JudikaturJustiz9ObA41/21a

9ObA41/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. April 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon. Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** M*****, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Mag. Eva Suitner ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses (Interesse: 151.200 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2021, GZ 15 Ra 11/21m-28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Um ihr Unternehmen zu restrukturieren und Personal abzubauen, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 30. 9. 2019 die Dienstverhältnisse von zehn, davon sieben über 50 jährigen Mitarbeitern auf. Nachdem neun Mitarbeiter, ua der davon betroffene Kläger, Klagen dagegen erhoben hatten und die Beklagte die Rechtsunwirksamkeit der Kündigungen wegen Verstoßes gegen § 45a AMFG anerkannt hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 29. 10. 2019, 15. 11. 2019 und 23. 12. 2019 jeweils drei der Dienstverhältnisse – zuletzt auch jenes des Klägers mit Wirkung zum 30. 4. 2020 – erneut auf. Ihre Kündigungsabsicht bezog sich darauf, die Kündigungen so zu staffeln, dass innerhalb des relevanten 30 Tages Zeitraums keine Dienstverhältnisse in einer den Schwellenwert des § 45a Abs 1 Z 4 AMFG übersteigenden Anzahl gekündigt werden.

[2] Das Berufungsgericht erachtete die Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers mangels Meldung gemäß § 45a AMFG für unwirksam und stellte dessen aufrechten Bestand fest.

Rechtliche Beurteilung

[3] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf. Zur Begründung kann auf den Beschluss im Parallelverfahren 9 ObA 33/21z (betreffend eine mit Schreiben vom 29. 10. 2019 nochmals gekündigte Klägerin) verwiesen werden, in dem ausgeführt wurde:

1. Gemäß § 45a Abs 1 Z 4 AMFG haben die Arbeitgeber die nach dem Standort des Betriebes zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse von mindestens fünf Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen aufzulösen. Vorzeitig ausgesprochene Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Sinne des Abs 1 bezwecken, sind rechtsunwirksam (§ 45a Abs 5 AMFG).

2. Das Kündigungsfrühwarnsystem dient dazu, eine bessere Abstimmung der personalpolitischen Maßnahmen der Betriebe auf die arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten zu erreichen und durch die Erfüllung der in § 45a AMFG auferlegten Verpflichtungen die Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz des Instrumentariums nach dem AMFG zu schaffen (RS0110347). Das Arbeitsmarktservice soll durch die Ankündigung der beabsichtigten Auflösung einer größeren Anzahl von Beschäftigungsverhältnissen in die Lage versetzt werden, frühzeitig durch Einleitung geeigneter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen die beabsichtigten Kündigungen überhaupt zu verhindern, bzw wenn dies nicht möglich ist, Vorbereitungen für die Erfassung und Betreuung dieser zusätzlich am Arbeitsmarkt als arbeitssuchend auftretenden Personen zu treffen. Die Anzeigepflicht des Dienstgebers betrifft nur arbeitsmarktpolitisch relevante Auflösungen (zuletzt 9 ObA 74/20b mwN).

3. Die 30-tägige Frist des § 45a Abs 1 AMFG wandert kontinuierlich. Der Arbeitgeber kann daher durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts der genannten Bestimmung verhindern (RS0125464). Nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 45a Abs 1 AMFG (arg „wenn ein Arbeitgeber beabsichtigt“) ist dafür die Absicht des Dienstgebers maßgeblich. Von einer zulässigen Streuung ist daher auszugehen, wenn die Streuung der Kündigungen über einen längeren als 30 tägigen Zeitraum schon in der ursprünglichen Absicht des Dienstgebers zur Beendigung der Dienstverhältnisse lag, nicht aber, wenn sich die Kündigungserklärungen entgegen seiner ursprünglichen Intention – etwa infolge längerer Bemühungen um den Erhalt der Arbeitsplätze – faktisch über einen längeren Zeitraum erstrecken, würde doch sonst der genannte Zweck des Frühwarnsystems verfehlt, schon die Absicht eines Dienstgebers, innerhalb kurzer Zeit eine arbeitsmarktpolitisch relevante Zahl von Arbeitnehmern freizusetzen, zum Anlass von Vorkehrungen zu nehmen (9 ObA 119/17s).

4. Der Entscheidung 9 ObA 119/17s lag zugrunde, dass der Dienstgeber zunächst Angebote zur einvernehmlichen Auflösung von Dienstverhältnissen unterbreitet hatte, wobei den Dienstnehmern klar war, dass sie sonst gekündigt würden. Die nach Nichtannahme der Auflösungsangebote gestreut erfolgten Kündigungen wurden für unwirksam erachtet, weil sich die Absicht der Beklagten, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen die Dienstverhältnisse von [dort:] (mindestens) sieben Mitarbeitern zu beenden, bereits in den Angeboten zu den einvernehmlichen Auflösungen widergespiegelt hatte. Die Kündigungserklärungen stellten sich insofern nur als längerer Vollzug der ursprünglichen Absicht zur Beendigung der Dienstverhältnisse in einem 30 tägigen Zeitraum dar. Davon gingen die Vorinstanzen auch im vorliegenden Fall aus.

5. Die Beklagte hält dem im Wesentlichen entgegen, dass hier nicht ein einheitlicher, sondern zwei Auflösungsvorgänge vorgelegen seien, für die die Überschreitung des Schwellenwertes des § 45a AMFG gesondert zu betrachten seien. Bei den neuerlichen Kündigungen habe sie gerade nicht beabsichtigt, innerhalb von 30 Tagen eine die Schwellenwerte erreichende Anzahl von Arbeitsverhältnissen aufzulösen.

Letzteres trifft zwar zu, verkennt aber, dass die Willensbildung zu neuerlichen Auflösungserklärungen grundsätzlich auch nur Ausdruck der Bestrebung sein kann, die ursprüngliche Absicht zur Auflösung der Dienstverhältnisse nach dem ersten Scheitern weiter zu realisieren. Das kann sowohl dann erwünscht sein, wenn das Auflösungsziel – wie in 9 ObA 119/17s – wegen nicht angenommener Angebote zu einer einvernehmlichen Auflösung verfehlt wird, als auch dann, wenn es infolge einer (erfolgreich) bekämpften Erstkündigung nicht zur Auflösung der Dienstverhältnisse kommt. Wie von den Vorinstanzen zutreffend erkannt, bedarf es daher der Prüfung, ob die verschiedenen Auflösungsschritte Ausdruck einer einheitlichen Auflösungsabsicht sind. Ob dies zutrifft, ist nach den Umständen des Falles zu beantworten (womit erfolglose Kündigungen entgegen der Ansicht der Beklagten aber auch nicht von vornherein dauerhaft spätere Kündigungen ausschließen).

6. Hier sollte, wie auch von den Vorinstanzen berücksichtigt, der schon mit der ersten Kündigung angestrebte Personalabbau nach den Kündigungsanfechtungen jedenfalls mit demselben Personenkreis zum ursprünglichen Kündigungstermin vollzogen werden, weshalb die zweiten Kündigungen zeitnah so wiederholt werden sollten, dass dieses Ziel erreicht werden konnte. Die zweiten Kündigungen waren insofern aber nur vom Bestreben nach einer Korrektur der fehlerhaften ersten Kündigungen getragen, ohne dass sich am Willen der Beklagten zur Auflösung der betroffenen Dienstverhältnisse zum selben Kündigungstermin etwas geändert hätte. Wenn die Vorinstanzen danach zwar formal getrennte Auflösungserklärungen, intentional aber eine einheitliche Auflösungsabsicht der Beklagten sahen, die sie infolge der gescheiterten ersten Kündigungen in unterschiedlichen Kündigungstranchen verwirklichte, ist dies nicht weiter korrekturbedürftig.“

[4] Dieselben Erwägungen gelten auch hier. Hervorzuheben ist die Ausführung des Berufungsgerichts (Berufungsurteil S 15), dass bei der „neuen“ Absicht der Beklagten, die Dienstnehmer ein zweites Mal zu kündigen, nur ihre Absicht, den Schwellenwert nicht zu erreichen, neu war, nicht jedoch ihre Absicht, die Dienstnehmer zu kündigen, weshalb auch hier von einer einheitlichen Auflösungsabsicht auszugehen ist.

[5] Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.