JudikaturJustizRk40/98

Rk40/98 – LG Krems/Donau Entscheidung

Entscheidung
31. Juli 1998

Kopf

Die Ratskammer des Landesgerichtes Krems a.d.Donau hat durch den Präsidenten HR Dr.Hans Pollak als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten HR Dr.Walter Winalek und die RiLG Dr.Andrea Hüttl als weitere Richter in der Auslieferungssache gegen Mehmet S*****wegen § 28 SMG in nichtöffentlicher Sitzung am 31.7.1998 den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde des Mehmet S***** gegen den Beschluß des Untersuchungsrichters vom 6.7.1998 (ON 7), der die Anwesenheit des Verteidigers bei der untersuchungsrichterlichen Vernehmung des Auszuliefernden versagt, wird abgwiesen.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 6.7.1998 hat der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Krems a.d.Donau den Antrag des Mehmet S*****, seinem Verteidiger Dr.Richard Soyer die Anwesenheit bei der untersuchungsrichterlichen Vernehmung nach § 31 ARHG zu gestatten, abgewiesen. Als Begründung führt er an, daß auf die Vernehmung gemäß § 9 ARHG die StPO anzuwenden sei, daher auch die Bestimmung des § 198 Abs 1 StPO, der keine Parteiöffentlichkeit vorsieht. Es sei auch Art. 6 EMRK nicht verletzt, weil sich der Ausschluß des Verteidigers nur auf einen Teil des Auslieferungsverfahrens, nicht aber auf das Verfahren in seiner Gesamtheit bezieht.

Mehmet S***** führt in seiner Beschwerde aus, daß § 198 Abs 1 StPO dem Art. 6 Abs 3 lit c EMRK widerspreche. Er schlägt eine verfassungskonforme Interpretation des § 198 Abs 1 vor und nimmt eine planwidrige Gesetzeslücke an, die im Wege der Analogie im Hinblick auf § 10 Abs 2 BG über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten, der die Teilnahme des Verteidigers an allen Rechtshilfehandlungen ausdrücklich gestattet, dahingehend zu schließen sei, daß über begründeten Antrag des Auszuliefernden die Verteidigeranwesenheit nicht verwehrt werden dürfe. Weiters meint er, daß der untersuchungsrichterlichen Vernehmung im Auslieferungsverfahren entscheidende Bedeutung zukomme, sodaß man auch bei einer Gesamtbetrachtung eine EMRK-Widrigkeit annehmen müsse. Mehmet S***** regt an, beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 89 Abs 2 B-VG den Antrag auf Aufhebung des § 9 ARHG in Verbindung mit § 198 Abs 1 StPO zu stellen, falls seiner Rechtsansicht nicht gefolgt werde.

In der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter nach § 31 ARHG soll die auszuliefernde Person Wissenserklärungen abgeben. Sie soll zum Auslieferungsersuchen und zum Tatvorwurf Stellung nehmen und Umstände vorbringen, die die Auslieferung unzulässig machen. Weiters kann sie erklären, mit der vereinfachten Auslieferung nach § 32 Abs 1 ARHG einverstanden zu sein. Über diese Punkte kann sich Mehmet S***** bereits vor der untersuchungsrichterlichen Vernehmung mit seinem Verteidiger beraten.

Nachdem der Untersuchungsrichter die Akten mit einer begründeten Äußerung darüber, ob die Auslieferung zulässig sei, dem Gerichtshof zweiter Instanz vorgelegt hat, entscheidet dieser über die Zulässigkeit nur dann in nichtöffentlicher Sitzung, wenn weder der Oberstaatsanwalt noch die auszuliefernde Person eine öffentliche Verhandlung beantragt haben und eine solche auch nicht notwendig erscheint. Entgegen eines Antrages auf öffentliche Verhandlung kann das OLG die Auslieferung in nichtöffentlicher Sitzung nur für unzulässig erklären. Findet eine Verhandlung statt, so besteht Verteidigerzwang, und es sind der Oberstaatsanwalt, die auszuliefernde Person und deren Verteidiger zu laden. Die Entscheidung der Zulässigkeit ist von zentraler Bedeutung, denn es werden vom OLG alle mit der Auslieferung zusammenhängenden Rechtsfragen entschieden. Das ARHG hat das Verfahren daher mit umfassenden rechtsstaatlichen Garantien ausgestattet, sodaß die öffentliche Verhandlung im wesentlichen einer Hauptverhandlung nachgebildet ist. Die auszuliefernde Person und der Verteidiger können Stellung nehmen, sie haben nochmals Gelegenheit, Auslieferungshindernisse darzutun oder einen "hinreichenden Tatverdacht", der nach den Auslieferungsunterlagen vermutet wird, zu entkräften. Sie können auch neue Entlastungsbeweise anbieten, wobei das OLG selbst die Beweise aufnehmen oder den Untersuchungsrichter gemäß § 33 Abs 5 ARHG mit Erhebungen beauftragen kann.

Art 6 EMRK, welcher in Österreich im Verfassungsrang steht und unmittelbar anwendbar ist, garantiert ein faires Verfahren. Gemäß Abs 3 lit c hat der Angeklagte das Recht, den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten.

Nach § 198 Abs 1 StPO ist für die Vernehmung durch den Untersuchungsrichter keine Parteiöffentlichkeit vorgesehen - außer den allenfalls zuzuziehenden Gerichtszeugen darf sonst niemand der Vernehmung beiwohnen, insbesondere nicht Ankläger und Verteidiger, was auch § 97 Abs 2 StPO, der allgemein den Geschäftsgang in der Voruntersuchung regelt, bestimmt. § 9 ARHG sieht die Anwendung der Strafprozeßordnung 1975 auf das Auslieferungsverfahren vor, soweit sich aus dem ARHG nichts anderes ergibt. § 198 Abs 1 StPO ist daher bei der Vernehmung der auszuliefernden Person durch den Untersuchungsrichter zu berücksichtigen.

Die untersuchungsrichterliche Vernehmung unter Ausschluß des Verteidigers würde für sich allein betrachtet dem Art 6 Abs 3 lit c EMRK widersprechen. Nach ständiger Rechtsprechung muß jedoch die Einhaltung der Grundsätze eines "fair trial" im Hinblick auf die Gesamtentwicklung des Verfahrens gesehen werden, es muß geprüft werden, ob das Verfahren als Ganzes der EMRK entspricht, sodaß allfällige Mängel im Vorverfahren durch sanierende Maßnahmen im Hauptverfahren geheilt werden können (15 Os 75/93; RZ 1992, 140; ZVR 1994/99 uva).

Der Verteidiger kann zwar im gegenständlichen Fall bei der Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter nicht anwesend sein. Da er seinen Mandanten jedoch bereits vorher beraten und später dann an der öffentlichen Verhandlung vor dem OLG teilnehmen kann, ist das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Mehmet S***** auf Beistand eines Verteidigers - insgesamt betrachtet - nicht verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Da der Ausschluß des Verteidigers in der untersuchungsrichterlichen Vernehmung somit der ständigen Rechtsprechung entspricht, sah die Ratskammer keinen Anlaß, die Aufhebung des § 9 ARHG in Verbindung mit § 198 Abs 1 StPO beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen.

Landesgericht Krems a.d.Donau

Rechtssätze
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