistungsfreiheit bereits im Klaren gewesen sein. Ab diesem Zeitpunkt hätte sie daher ihre ablehnende Haltung nicht mehr aufrecht erhalten dürfen und die der Höhe nach unbestrittene Kaskoentschädigung an den Kläger zur Auszahlung bringen müssen. Mit Ablauf des 25. November 1974 habe sich die Beklagte in schuldhaftem Leistungsverzug befunden und hafte daher dem Kläger über die Verzugszinsen hinaus für die ihm ab diesem Zeitpunkt bis zum 3. März 1975 (Deckung des Fahrzeugschadens) auf gelaufenen Kreditkosten in der Höhe von 1.906,52 S. Hingegen habe die Beklagte die dem Kläger bis 25. November 1974 erwachsenen Kreditkosten (Wechselspesen und dergleichen) nicht zu verantworten, weil sie bis zu diesem Zeitpunkte nicht einmal ein leichtes Verschulden an ihrer Zahlungsverzögerung getroffen habe.

Das Berufungsgericht verurteilte die Beklagte zur Bezahlung von 7.703,21 S samt Stufenzinsen an den Kläger und wies das Mehrbegehren von 300 S samt Anhang ab. Es war der Auffassung, daß die Beklagte ein Verschulden an der Zahlungsverzögerung bereits vom Zeitpunkt der erfolgten Deckungsablehnung treffe. Aus dem Strafakt des Bezirksgerichtes St. Pölten 6 U 1604/73 ergebe sich nämlich, daß der Kläger Verletzungen erlitten habe, die auf sein Erinnerungsvermögen Einfluß haben konnten. Die Beklagte hätte daher ihre Deckungsablehnung nicht nur auf die Aussage des Klägers stützen dürfen, die in der Unfallsanzeige überdies nur auszugsweise wiedergegeben worden sei. Der Kläger hätte allerdings nach Leistung der Kaskoentschädigung durch die Beklagte das aufgelaufene Darlehen zurückzahlen können. Demnach hafte die Beklagte dem Kläger nicht mehr für die Kreditzinsen in der Höhe von ca. 300 S die ihm für die Zeit vom 4. bis 20. März 1975 erwachsen seien.

Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berfungsgerichtes aus dem Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO in seinem dem Klagebegehren stattgebenden Teil und beantragt, es im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger ließ hingegen den abweisenden Teil des Berufungsurteiles unbekämpft und beantragt im übrigen, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Seinen im Revisionsverfahren nur noch stittigen Schadenersatzanspruch stützt der Kläger auf den Verzug der Revisionswerberin mit der Bezahlung der von ihm begehrten Kaskoentschädigung. Hiebei handelt es sich um eine die gesetzlichen Verzugszinsen übersteigende Schadenersatzforderung, deren Berechtigung nach den zur Anwendung kommenden Bestimmungen des Handelsrechtes (Art. 8 Nr. 2 der 4. handelsrechtlichen EV) eine schuldhafte Zahlungssäumnis der Revisionswerberin zur Voraussetzung hat. Hiebei trifft grundsätzlich die Revisionswerberin die Beweislast, daß sie ohne ihr Verschulden an der Erfüllung ihrer Verbindlichkeit gehindert worden ist (SZ 27/195, VersSlg Nr. 71 = HS 1481, HS 6250 u.a.m.). Ein verschuldeter Verzug ist aber in der Regel dann zu verneinen, wenn besondere Umstände den Glauben des Schuldners an das Nichtbestehen seiner Verpflichtung berechtigt erscheinen lassen, so daß ihm aus der Bestreitung des gegen ihn erhobenen Anspruches ein Vorwurf nicht gemacht werden kann (VersSlg Nr. 71). Hier konnte die Revisionswerberin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes der Überzeugung sein, daß sie zur Ablehnung ihrer Leistungspflicht berechtigt sei. Denn der Kläger gab bei seiner Einvernahme durch die Polizei selbst an, daß er durch seinen Dienst (bei der Ö*) übermüdet gewesen sei und daher vor dem Unfall eingeschlafen sein dürfte. Richtig ist allerdings, daß der Kläger bei seiner Einvernahme etwas verwirrt und zeitlich nicht orientiert war. Dieser Umstand ergab sich aber erst eindeutig im gegenständlichen Verfahren und ging aus der im Strafakt AZ. 6 U 1604/73 des Bezirksgerichtes St. Pölten befindlichen Unfallsanzeige noch nicht mit einer solchen Klarheit hervor, daß die Revisionswerberin die Angaben des Klägers vor der Polizei als nicht verläßlich betrachten mußte. Im übrigen ist auch der Unfallsablauf ein weiteres Indiz dafür, daß der Kläger tatsächlich vor dem Zusammenstoß eingeschlafen sein könnte. Denn er kam auf der völlig gerade verlaufenden Fahrbahn der Kremser Landstraße ohne ersichtlichen Grund von seiner rechten auf die linke Fahrbahnseite, wo der Zusammenstoß erfolgte (siehe Strafakt S. 17). Aus dem Strafakt ergeben sich somit ausreichende Tatsachen, die die Überzeugung der Revisionswerberin von ihrer Leistungsfreiheit begründet erscheinen lassen. Denn nach den Umständen des konkreten Falles kann das durch eine Übermüdung bedingte Einschlafen eines Kraftfahrzeuglenkers vor einem Verkehrsunfall eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VersVG darstellen (VersR 1967/388, mit Besprechung von Gaisbauer, 4 Ob 3/70). Zur Klärung der konkreten Umstände, die zur Übermüdung des Klägers geführt haben könnten, war hingegen die Revisionswerberin gar nicht in der Lage. Sie war daher auch berechtigt, die Beurteilung dieser Umstände dem vom Kläger anzustrengenden Prozeß zu überlassen, ohne daß ihr dies im Hinblick auf die Bestimmung des § 1305 ABGB als Verschulden angelastet werden kann. Wenn daher die Revisionswerberin zunächst die Auszahlung der vom Kläger begehrten Kaskoentschädigung verweigerte und die Frage ihrer Leistungspflicht einer gerichtlichen Klärung zuführen wollte, kann hierin ein schuldhaftes Verhalten nicht erblickt werden. Die endgültige Klärung des Sachverhaltes brachte entgegen der Ansicht des Erstgerichtes erst das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten ON. 20, aus dem sich ergibt, daß der Kläger bei dem Unfall eine schwere Gehirnerschütterung erlitten hat und daher die Möglichkeit besteht, daß er nach dem Unfall unwissentlich unrichtige Angaben machte. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber die Revisionswerberin dem Kläger bereits seinen Fahrzeugschaden im Rahmen der bestehenden Kaskoversicherung ersetzt. Der Schadenersatzanspruch erweist sich somit zur Gänze als nicht berechtigt.

Der Revision war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern und auch eine neue Kostenentscheidung zu treffen. Hiebei hat es in dem vom Erstgericht gebildeten ersten Verfahrensabschnitt infolge des gänzlichen Obsiegens des Klägers bei dem Kostenzuspruch des Prozeßgerichtes von (allerdings richtig) 7.785,60 S (hievon 1.500 S Barauslagen, 465,60 S Umsatzsteuer) zu verbleiben. In diesen Prozeßabschnitt fällt auch die erste Stunde der Verhandlungstagsatzung vom 25. November 1974 (ON. 17). In den restlichen drei halben Stunden dieser Tagsatzung (zweiter Verfahrensabschnitt) betrug der Streitwert 54.020,50 S. Hievon obsiegte der Kläger mit ca. 9/10tel und unterlag mit ca. 1/10tel. Er hat daher gemäß § 45 Abs. 1 ZPO Anspruch auf 4/5tel der Kosten dieses Verfahrensabschnittes (1.699,68 S ) in der Höhe von 1.359,74 S (hievon Barauslagen 240, S, Umsatzsteuer 82,94 S).

In dem die Verhandlungstagsatzung vom 9. Juni 1975 umfassenden dritten Verfahrensabschnitt ist hingegen der Kläger zur Gänze unterlegen und daher der Revisionswerberin zum Ersatze ihrer gesamten Kosten von 876,49 S (darin Barauslagen 130, S, Umsatzsteuer 55,29 S) verpflichtet. Die Gesamtsumme der von der Revisionswerberin dem Kläger zu ersetzenden Kosten beträgt demnach 9.145,34 S (davon Barauslagen 1.740, S, Umsatzsteuer 548,54 S). Nach Abzug der vom Kläger zu ersetzenden Kosten verbleiben demnach 8.268,85 S (davon 1.610, S Barauslagen, Umsatzsteuer 495,25 S).

Hingegen hat der Kläger der Revisionswerberin nach §§ 41, 50 ZPO die gesamten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu ersetzen.