JudikaturJustiz6Rs27/11d

6Rs27/11d – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
27. April 2011

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr.Bott (Vorsitz), die Richterinnen Dr.Kraschowetz-Kandolf und Dr.Rastädter-Puschnig sowie die fachkundigen Laienrichter Ing.Dr.Mayer (Arbeitgeber) und Mag.Zakostelsky (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** M*****, ***** B*****, N***** C*****, R*****, vertreten durch Mag.Johann Sparowitz, Rechtsanwalt in Graz, als Verfahrenshilfevertreter, gegen die beklagte Partei P*****, *****, G*****, *****, im Berufungsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 20.April 2010, 38 Cgs 44/10v-8, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10.Oktober 1964 geborene Kläger hat in Österreich in der Zeit von Mai 1990 bis Dezember 1998 insgesamt 17 Beitragsmonate der Pflichtversicherung sowie 31 Monate einer Ersatzzeit erworben. In der Republik Kroatien wie auch in Bosnien-Herzegowina hat er keinerlei Versicherungszeiten erworben.

Mit Bescheid vom 15.Dezember 2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 25.April 2008 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab. Die für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestanzahl von Versicherungsmonaten liege nicht vor.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner unerörtert gebliebenen, jedoch offensichtlich auf Gewährung der Invaliditätspension gerichteten Klage mit der Behauptung, er sei seit 1.Mai 1997 ununterbrochen bei dem kroatischen Amt für Krankenversicherung versichert und die in Kroatien verwirklichten Versicherungszeiten seien hinzuzurechnen.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung unter Aufrechterhaltung ihres im Bescheid eingenommenen Standpunktes. Nach keiner der in § 236 ASVG angeführten Varianten würde die Wartezeit erfüllt. Bei allfälligen Krankenversicherungszeiten handle es sich um keine bei Prüfung der Wartezeit zu berücksichtigenden Versicherungszeiten.

Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgericht das Klagebegehren ab.

Es meint auf der Grundlage des eingangs wiedergegebenen Sachverhalts rechtlich, der Kläger erfülle mit den von ihm erworbenen Versicherungszeiten nicht die zeitlichen Voraussetzungen des § 236 ASVG, womit sein Begehren der Abweisung verfalle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Erstgericht.

Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist auf eine, aus Anlass eines Rechtsmittels grundsätzlich auch von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO einzugehen.

Gemäß § 40 Abs 2 Z 4 ASGG können sich die Parteien vor den Gerichten erster Instanz außer durch qualifizierte Personen auch durch jede andere geeignete Person, über deren Eignung der Vorsitzende durch unanfechtbaren Beschluss zu entscheiden hat, vertreten lassen. Lässt sich eine Partei in dieser Weise vertreten, so hat der Bevollmächtigte bei Vornahme der ersten Prozesshandlung grundsätzlich eine Vollmachtsurkunde vorzulegen (RIS-Justiz RS0106033; Neumayr in ZellKomm, Rz 1 zu § 40 ASGG). Das Fehlen einer solchen Urkunde ist grundsätzlich verbesserungsfähig, wobei der Einschreiter vom Gericht gegen nachträgliche Beibringung der Vollmacht auch einstweilen als Bevollmächtigter zugelassen werden kann. Mit dieser Problematik hat sich das Erstgericht nicht befasst.

Schon aus der Klage ist ersichtlich, dass diese nicht vom Kläger selbst, sondern von dessen Vater I***** M***** in Vertretung seines Sohnes verfasst wurde. Zur einzigen Tagsatzung vom 20.April 2010, zu welcher der Kläger persönlich geladen wurde, ist auch nur dessen Vater erschienen, ohne dass sich in den erstinstanzlichen Akten eine Bevollmächtigung findet. Die als "Widerspruch" bezeichnete, vom Erstgericht zutreffend als Berufung zu wertende Eingabe vom 16.September 2010 (ON 9) ist ebenfalls vom Vater des Klägers unterfertigt wie auch das Vermögensbekenntnis zur Erlangung der Verfahrenshilfe vom 15.Dezember 2010 (ON 11). Der Verbesserungsauftrag des Erstgerichts vom 25.Oktober 2010 (ON 10) wurde offensichtlich ebenso wie der Bescheid über die Bestellung eines Verfahrenshilfevertreters (ON 17) vom Kläger selbst übernommen.

Gemäß § 37 Abs 1 ZPO hat das Gericht den Mangel der Vollmacht in jeder Lage des Rechtsstreits grundsätzlich von Amts wegen selbst wahrzunehmen. Mangelt es an einer wirksamen Prozessvollmacht, so ist das Verfahren grundsätzlich nichtig. Ein Vollmachtsmangel kann aber durch nachträgliche Genehmigung geheilt werden (RIS-Justiz RS0035639), wobei eine solche Genehmigung auch schlüssig erteilt werden kann (3 Ob 187/01y mwN). Im Hinblick auf die dargestellten Vorgänge im Zusammenhang mit der Zustellung kann jedenfalls von einer schlüssigen Genehmigung des Rechtsmittels durch den Kläger ausgegangen werden, weshalb dieses meritorisch erledigt werden kann.

Unter dem einzigen Anfechtungsgrund macht der Kläger eine Verletzung der Anleitungspflicht durch das Erstgericht geltend, die darin liegen soll, dass er nicht über die Möglichkeit einer Klagsrückziehung im Sinne des § 72 ASGG belehrt worden sei. Diesfalls hätte er die Klage zurückziehen können, wodurch er einen neuerlichen Antrag mit neuem Stichtag einbringen hätte können, ohne dass diesem die Sperrfrist des § 362 ASVG entgegengestanden wäre. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Schon ganz grundsätzlich fallen unter den Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens nur solche Verfahrensverstöße, die abstrakt geeignet sind, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen. Der Mangel muss also abstrakt geeignet sein, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu verhindern, wobei die Mangelhaftigkeit grundsätzlich auf einem Fehler des Gerichts beruhen muss (Kodek in Rechberger, ZPO³, Rz 6 zu § 471, Rz 3 zu § 496 mwN).

Im Hinblick darauf, dass eine Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung gar nicht behauptet wird und auch nicht zu erkennen ist, kann der Verfahrensrüge schon deshalb kein Erfolg beschieden sein. Eine solche muss, um mit Erfolg geltend gemacht werden zu können, aber die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung bedingen. Dass der Kläger über eine Möglichkeit der Klagsrücknahme nicht belehrt wurde und es aus diesem Grund zu einer gerichtlichen Entscheidung gekommen ist, vermag demnach eine taugliche Grundlage für die Verfahrensrüge nicht zu bilden.

Abgesehen davon bleibt zweifelhaft, ob im gegenständlichen Fall überhaupt die Sperrfrist des § 362 Abs 1 ASVG zur Anwendung kommt. Der Wortlaut dieser Bestimmung spricht dagegen, zumal sie sich nur auf die Zurückweisung von Leistungsanträgen in der Unfall- und Pensionsversicherung im Zusammenhang mit gesundheitlichen Veränderungen ("wesentliche Änderung der Unfallsfolgen" bzw "Minderung der Arbeitsfähigkeit") bezieht.

Letztlich sei auch noch darauf verwiesen, dass eine Klagsrückziehung in Sozialrechtsverfahren gemäß § 72 Z 2 lit a ASGG niemals der Zustimmung des Versicherungsträgers bedarf und eine Zurücknahme der Klage auch noch im Rechtsmittelstadium vor Eintritt der Rechtskraft möglich ist. Diese hat die Unwirksamkeit des Urteils der Vorinstanz im Umfang der Rücknahmeerklärung zur Folge (§ 483 Abs 3 ZPO; Neumayr aaO Rz 5 zu § 72 ASGG mwN).

Der Berufung ist demnach ein Erfolg zu versagen.

Ein Kostenzuspruch aus Billigkeit kommt nicht in Betracht, da der Kläger infolge bewilligter Verfahrenshilfe mit Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht belastet ist (SSV-NF 5/127).

Für eine Revisionszulassung besteht schon mangels Rechtsrüge kein Anlass.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 6

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