JudikaturJustiz9Bs254/05d

9Bs254/05d – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
01. März 2006

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Rotter sowie durch die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Greller und Mag.Obetzhofer, im Beisein der Richteramtsanwärterin Mag.Albegger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gudrun H***** wegen des Vergehens der Kurpfuscherei nach § 184 StGB über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten Gudrun H***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 10.Mai 2005, 15 Hv 222/03p-90, nach der am 1.März 2006 in Gegenwart des Oberstaatsanwaltes Dr.Mühlbacher und des Verteidigers Dr.Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in Köflach, dieser Substitut Mag.Wolfgang Sieder, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten Gudrun H***** (gemäß §§ 471 Abs 4, 489 Abs 1 StPO) durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruches über die Schuld wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Berufung der Angeklagten Gudrun H***** wegen Nichtigkeit Folge gegeben, dass sie betreffende Urteil aufgehoben und in diesem Umfang zu Recht erkannt:

Gudrun H***** wird von der wider sie erhobenen Anklage, sie habe in Klagenfurt im bewusst gemeinsamen Zusammenwirken mit (den abgesondert verfolgten) Alexander A***** und Alfred S***** in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Nachgenannte durch Täuschung über die Praktikabilität der angebotenen und durchgeführten Behandlungsmethoden und der zu erwartenden Erfolge auch durch die nachfolgende Fernbehandlung mittels Telepathie sowie teils auch über die damit verbundenen Kosten zur Zahlung nachangeführter „Heilbehandlungskosten"

I. verleitet, die diese und die genannten Beträge an ihrem Vermögen schädigten, und zwar:

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch (nicht rechtskräftige) Schuldsprüche weiterer Angeklagter enthält, wurde die am ***** geborene ***** Staatsangehörige Gudrun H***** - abweichend von dem wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 (erster Deliktsfall) StGB erhobenen, in der Hauptverhandlung vom 29.4.2005 ausgedehnten Strafantrag (ON 23, AS 8/III) - des Vergehens der Kurpfuscherei nach § 184 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle zur Geldstrafe von 120 Tagessätzen à € 3,-- (€ 360,--), im Uneinbringlichkeitsfall zu 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, auf die gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB die Vorhaft von 2.11.2003, 16.30 Uhr, bis 3.11.2003, 13.45 Uhr, angerechnet wurde, verurteilt sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO mit den weiteren Angeklagten zum Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet. Die Privatbeteiligten Friedrich V*****, Alfred D***** und Oskar H***** wurden mit ihren Ansprüchen gemäß § 366 „Abs 1" StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Nach dem Schuldspruch hat Gudrun H***** mit (den unter einem abgeurteilten) Alexander A***** und Alfred S***** als unmittelbare Täterin im Zeitraum von 4. bis 6.Oktober 2003 in Klagenfurt und am 29. Oktober 2003 in Kirchberg, ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten zu haben, durch Abhaltung entgeltlicher Energiebehandlungen inklusive nachfolgenden Fernbehandlungen mittels Telepathie und der Stellung von Therapievorschlägen, eine Tätigkeit, die den Ärzten vorbehalten ist, in Bezug auf eine größere Zahl von Menschen gewerbsmäßig ausgeübt, indem sie 28 im Urteilsspruch (bis auf einen Fall) namentlich genannte Personen gegen jeweils einzeln bezifferte Beträge entgeltlich behandelten oder zu behandeln versuchten und hiefür insgesamt ca € 21.467,50 von angestrebten € 32.982,-- bezahlt erhielten.

Den (auf das wesentlichste zusammengefasst dargestellten) Urteilsfeststellungen zufolge hat die ***** Staatsangehörige Gudrun H*****, die in Deutschland eine abgeschlossene Ausbildung zur Heilpraktikerin hat, diesen Beruf jedoch nicht ausübt, mit den ***** Staatsangehörigen Alexander A*****, der sich als „Spiritual - Healer" bezeichnet und auf den P***** ein anerkannter „Heiler" ist, und Alfred S*****, dem Assistenten des Geistheilers Alexander A*****, in Österreich und Deutschland sogenannte „Energiebehandlungen" durchgeführt. Allen drei Genannten fehlt die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung, keiner von ihnen hat an einer in- oder ausländischen Universität das Medizinstudium abgeschlossen. Am 4., 5. und 6.Oktober 2003 wurden im Haus der Mirjam G***** in Klagenfurt, ***** derartige Veranstaltungen durchgeführt, wobei die Teilnehmer über Mundpropaganda von der Anwesenheit eines „philippinischen Heilers" erfuhren. Die Teilnehmer fanden sich im Seminarraum des Hauses von Mirjam G***** ein, wo Gudrun H***** anwesend war. Alexander A***** und Alfred S***** befanden sich währenddessen in der Wohnung der Mirjam G*****. Gudrun H***** hielt einen Vortrag, der sowohl die Methode der philippinischen Geistheiler als auch das Hilfsprojekt bei der Organisation „MAFI" (Martin A***** Foundation International) des Gründers Alexander A*****, die notleidenden Kindern auf den Philippinen hilft, beinhaltete. Im Zuge des Vortrages wurde über die Möglichkeit einer Behandlung gesprochen, wobei H***** erklärte, dass als Fixpreis pro „Eingriff" ein Betrag von € 55,-- sowie pro „Entnahme" ein solcher von € 110,-- zu entrichten sei. Die Höhe der verlangten Preise entspricht jenen auf den Philippinen. Beim Vortrag lagen verschiedene Informationsblätter auf (Beilage ./7 [zu ON 76] = AS 105, 107, 113, 115, 117/I). Dieses Informationsmaterial wurde an alle Teilnehmer ausgeteilt. Nur teilweise lag Informationsmaterial über Kontoverbindungen (AS 119/I) sowie eine weitere Klienteninformation (Beilage ./8) auf. Jeder Teilnehmer trug seinen Namen, seine Anschrift, die Telefonnummer, das Geburtsdatum sowie den Grund des Kommens in eine Teilnehmerliste (Beilage ./9) ein. H***** erzählte den Teilnehmern dieser Veranstaltungen, dass sie selbst schwer krank gewesen sei und von Alexander A***** geheilt wurde, von anderen Personen, die bereits nach einer Behandlung eine Heilung erfahren hatten und stellte die Möglichkeit einer Heilung in Aussicht. H***** erklärte, dass die Behandlung des Alexander A***** und Alfred S***** keine schulmedizinische Behandlung sei und auch eine ärztliche Behandlung nicht ersetzen würde. Weiters erklärte sie den Teilnehmern, dass Medikamenteneinnahmen fortgesetzt werden müssen und eine Kontrolle durch einen Arzt notwendig sei. Ferner erklärte H*****, dass die Einnahmen dieser Veranstaltungen nach Abzug der hiefür erforderlichen Ausgaben der „MAFI-Stiftung" zugute kommen. Es gab Teilnehmer, die nur den Vortrag von H***** anhörten und danach gingen, sowie solche, die verspätet oder überhaupt erst nach dem Vortrag kamen. Nach dem Vortrag gingen Teilnehmer, die sich für eine Behandlung durch den „Heiler" Alexander A***** entschlossen in Gruppen, auf Wunsch auch alleine in die Wohnung von Mirjam G*****, wo Alexander A***** und Alfred S***** warteten. In diesem Raum befand sich ein Behandlungssowie ein Beistelltisch mit einem Bild von Jesus und der Mutter Gottes. Dort entkleideten sich die Teilnehmer bis auf die Unterhose, wobei es auch Personen gab, die sich nicht entkleideten, und legten sich auf den Behandlungstisch. Der Reihe nach behandelte A***** die Personen, indem er verschiedene Körperregionen berührte, darauf herumwischte und dabei betete. Eine solche Behandlung dauerte wenige Minuten, im Schnitt ca zwischen 5 bis 15 Minuten. Die Teilnehmer beobachteten am jeweils Behandelten, dass durch die Berührungen von A***** an deren Körper eine rote Flüssigkeit zum Vorschein kam. Diese wurde von A***** mit einem Tuch weggewischt und Alfred S***** übergeben. Teilweise kam es auch zu „Entnahmen", wobei die im Raum befindlichen Personen sahen, wie eine bestimmte „Materie" entnommen wurde und in einem Glas von S***** weggebracht wurde. Nach der Behandlung durch A***** massierte Alfred S***** teilweise die behandelten Personen. H***** befand sich während der Behandlung überwiegend im selben Raum, wobei sie für A***** übersetzte. Sie erklärte den zu behandelnden Personen, wie viele „Eingriffe" nötig seien und welche Kosten dadurch entstehen würden und ob eine „Philippinenreise" empfohlen wird. Es bestand auch die Möglichkeit den Behandlungsraum ohne Behandlung wieder zu verlassen. Es gab Personen, welche den gesamten Betrag für die Behandlung bezahlten, solche die nur einen Teil bezahlten, solche die den Betrag überweisen wollten und solche die bei der Veranstaltung am folgenden Tag zahlten. Von H*****, A***** und S***** wurden offene Forderungen nicht eingetrieben. Am 29.10.2003 fand eine derartige Veranstaltung in Kirchschlag im Gasthaus G***** statt.

Gegen das Urteil richtet sich einerseits die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruches über die Schuld, die auf einen zusätzlichen Schuldspruch auch wegen des Verbrechens des Sachwuchers nach § 155 Abs 1 StGB abzielt, andererseits die sogenannte volle Berufung der Angeklagten Gudrun H*****.

Rechtliche Beurteilung

Zur Berufung der Staatsanwaltschaft:

Die Mängelrüge, die bei den Urteilsannahmen, wonach sich die monatlichen Einnahmen H*****, A***** und S***** aus der Heilertätigkeit zusammen auf ca € 20.000,-- belaufen (US 9) und den Angaben H***** zufolge nach Abzug der Spesen in die „MAFI-Stiftung" fließen (US 12), eine Unvollständigkeit iSd Z 5 des § 281 Abs 1 StPO erblickt, versagt, weil sie keine entscheidende Tatsache, dass sind nur jene Tatsachen, die entweder auf die Unterstellung der Tat unter ein bestimmtes Strafgesetz (hier: den Tatbestand des § 155 Abs 1 StGB) oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes (hier: des zweiten Strafsatzes des § 155 Abs 1 StGB) Einfluss haben, betrifft. Die Subsumtionsrüge, welche die Verneinung des idealkonkurrierenden Tatbestands des Verbrechens des Sachwuchers nach § 155 Abs 1 StGB durch das Erstgericht moniert, verkennt, dass nicht nur das vom Erstgericht mangels Objektivierbarkeit der Wertdifferenz verneinte auffallende Missverhältnis (US 28) des Vermögensvorteils zum Wert der erbrachten Leistung - im vorliegenden Fall der jeweiligen Energiebehandlung - Tatbestandsmerkmal ist, sondern zudem auch die gewerbsmäßige Ausbeutung einer Zwangslage, des Leichtsinns, der Unerfahrenheit oder eines Mangels an Urteilsvermögen, wofür das vom Erstgericht festgestellte Tatsachensubstrat aber keine tragfähige Stütze bietet. Anhaltspunkte, die solche Annahmen indizieren, werden von der Berufungswerberin zu konkreten Fällen nicht aufgezeigt und sind - wie der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft beizupflichten ist - dem Akteninhalt auch nicht zu entnehmen, sodass, weil eine (mängelfreie) Feststellung der vermissten Tatbestandserfordernisse insofern nicht zu erwarten ist, auch kein Feststellungsmangel vorliegt.

Demnach vermag auch die Schuldberufung, die den im Strafantrag erhobenen, vom Erstgericht jedoch mangels seiner Überzeugung von einer Täuschung über Tatsachen ausdrücklich abgelehnten Vorwurf betrügerischer Vorgangsweise nicht mehr weiterverfolgt und damit einer Prüfung durch das Berufungsgericht entzieht, keine Bedenken gegen die Vollständigkeit der Konstatierungen auszulösen. Für die begehrte pauschale Feststellung, „dass es der Angeklagten darauf ankam, überwiegend unter Ausnützung der psychischen Ausnahmesituation Kranker in Wohlstandsländern für sich unrechtmäßigen Profit zu schlagen", lässt die Berufung ein detailliertes Vorbringen dahin vermissen, in konkret welchen der 28 vom Schuldspruch umfassten Fällen aus welchen Beweisergebnissen, insbesondere welchen Zeugenaussagen, sich Tatsachen für eine Zwangslage, einen Leichtsinn, eine Unerfahrenheit oder einen Mangel an Urteilsvermögen iSd § 155 Abs 1 StGB im Spruch namentlich genannter Personen - von denen sich überhaupt nur drei mit Ersatzansprüchen dem Verfahren eindeutig als Privatbeteiligte angeschlossen haben - ableiten ließen. Die unter Vernachlässigung der gebotenen Gesamtschau der Verfahrensergebnisse, insbesondere der Zeugenaussagen, auf zum Teil schwere Erkrankungen einzelner, bei weitem aber nicht aller Teilnehmer, deren vereinzelte partnerschaftliche Probleme, die bloße Mutmaßung, dass es sich durchwegs um „Erstpatienten" gehandelt habe, und auf die Bezeichnung „kosmische Verträge", die geeignet sei auf Leidende derartigen Druck auszuüben, der sie in der Regel unfähig gemacht habe, rational abzuwägen - denn immerhin wäre mit völliger Genesung gelockt und andernfalls implizit Siechtum suggeriert worden - gestützten Einwände sind spekulativer Art. Auch welcher Gewinn für den Berufungsstandpunkt aus den Schwierigkeiten einer Überweisung eines von der Angeklagten in Rechnung gestellten Betrages auf ein philippinisches Konto gezogen werden könnte, bringt die Berufung nicht zur Darstellung.

Zur Berufung der Angeklagten H*****:

Der nominell auf Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Rechtsrüge ist einzuräumen, dass der Schuldspruch in dem vom Erstgericht festgestellten Tatsachensubstrat keine tragfähige Stützte findet. § 184 StGB geht auf die schon in § 343 StG mit Strafe bedrohte „Unbefugte Ausübung der Arznei- und Wundarzneikunst als Gewerbe" zurück. In der Regierungsvorlage vom 16.11.1971 (30 BlgNR 13. GP) war - ebenso wie in den Vorentwürfen - eine derartige Strafbestimmung nicht vorgesehen. Erst beim Justizausschuss setzte die Ärzteschaft „nicht so sehr zum Schutz des ärztlichen Berufsstandes als zum Schutz der Bevölkerung vor gesundheit- lichen Nachteilen" § 184 StGB durch. Kurpfuscherei ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Justizausschuss war der Überzeugung, „auch wenn es gelegentlich außerhalb der Ärzteschaft Personen geben mag, die diagnostisch befähigt sind und einen Bereich von Heilmitteln oder Heilverfahren erfolgreich anwenden können, bleibt es doch richtig, dass nur die ärztliche Ausbildung die Kenntnisse gewährleistet, die erforderlich sind, um gefährliche Krankheiten rechtzeitig zu erkennen und mit der besten Aussicht auf Erfolg zu behandeln. Die Ausübung der Heilkunde durch nicht auf diese Weise geschulte Personen zieht Kranke an und hält sie oft davon ab, sich einem Arzt anzuvertrauen. Dadurch ist die Kurpfuscherei typischerweise in ihrer Auswirkung auf die allgemeine Gesundheit gefährlich. Deshalb ist der Deliktstypus unter den gemeingefährlichen strafbaren Handlungen eingereiht" (959 BlgNR 13. GP 29). Täter des § 184 StGB ist, wer nicht die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten hat. Dass vorliegendenfalls weder die Berufungswerberin noch Alexander A***** oder Alfred S***** eine solche Ausbildung erhalten haben, bedarf keiner weiteren Erörterung. Tathandlung ist die Ausübung einer Tätigkeit, die den Ärzten vorbehalten ist. Zudem ist erforderlich, dass eine solche Tätigkeit in Bezug auf eine größere Zahl von Menschen und gewerbsmäßig ausgeübt wird. Fehlt es an einer der beiden letztgenannten Voraussetzungen, kann die unbefugte Ausübung ärztlicher Tätigkeit bloß verwaltungsbehördlich strafbar sein (§ 199 ÄrzteG 1998). Welche Tätigkeiten den Ärzten vorbehalten sind, ergibt sich aus § 2 Abs 2 ÄrzteG 1998, BGBl I 1998/169. Demnach umfasst die Ausübung des ärztlichen Berufes jede auf „medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen" begründete Tätigkeit, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird, insbesondere die in Z 1 bis 8 des § 2 Abs 2 ÄrzteG aufgezählten Tätigkeiten. Aus dem Wortlaut des § 2 Abs 2 ÄrzteG und dem systematischen Zusammenhang mit § 3 Abs 1 und 4 sowie § 199 ÄrzteG lässt sich klar ableiten, dass die Definition der „Ausübung des ärztlichen Berufes" in § 2 Abs 2 ÄrzteG gleichzeitig den ärztlichen Vorbehaltsbereich absteckt und daher nicht mehr und nicht weniger als die in § 2 Abs 2 ÄrzteG definierten Tätigkeiten (nämlich die, die auf „medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründet sind") nur von Ärzten ausgeführt werden dürfen. Die Ausübung des ärztlichen Berufes als die Summe der den Ärzten vorbehaltenen Tätigkeiten ist nach § 2 Abs 2 ÄrzteG im Wesentlichen durch zwei Merkmale umschrieben, die in der Bindung an die „medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse" zum Ausdruck kommen:

Zum einen ist damit die wissenschaftliche Begründung der angewendeten Methoden (iSe rational nachvollziehbaren und überprüfbaren Ableitung aus empirisch nachweisbaren oder offen gelegten hypothetischen Prämissen durch adäquate Methoden) gemeint; zum anderen die Zugehörigkeit zur medizinischen Wissenschaft, was im Kontext des ÄrzteG anhand des Fächerkanons der medizinischen Ausbildung erschlossen werden kann (Aigner/Kierein/Kopetzki, ÄrzteG 1998 § 2 Rz 6). Die sondergesetzlichen Ausnahmen für Angehörige nicht- ärztlicher medizinischer Berufe (zB § 25 GuKG; § 54 Abs 4 und 5 MTF-SHD-G, § 2 MTD-Gesetz, § 2 Hebammengesetz udgl) gestehen den Angehörigen solcher Berufungsgruppen einzelne ansonsten den Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten ausdrücklich zu, sei es auf Anordnung eines Arztes oder teilweise auch selbständig, ändern jedoch nichts daran, dass die betreffenden Tätigkeiten grundsätzlich „den Ärzten vorbehalten" bleiben und verletzen bei Vornahme durch einen nicht dieser Berufsgruppe zugehörigen Nichtarzt den ärztlichen Vorbehaltsbereich. In der bisherigen zu § 184 StGB ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur wurde im Hinblick auf die bereits dargestellte kriminalpolitische Zielsetzung des Gesetzgebers, Kranke davon abzuhalten, sich einem Nichtarzt anzuvertrauen, der nunmehrige § 2 Abs 2 ÄrzteG 1998 (früher: § 1 Abs 2 ÄrzteG 1984) extensiv ausgelegt, indem auch auf „medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse" nicht gegründete Tätigkeiten als tatbildlich angesehen wurden, da das Abstellen auf die (in § 1 ÄrzteG 1949, BGBl 1949/92, erstmals eingefügten) „medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse" nur ein Gebot der ärztlichen Standespflicht (§ 49 Abs 1 ÄrzteG 1998 [früher: § 22 Abs 1 ÄrzteG 1984]) darstelle, aber nicht als Voraussetzung für die Zurechenbarkeit zur ärztlichen Berufsausübung aufzufassen sei;

diese Auslegung finde auch in der Fassung des Tatbestandes des § 184

StGB eine Stütze, weil von medizinisch nicht entsprechend

ausgebildeten Personen von vornherein keine auf

medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete (quasi -)

ärztliche Tätigkeit erwartet werden könne (11 Os 99/83 = SSt 54/92 =

EvBl 1984/88 = JBl 1984, 329 [zustimmend Pfersmann] = RZ 1984/35, 12

Os 109/97, 11 Os 42/03). Das Berufungsgericht vermeint, dass

allerdings die „medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse" zur

Abgrenzung des ärztlichen Vorbehaltsbereiches heranzuziehen sind. Es

ist eine Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit auch mit der dem § 184

StGB zu Grunde liegenden kriminalpolitischen Zielsetzung des

Gesetzgebers nicht mehr zu begründen, wenn, wie im vorliegenden Fall

- nach den Feststellungen des Erstgerichtes - bereits vorweg sowohl

mündlich als auch schriftlich darüber aufgeklärt wurde, dass die

(Energie-)"Behandlung" keine schulmedizinische Behandlung ist und

auch eine ärztliche Behandlung nicht ersetze, Medikamenteneinnahmen

fortgesetzt werden müssen und eine Kontrolle durch einen Arzt

notwendig ist (US 12, AS 107, 113/I). Würden die

medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse in § 2 Abs 2 erster

Satzteil ÄrzteG als für die Abgrenzung des ärztlichen

Vorbehaltsbereiches irrelevant angesehen werden, so wäre damit dieser

aber auch der Tatbestand des § 184 StGB - ebenso wie jener des § 199

ÄrzteG - erweitert. Auch im Wettbewerbsrecht, wo für die Beurteilung

eines Verstoßes gegen § 1 UWG darauf abzustellen ist, ob das

Verhalten eines Nichtarztes einen sittenwidrigen Eingriff in den

Ärztevorbehalt des § 2 Abs 2 ÄrzteG darstellt oder ob dieses

Verhalten nicht geeignet ist, sich auf die Wettbewerbslage zwischen

Ärzten und Nichtärzten auszuwirken, vertrat der OGH zu § 2 Abs 2

ÄrzteG in älteren Entscheidungen iSe Einheit der Rechtsordnung

zunächst seine zu § 184 StGB entwickelte Rechtsprechung, indem bei

der Abgrenzung der den Ärzten vorbehaltenen Tätigkeiten nicht darauf

abgestellt wurde, ob die jeweils zu beurteilende Tätigkeit auf

medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhte (4 Ob 14/00p).

Im Gegensatz dazu wurde in der Entscheidung des OGH vom 23.9.2003, 4 Ob 166/03w, jedoch das Verhalten einer „Energiebehandlerin", die Besucher ihres Instituts für Geist- und Naturheilung schriftlich und mündlich darauf hingewiesen hatte, dass die von ihr durchgeführte Aurainterpretation keine Diagnose, Therapie oder Behandlung im medizinischen Sinn, sondern eine Art religiöse Handlung ist, die eine ärztliche Behandlung nicht ersetzen kann, als - wie bereits in 4 Ob 50/01h, 4 Ob 170/02g und 4 Ob 256/02d - nicht an wissenschaftlicher Methodik orientiert und daher objektiv dem Wissenschaftlichkeitskriterium als Voraussetzung für eine Ärzten vorbehaltene Tätigkeit nicht genügend beurteilt. Mit der Entscheidung vom 30.11.2004, 4 Ob 217/04x, festigte der OGH mit eingehender Begründung diese jüngere Judikatur im Einklang mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl B761/03) unter Kritik an der strafrechtlichen Judikatur und stellte klar, dass die in § 2 Abs 2 ÄrzteG genannten Tätigkeiten nur dann unter den Ärztevorhalt fallen, wenn sie auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Der Auffassung der Lehre (s. Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung [Wien 1992] 246ff; Aigner/Kierein/Kopetzki, ÄrzteG 1998 § 2 Rz 6, Heilegger, Ärztlicher Vorbehaltsbereich und Alternativmedizin: Versuch einer Ab- und Eingrenzung, RdM 1999, 135) folgend, wird eine auf medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Tätigkeit nur dann ausgeübt, wenn die angewandte Methode ein gewisses Mindestmaß an Rationalität aufweist und für ihre Durchführung das typischerweise durch das Medizinstudium vermittelte umfassende Wissen erforderlich ist. Die Schulmedizin (zumindest definiert als die Richtung, die wissenschaftlich begründet und in Fachkreisen anerkannt ist sowie an Hochschulen gelehrt wird) ist nach diesem Verständnis zwar nicht zu 100 % ident mit der medizi-nisch-wissenschaftlichen Fundierung, aber doch weitgehend gleichläufig. Für Alternativmedizin ist bis heute eine allgemein-verbindliche Definition nicht entwickelt, was wohl daraus resultiert, dass eine Vielzahl unterschiedlichster Methoden mit unterschiedlichsten Ansätzen dazu zählt. Definiert man „Alternativmedizin" als alle Behandlungsmethoden, die eben alternativ („komplementär") zur Schulmedizin bestehen, so ist von vergleichsweise anerkannten und wissenschaftlichen Methoden wie der Akupunktur oder der Homöopathie bis hin zu Geistheilern und Gesundbetern das gesamte Spektrum erfasst. Unter sogenannten „Geist- oder Wunderheilern" werden Personen verstanden, die unter Berufung auf ein metaphysisches Geistwesen mittels Handauflegen, Beten, Besprechen, Fern- oder Gruppenbehandlung, medial, schamanistisch, exorzistisch oder radionisch „Heilen". Auch wenn sie (noch) nicht Eingang in die Schulmedizin gefunden haben, können alternative Behandlungsmethoden (zumindest in gewissem Ausmaß) wissenschaftlich fundiert sein, so etwa der Fall bei der Homöopathie und der Akupunktur. Nur soweit die Anwendung eines Alternativverfahrens (auch) die durch das Medizinstudium vermittelten umfassenden Kenntnisse erfordert, basiert die Methode im obigen Sinne auf „medizinisch-wissenschaftlichen Erkennt- nissen" und ist dem ärztlichen Vorbehaltsbereich zuzurechnen. Dementsprechend erfüllen „Geistheiler" und verwandte Methoden nicht einmal das Kriterium der Mindestrationalität, geschweige denn ist das Beherrschen des durch das Medizinstudium vermittelten Wissens für ihre Durchführung erforderlich, weshalb sie auch nicht in den ärztlichen Vorbehaltsbereich fallen (Heilegger, Ärztlicher Vorbehaltsbereich und Alternativmedizin: Versuch einer Ab- und Eingrenzung, RdM 1999, 135; Schwartz, Von Exorzisten und Heilpraktikern: Geistheilungen rechtlich betrachtet, RdM 1999, 13). Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu. Zwar liegt eine Beteiligung der Berufungswerberin, indem sie bewirkte, dass Alexander A***** in Bezug auf eine größere Zahl von Menschen - als solche werden üblicherweise 10 Menschen und mehr angesehen (Leukauf/Steininger Komm3 § 184 RN 7) - eine Tätigkeit entwickelte, ebenso vor wie gewerbsmäßige Begehung, wofür schon die Absicht genügt, sich regelmäßig freiwillig gegebene Beträge zuzuwenden, unabhängig davon, ob in jedem Fall tatsächlich Entgelt erlangt wurde bzw aus welchen Gründen dieses in bestimmten Fällen nicht bezahlt worden ist, doch ist in den von Alexander A***** und seinem Assistenten Alfred S***** angewandten „Energiebehandlungen" mittels „Magnetic-Healing", „Meisterenergie von Magnetic-Healing und der Energetischen Meridiantherapie", „Psychical-Healing" sowie „Fernbehandlung" udgl, in der (in AS 115, 117/I beschriebenen) im Urteil integriert festgestellten Art, die sich objektiv bloß durch Berühren verschiedener Körperregionen, Herumwischen, Wegwischen einer „roten Flüssigkeit" sowie Beten und fallweise Reiseempfehlung durch A***** und fallweises Massieren durch S***** manifestierten, weder das Kriterium der Mindestrationalität zuzuerkennen, noch ist dafür das Beherrschen durch das Medizinstudium vermittelten Wissens erforderlich. Überdies wurde - wie bereits aufgezeigt - auch darüber aufgeklärt, dass die „Behandlung" keine schulmedizinische Behandlung ist und eine ärztliche Behandlung und Medikamenteneinnahmen nicht ersetzt. Diese Erwägungen veranlassten das Berufungsgericht sich der in der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft vertretenen - ausschließlich auf die ältere strafrechtliche Judikatur gestützten - Rechtsauffassung, nicht anzuschließen, sondern reformatorisch mit Freispruch zu entscheiden. Im Ergebnis alle „alternativen" Behandlungen Ärzten vorzubehalten, ist nicht notwendig, sie zu verbieten, ist aussichtslos, vielleicht nicht einmal wünschenswert und begründete den Verdacht, dass § 184 StGB doch vorrangig zum Schutz des ärztlichen Berufsstands angewendet wird (Bertel/Schwaighofer BT II5 § 184 Rz 4, Kienapfel/Schmoller BT III § 184 Rz 4).

Mit ihrer obsolet gewordenen weiteren Berufung wird die Angeklagte darauf verwiesen.

Für ein beneficium cohaesionis des § 477 Abs 1 (§ 489 Abs 1) StPO bestand kein Anlass, weil Alexander A***** und Alfred S***** in derselben Richtung jeweils volle Berufung erhoben haben. Die Verweisung der Privatbeteiligten ist eine gesetzlich determinierte Folge des Freispruches.

Oberlandesgericht Graz

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