JudikaturLG Korneuburg

22R197/24m – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
12. November 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in den verbun-denen Rechtssachen der klagenden Parteien (zu 23 C 322/24m) [1] S***** R***** , [2] C***** S***** ; (zu 23 C 323/24h) [3] C***** J***** ; (zu 23 C 324/24f) [4] V***** B***** , [5] C***** S***** ; alle vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen insgesamt EUR 1.250,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 12.08.2024, 23 C 322/24m-15, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien jeweils ein Fünftel der mit EUR 471,60 (darin EUR 78,60 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeant-wortung binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerinnen und Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OS 542 ab Neapel 11.06.2023, 14:50 Uhr, an Wien 11.06.2023, 16:30 Uhr. Die Flugstrecke beträgt nicht mehr als 1.500 km.

Die Beklagte annullierte den Flug und buchte die Kläger auf folgende Ersatzbeförderungen am 12.06.2023 um:

– die Erstklägerin und den Zweitkläger auf die Flugverbindung LH 337 / OS 210 von Neapel über Frankfurt nach Wien; wo sie um 15:16 Uhr ankamen;

– die Drittklägerin auf die Flugverbindung LH 1881 / LH 1328 von Neapel über München nach Wien mit der geplanten Ankunftszeit 12.06.2023, 12:35 Uhr;

– die Viertklägerin und den Fünftkläger auf die Flugverbindung LH 1877 / OS 116 von Neapel über München nach Wien, wo sie um 20:19 Uhr ankamen.

Mit getrennt eingebrachten Klagen, und zwar die Erstklägerin und der Zweitkläger am 08.08.2023 zunächst zu 24 C 507/23y, die Drittklägerin am 05.09.2023 zunächst zu 21 C 175/23b und die Viertklägerin und der Fünftkläger am 24.10.2023 zunächst zu 21 C 222/23i, beantragten die Kläger jeweils den Zuspruch von EUR 250,-- samt 4 % Zinsen (zuletzt: Erstklägerin und Zweitkläger ab 11.07.2023, Drittklägerin ab 25.07.2023, Viertklägerin und Fünftkläger ab 05.10.2023) und brachten vor, der annullierte Flug hätte noch am 11.06.2023 durchgeführt werden können. Es werde bestritten, dass eine Landung des unmittelbaren Vorfluges in Neapel aufgrund der Wetter-bedingungen nicht möglich gewesen wäre. Die Berufung auf die nautische Entscheidungsgewalt ersetze nicht die Behauptung außergewöhnlicher Umstände, zumal Gewitter geradezu typisch seien. Die Beklagte habe trotz rascher Wetterbesserung keine Überstellung des Flugzeuges in Erwägung gezogen, sondern um 15:22 Uhr die Entscheidung getroffen, den Flug unter der Flugnummer OS 1402 nach Wien zu überstellen und in der Folge den Umlauf Wien – Mykonos (OS 815/816) zu „retten“. Sie habe damit den Flugplan von OS 542 vorzeitig aufgegeben. Der klagsgegenständliche sei der einzige Flug am 11.06.2023 mit Abflug in Neapel gewesen, der annulliert worden sei. Es werde bestritten, dass die Umbuchungen auf Basis desselben Flugscheins die schnellstmögliche Ersatzbeförderung gewesen sei. Konkret wäre eine Umbuchung auf andere (näher ausgeführte) Umsteigeverbindungen möglich gewesen, womit sie Wien noch am 11.06.2023 erreicht hätten. Ihnen stehe daher jeweils EUR 250,-- als Ausgleichsleistung nach Art 5 iVm Art 7 Abs 2 [ richtig : Abs 1] EU-FluggastVO zu.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte – unter Berufung auf Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO – vor, dass aufgrund eines Gewitters am Flughafen Neapel eine Landung des direkten Vorfluges OS 541 von Wien nach Neapel nicht möglich gewesen sei. Der Vorflug OS 541 hätte den geplanten Abflug um 12:30 Uhr und die geplante Ankunft um 14:05 Uhr gehabt. Der tatsächliche Abflug sei um 12:40 Uhr erfolgt. Das für die Rotation OS 541/542 eingesetzte Fluggerät könne bei optimalen Pistenbedingungen bis maximal 30 kn Wind und 38 kn Böen landen. Der Grenzwert für eine nasse Piste liege jedoch bei 25 kn. Zum Zeitpunkt der geplanten Landung des Fluges OS 541 in Neapel hätten Böen von 22 kn aus allen Richtungen („ crosswinds “) und ein starkes Gewitter geherrscht, weshalb eine sichere Landung nicht möglich gewesen wäre. Dies sei dem Piloten durch die Flugsicherung vorab mitgeteilt worden; ungeachtet dessen habe er um 11:40 Uhr einen Landeversuch unternommen, der jedoch gescheitert sei. Der Flug sei nach Rom umgeleitet worden, wo er um 15:09 Uhr gelandet sei. Die Pilotenentscheidung sei nicht anzuzweifeln. Es liege kein Anhaltspunkt dafür vor, dass dem Piloten ein Versagen anzulasten sei. Zur Möglichkeit einer anschließenden Überstellung des Flugzeuges von Rom nach Neapel brachte die Beklagte zunächst vor, dass eine Überstellung aufgrund der anhaltend starken Böen nicht erfolgen habe können (Einspruch ON 3, Pkt. 3 u. 5; vSS ON 10, Pkt. 10), änderte jedoch ihr Vorbringen in der vorbereitenden Tagsatzung (ON 11.2, S. 2) dahin ab, dass sie versucht habe, in Rom eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, um den Flug [ wohl gemeint: nach Neapel] fortzuführen; diese Ausnahmegenehmigung sei jedoch nicht erteilt worden. Aus diesem Grund habe das Fluggerät nach Wien überstellt werden müssen. Es wäre auch nicht möglich gewesen, die Kläger nach Rom zu befördern, und den Flug von Rom aus auszuführen, weil die Wegstrecke dafür zu lang gewesen sei. Zu den von den Klägern vorgeschlagenen Ersatzbeförderungen trug die Beklagte jeweils detailliert vor, dass sich diese zeitlich nicht ausgegangen wären.

Mit Beschlüssen vom 05.10.2023 und 30.10.2023 verband das Erstgericht die drei Rechtssachen und sprach aus, dass der Akt 21 C 106/23f der führende Akt sei. Offensichtlich infolge des mittlerweile zweiten Richterwechsels wurden die Rechtssachen neu registriert; führender Akt wurde 23 C 322/24m.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht allen Klagebegehren statt. Bei der Annullierung von Flügen stehe dem Fluggast grundsätzlich eine Ausgleichsleistung von EUR 250,-- zu. Gemäß Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO könne sich das ausführende Luftfahrtunternehmen vom Ausgleichsanspruch befreien, wenn es nachweise, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der außergewöhnlichen Umstände, deren Kausalität für die Annullierung oder große Verspätung, sowie das Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen treffe das Luftfahrtunternehmen. Widrige Wetterbedingungen, die aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragten, könnten einen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Sie müssten jedoch geeignet sein, die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftfahrtunternehmen zum Erliegen zu bringen. Auf die Häufigkeit des Ereignisses komme es grundsätzlich nicht an; deren Vorhersehbarkeit sei allenfalls durch das Ergreifen zumutbarer Maßnahmen Rechnung zu tragen. Die Gewitter und Böen würden allein keine unübliche und derart widrige Wettersituation darstellen, die eine Qualifikation als außergewöhnlichen Umstand rechtfertigen würde. Es sei nicht beurteilbar, welche konkreten Auswirkungen das Wetter auf die Betriebstätigkeit von Luftfahrtunternehmen gehabt hätte. Die Berufung auf die nautische Entscheidungsgewalt erspare dem Luftfahrtunternehmen lediglich die Erstattung detaillierten Vorbringens dazu, aus welchen inneren Gründen dem Piloten eine andere Vorgangsweise als das Unterlassen der Landung am Zielflughafen nicht zumutbar erschienen sei, ersetze aber nicht die Feststellung der äußeren Gegebenheiten im Sinne außergewöhnlicher Umstände, die den Piloten überhaupt erst vor die Entscheidung gestellt hätten, ob eine Landung durchgeführt werden solle oder nicht. Die Überstellung des Fluges OS 541 nach Neapel und eine allenfalls verspätete Durchführung des Fluges OS 542 stelle eine zumutbare Maßnahme zur Vermeidung der Annullierung dar. Das pauschale Vorbringen sei nicht hinreichend, um zu zeigen, warum ein Weiterflug nicht möglich gewesen sei. Es sei zwar vorgebracht worden, dass versucht worden sei, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten; aus dem Vorbringen sei allerdings nicht ableitbar, warum eine solche nicht erteilt worden sei, und in welchem zeitlichen Rahmen sich dies abgespielt habe. Aus dem Vorbringen der Beklagten sei auch nicht ableitbar, wann sie die Entscheidung getroffen habe, den Flug zu annullieren; daher sei es nicht nachvollziehbar, zu welchem Zeitpunkt sie die Umbuchung der Fluggäste geprüft bzw. vorgenommen habe. Zusammengefasst versagte das Erstgericht der Beklagten die Berufung auf das Vorliegen eines außer-gewöhnlichen Umstandes nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Auf-hebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin wendet sich gegen die Einstufung ihres im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten Vorbringens als pauschal und abstrakt und nimmt den Standpunkt ein, sie habe in aller Deutlichkeit vorgetragen, dass der Wind aus verschiedenen Richtungen gekommen, die Piste nass gewesen, und die konkrete Windstärke bei 22 kn gelegen sei. Konkreter könnte ein starkes Gewitter nicht beschrieben werden.

Es mag zutreffen, dass dieser Sachverhaltsvortrag weder „pauschal“ noch „abstrakt“ ist; damit ist jedoch der Berufungswerberin nicht geholfen. Vielmehr ist der vorgetragene Sachverhalt konkret genug, um das Vorliegen eines Vorkommnisses, das seiner Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist (EuGH Urteil 22.12.2008, Rs C-549/07 Wallentin-Hermann Rn 34 uva), zu verneinen.

Das Erstgericht hat zutreffend erkannt, dass die Berufung auf die nautische Entscheidungsgewalt des Piloten nicht die Feststellung der äußeren Gegebenheiten im Sinne außergewöhnlicher Umstände ersetzt, die den Piloten überhaupt erst vor die Entscheidung gestellt haben, ob eine Landung durchgeführt werden soll oder nicht (RKO0000019 [T3]). Widrige Wetterbedingungen, die aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen, können einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, wenn sie geeignet sind, die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftfahrtunternehmen zum Erliegen zu bringen (RKO0000046). Das von den Klägern im erstinstanzlichen Verfahren erstattete Vorbringen, dass der klagsgegenständliche Flug der einzige Flug an diesem Tag gewesen sei, der annulliert worden sei (Seite 3 in ON 9), wurde von der Beklagten nicht bestritten. Der erkennende Senat hat zuletzt ausgesprochen, dass die Halbierung der regulären Anflüge kein Erliegen des Luftverkehrs darstellt, weil durchgehend Anflüge – wenn auch in größeren Abständen – möglich gewesen seien (LG Korneuburg 12.03.2024, 22 R 262/23v = EKO99).

Insgesamt ist daher ein derart widriges Wetter, das geeignet war, die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftfahrtunternehmen zum Erliegen zu bringen, nicht indiziert. Wenn die Berufungswerberin (in Pkt. 17 und 18 der Berufung) ausführt, dass die vom Luftfahrtunternehmen vorzutragenden Wetter- und Pistenverhältnisse zum Erliegen der Betriebstätigkeit einer oder mehrerer Luftfahrtunternehmen geführt haben müsse, verkennt sie die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichtes (RKO0000046), wonach widrige Wetterbedingungen nur dann einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO darstellen, wenn sie aus den üblichen und zu erwartenden Abläufen des Luftverkehrs herausragen und geeignet sind, die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftfahrtunternehmen zum Erliegen zu bringen. Daraus ist jedoch nicht der Umkehrschluss zu ziehen, dass ein außergewöhnlicher Umstand nur dann vorliegen kann, wenn (bereits zuvor) die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftfahrtunternehmen tatsächlich zum Erliegen gekommen ist. Es ist daher auch unrichtig, dass diese Rechtsprechung zur Folge hätte, dass Piloten damit indirekt vor der Situation stünden, nur dann eine Landung abbrechen zu „dürfen“, wenn schon andere Flug- linien den Betrieb eingestellt haben. Dem tatsächlichen Zum-Erliegen-Kommen kommt daher nur Indizwirkung zu; dem beklagten Luftfahrtunternehmen bleibt es unbenommen, auch bei fehlendem Zum-Erliegen-Kommen das Vorliegen von Wetterverhältnissen von der Qualität eines außergewöhnlichen Umstandes (vgl EuGH C-549/07; Schmid in BeckOK, FlugastrechteVO [32. Ed.] Art 5 Rz 50 ff) nachzuweisen.

Das Berufungsgericht verkennt zwar nicht, dass ein Luftfahrtunternehmen aufgrund der damit zwangsläufig einhergehenden vielfachen nachteiligen Folgen eine Ausweichlandung auf einem anderen Flughafen in aller Regel nur aufgrund triftiger Gründe vornehmen wird. Dennoch ist im vorliegenden Fall mit dem Erstgericht im Ergebnis davon auszugehen, dass ein außergewöhnlicher Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO nicht hinreichend vorgetragen wurde. Eine nasse Piste (ein Umstand, der bei Niederschlägen aller Art regelmäßig vorkommt daher nicht einmal als ungewöhnlich, geschweige denn als außergewöhnlich angesehen werden kann); Wind- geschwindigkeiten von bis zu 22 kn (≈ 41 km/h; bei Grenzgeschwindigkeiten für die Landung bei nasser Piste von 25 kn) und Winde aus verschiedenen Richtungen, jedoch unbekannter Intensität, können somit ohne Hinzutreten weiterer Umstände keinen außergewöhnlichen Umstand begründen.

Auf die Frage, ob die Beklagte sämtliche ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, müsste daher nicht mehr eingegangen werden. Dennoch ist der Vollständigkeit halber zu ergänzen, dass es nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichtes zu den zumutbaren Maßnahmen, die gesetzt werden müssen, um sich auf den Befreiungstatbestand des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO schützen zu können, gehört, das Luftfahrzeug nach der Landung auf dem Ausweichflughafen zum Ausgangsort des Folgefluges zu überstellen, sobald die Verhältnisse dies zulassen (RKO0000019 [T2]). Die Beklagte hat ihr ursprüngliches Vorbringen dazu letztlich dahin abgeändert, dass ihr eine Ausnahmebewilligung für eine Überstellungsflug nicht erteilt worden sei; sie hat zu dieser – von den Klägern bestrittenen – Behauptung allerdings kein Beweisanbot erstattet.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidungberuht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Die Revisionist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.